Lied an meinen Sohn von Richard Dehmel

Der Sturm behorcht mein Vaterhaus,
mein Herz klopft in die Nacht hinaus,
laut; so erwacht ich vom Gebraus
des Forstes schon als Kind.
Mein junger Sohn, hör zu, hör zu:
in deine ferne Wiegenruh
stöhnt meine Worte dir im Traum der Wind.
 
Einst hab ich auch im Schlaf gelacht,
mein Sohn, und bin nicht aufgewacht
10 
vom Sturm; bis eine graue Nacht
11 
wie heute kam.
12 
Dumpf brandet heut im Forst der Föhn,
13 
wie damals, als ich sein Getön
14 
vor Furcht wie meines Vaters Wort vernahm.
 
15 
Horch, wie der knospige Wipfelsaum
16 
sich sträubt, sich beugt, von Baum zu Baum;
17 
mein Sohn, in deinen Wiegentraum
18 
zornlacht der Sturm - hör zu, hör zu!
19 
Er hat sich nie vor Furcht gebeugt,
20 
horch, wie er durch die Kronen keucht:
21 
sei Du! sei Du!
 
22 
Und wenn dir einst von Sohnespflicht,
23 
mein Sohn, dein alter Vater spricht,
24 
gehorch ihm nicht, gehorch ihm nicht:
25 
horch, wie der Föhn im Forst den Frühling braut!
26 
Horch, er bestürmt mein Vaterhaus,
27 
mein Herz tönt in die Nacht hinaus,
28 
laut
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.9 KB)

Details zum Gedicht „Lied an meinen Sohn“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
168
Entstehungsjahr
1863 - 1920
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht ist von Richard Dehmel und stammt aus der Zeitspanne des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Dehmel war ein bedeutender Vertreter des Naturalismus und des Symbolismus in der deutschen Literatur.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie das innige Gespräch eines Vaters mit seinem schlafenden Sohn. Der Vater, das lyrische Ich, teilt seine Hoffnungen, Ängste und Erwartungen mit seinem Kind, wobei der Sturm und das Vaterhaus als zentrale Symbole fungieren.

Vom Inhalt her handelt das Gedicht von einem nächtlichen Dialog eines Vaters zu seinem Sohn. Der Vater teilt seine Hoffnungen, Erfahrungen und Erwartungen mit seinem Sohn. Besonders auffällig ist die Rolle des Sturmes, der als Metapher dient, die den ständigen Wandel, aber auch die Unabhängigkeit und Stärke symbolisiert.

In Bezug auf die Form und Sprache fällt auf, dass das Gedicht aus vier Strophen mit jeweils sieben Versen besteht. Der Reim ist ungeregelt, was ein Gefühl des Chaos und der Unordnung hervorrufen könnte, das mit der Sturmmetapher übereinstimmt.

Die Sprache ist bildhaft und intensiv. Beispiel dafür ist die wiederholte Personifizierung des Sturmes, der „behorcht“, „zornlacht“ oder „keucht“. Auch Wörter wie „Wipfelsaum“, „knospig“ oder „Föhn“ tragen zur visuellen und auditiven Intensität bei. Die direkte Anrede des Sohnes und der wiederholte Aufruf „hör zu, hör zu“ geben dem Gedicht eine dringliche, persönliche und emotionale Note.

Insgesamt interpretiere ich das Gedicht als ein Aufruf zur Individualität, zur Stärke und zur Widerstandsfähigkeit gegenüber den Stürmen des Lebens. Es betont die Notwendigkeit, sich nicht blind an die Worte der „Väter“ zu halten, sondern den eigenen Weg zu suchen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Lied an meinen Sohn“ ist Richard Dehmel. 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1879 bis 1920 entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Dehmel ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 168 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 28 Versen. Richard Dehmel ist auch der Autor für Gedichte wie „An mein Volk“, „Antwort“ und „Auf der Reise“. Zum Autor des Gedichtes „Lied an meinen Sohn“ haben wir auf abi-pur.de weitere 522 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Richard Dehmel (Infos zum Autor)

Zum Autor Richard Dehmel sind auf abi-pur.de 522 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.