Das Gewitter von Gustav Schwab

Urahne, Großmutter, Mutter und Kind,
In dumpfer Stube beisammen sind;
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl –
Wie wehen die Lüfte so schwül!
 
Das Kind spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
Wie will ich spielen im grünen Hag,
Wie will ich springen durch Thal und Höh’n,
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Wie will ich pflücken viel Blumen schön;
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Dem Anger, dem bin ich hold!“ –
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Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
 
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Die Mutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
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Da halten wir alle fröhlich Gelag,
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Ich selber, ich rüste mein Feierkleid;
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Das Leben es hat auch Lust nach Leid,
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Dann scheint die Sonne wie Gold!“ –
18 
Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
 
19 
Großmutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
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Großmutter hat keinen Feiertag,
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Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid,
22 
Das Leben ist Sorg’ und viel Arbeit;
23 
Wohl dem, der that, was er sollt’!“ –
24 
Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
 
25 
Urahne spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
26 
Am liebsten morgen ich sterben mag:
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Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
28 
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
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Was thu’ ich noch auf der Welt?“ –
30 
Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?
 
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Sie hören’s nicht, sie sehen’s nicht,
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Es flammet die Stube wie lauter Licht:
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Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
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Vom Strahl miteinander getroffen sind,
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Vier Leben endet ein Schlag –
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Und morgen ist’s Feiertag.
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Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Das Gewitter“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
37
Anzahl Wörter
231
Entstehungsjahr
1828
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Gewitter“ stammt von Gustav Schwab, der von 1792 bis 1850 lebte. Zeitlich ist dieses Gedicht somit der Epoche der Romantik zuzuordnen. Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine einfache Familienszene zu beschreiben. Aber durch die Wiederholung des Gewitters und die unaufhaltsame Steigerung hin zu einem dramatischen Höhepunkt, wird schnell klar, dass eine tiefere Botschaft eingebettet ist.

Inhaltlich geht es im Gedicht um vier Generationen von Frauen - eine Urahne, eine Großmutter, eine Mutter und ein Kind - die in Erwartung des kommenden Feiertags in einer Stube beisammen sind. Jede Generation spricht über ihre Erwartungen und Hoffnungen für den bevorstehenden Tag, gleichzeitig wird jedoch auch ihre gegenwärtige Lebenssituation reflektiert. Während das Kind über Spiel und Freude nachdenkt, betrachtet die Mutter ihre Rolle in Bezug auf Freude nach Leid, die Großmutter reflektiert ihre kontinuierliche harte Arbeit und die Urahne wünscht sich den Tod. Das wiederholte Grollen eines heraufziehenden Gewitters lässt eine zunehmende Bedrohung erahnen, die in den letzten Strophen mit einem vernichtenden Blitzschlag eskaliert, der alle vier Frauen tötet.

In Bezug auf die Aussage des lyrischen Ichs scheint es, als wäre das Gedicht eine Reflexion über die verschiedenen Lebensphasen und deren Wahrnehmungen der Welt. Die kindliche Unschuld und Freude wandelt sich zur Pflichterfüllung der Mutter, zur resignierten Arbeit der Großmutter bis hin zum Wunsch nach dem Tod der alten, lebensmüden Urahne. Gleichzeitig zeigt Schwab die Unvorhersehbarkeit des Lebens und wie schnell ein scheinbar normaler Tag durch äußere Umstände in eine Katastrophe umschlagen kann.

Stilistisch zeichnet sich das Gedicht durch seinen rhythmischen Aufbau und eine bildhafte Sprache aus. Jede Strophe hat sechs Verse, in denen jeweils eine der vier Frauen zu Wort kommt, unterbrochen von den immer stärker werdenden Anzeichen des heraufziehenden Gewitters. Die Worte und Bilder, die Schwab wählt, lassen die verschiedenen Perspektiven und Stimmungen der Frauen aufleben und schaffen eine Atmosphäre, die von der Anfangsfreude hin zu einer düsteren Vorahnung führt.

Zusammengefasst, ist „Das Gewitter“ ein Gedicht, das die unterschiedlichen Lebensperspektiven aufzeigt, die Unvorhersehbarkeit des Lebens betont und gleichzeitig ein hohes Maß an Stimmung und Atmosphäre durch seine strukturierte Form und seine bildhafte Sprache erzeugt.

Weitere Informationen

Gustav Schwab ist der Autor des Gedichtes „Das Gewitter“. Im Jahr 1792 wurde Schwab in Stuttgart geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1828. Erschienen ist der Text in Gütersloh. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 37 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 231 Worte. Gustav Schwab ist auch der Autor für Gedichte wie „Lied eines abziehenden Burschen“, „Abendsegen“ und „Bemooster Bursche, zieh ich aus“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Gewitter“ weitere 12 Gedichte vor.

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