Tanz von Alfred Wolfenstein

Sie wirbelt weich
Die Hände schwingend vor ..
Sie rollt auf Zehen starr zurück:
Steht gipfelnd von Musik umflossen,
Silbern sichtbar in die Luft gegossen!
 
Sie schmilzt hinab
Und hebt zu kreisen an
Um ihrer Seele stillsten Punkt,
Wie Schnee, um sein Gebirge fließend,
10 
In immer weichere Hand sich gießend,
 
11 
Wie Wasser weiß ..
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Dick schwellen aus der Wand
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Der Lampen blutige Fäden an
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Und sinken plötzlich ..: Sie steht funkelnd
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Da, steil gezackt, geprägt im Dunkeln!
 
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Sie schweift den Fuß wie Pfaunrad aus, zum Blumenkreis,
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Sie spitzt den Fuß wie Sterne zu, Zeh'nstrahlen spitz,
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Sie gleitet der Bewegung ungebundnes Gleis
19 
Im Saale lagern Tiere stier auf wuchtigem Sitz.
 
20 
Von Säulen schielt das Breitgesicht der Decke weiß
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Herab auf ihrer schnellen Brüste Blitz und Blitz,
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Aus vorgewölbten Mäulern bläst es gelb und heiß,
23 
Ihr Lichtknie schluckt der ungerührten Augen Schlitz!
 
24 
Da schüttelt sie sich zagender: O falle, Gier!
25 
Da wirft sie sich in Lüfte fort - Doch immer schwingt
26 
Die Schönheit wie ein Bumerang zurück zu ihr,
27 
Daß jedem Sprung nur stachelndere Glut entspringt.
 
28 
Rot hängt des Vorhangs offner Wundrand über ihr,
29 
Rauch höhnt als Vorhang, den doch jeder Blick durchdringt,
30 
Ihr Tanz verlöscht nicht, angespritzt von Staub und Bier,
31 
Noch immer klatschen Fäuste, bis Musik noch klingt.
 
32 
So flieh, enttanze
33 
In dich! du Unsichtbare!
34 
Wie ein rasendes Rad innen schwindet
35 
Schon hüllen Wellen dich und bleichen
36 
Die Gier, im Saale sitzen Leichen
 
37 
Du, neu geboren
38 
Auf einen andern Stern hin!
39 
In eignen immer wildren Sturmleib,
40 
In Fuß und Brust und Stirn verflogen,
41 
Vom Geistermund des Umschwungs ausgesogen.
 
42 
Und fließt zusammen
43 
Mit sich - und fühlt nur Tanzen,
44 
Luft, Atmen, Aufatmen von Flammen
45 
Es hebt sie einsames Gefieder
46 
Und Sammetvorhang senkt sich nun auch nieder.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.3 KB)

Details zum Gedicht „Tanz“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
46
Anzahl Wörter
282
Entstehungsjahr
1883 - 1945
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Tanz“ wurde von dem deutschen Dichter und Schriftsteller Alfred Wolfenstein verfasst, der von 1883 bis 1945 lebte. Wolfenstein gehörte zur literarischen Strömung des Expressionismus, die das kulturelle Leben in Deutschland in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg, also von etwa 1910 bis 1930, prägte.

Schon beim ersten Lesen fallen die sehr detailreiche und bildliche Sprache auf, die den Tanz und die Tänzerin auf surreale Weise beschreiben. Das Gedicht zeichnet ein intensives, dynamisches und auch ein wenig exzessives Bild vom Tanzen und der daran beteiligten Tänzerin.

Inhaltlich beschreibt das lyrische Ich, wie die Tänzerin sich bewegt, in welcher Umgebung sie sich befindet und wie diese Situation auf es wirkt. Die Feinheiten und Einzelheiten der Bewegungen werden dabei besonders herausgestellt. Zum Beispiel wird die Tänzerin zu Beginn sehr elegant und grazil vorgestellt, dann jedoch immer wilder und ausgelassener. Auch die Umgebung, in der sie tanzt, wird zunehmend chaotischer und exzessiver dargestellt. Das lyrische Ich selbst scheint dabei eine eher passive Rolle einzunehmen, es beobachtet den Tanz und beschreibt ihn.

Den Höhepunkt erreicht das Gedicht am Ende der siebten Strophe, wenn die Tänzerin dazu auffordert, die Gier zu besiegen und sich in die Luft zu werfen. Das lyrische Ich interpretiert dies als Ausdruck von Schönheit, die wie ein Bumerang zu ihr zurückkehrt und ihren Tanz noch leidenschaftlicher macht.

Formal besteht das Gedicht aus zehn Strophen, wovon die ersten drei und die letzten drei jeweils fünf Verse haben, die anderen vier jedoch nur vier Verse. Die Länge der Verse variiert, es besteht kein festes Metrum und es gibt keinen konsequenten Reim. Das Gedicht hat also eine freie Form.

Die Sprache des Gedichts ist bildreich und metaphernreich, aber auch sehr direkte und körperliche Begriffe wie „sich gießend“, „geprägt“, „Zeh'nstrahlen spitz“ oder „ihrer schnellen Brüste Blitz und Blitz“ erzeugen eine Sensualität, die typisch für die lyrische Sprache des Expressionismus ist. Insgesamt wirkt das Gedicht sehr lebendig und dynamisch, getrieben von einer geradezu ekstatischen Kraft, die nicht nur den Tanz und die Tänzerin, sondern auch das lyrische Ich erfasst.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Tanz“ ist Alfred Wolfenstein. Im Jahr 1883 wurde Wolfenstein in Halle geboren. In der Zeit von 1899 bis 1945 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Expressionismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Wolfenstein handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 282 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 46 Versen. Die Gedichte „Die Stirn“, „Fahrt“ und „Nacht im Dorfe“ sind weitere Werke des Autors Alfred Wolfenstein. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Tanz“ keine weiteren Gedichte vor.

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