Lucie von Theodor Storm

Ich seh sie noch, ihr Büchlein in der Hand,
Nach jener Bank dort an der Gartenwand
Vom Spiel der andern Kinder sich entfernen;
Sie wußte wohl, es mühte sie das Lernen.
 
Nicht war sie klug, nicht schön; mir aber war
Ihr blaß Gesichtchen und ihr blondes Haar,
Mir war es lieb; aus der Erinnrung Düster
Schaut es mich an; wir waren recht Geschwister.
 
Ihr schmales Bettchen teilte sie mit mir,
10 
Und nächtens Wang an Wange schliefen wir;
11 
Das war so schön! Noch weht ein Kinderfrieden
12 
Mich an aus jenen Zeiten, die geschieden.
 
13 
Ein Ende kam; - ein Tag, sie wurde krank
14 
Und lag im Fieber viele Wochen lang;
15 
Ein Morgen dann, wo sanft die Winde gingen,
16 
Da ging sie heim; es blühten die Syringen.
 
17 
Die Sonne schien; ich lief ins Feld hinaus
18 
Und weinte laut; dann kam ich still nach Haus.
19 
Wohl zwanzig Jahr und drüber sind vergangen
20 
An wieviel anderm hat mein Herz gehangen!
 
21 
Was hab ich heute denn nach dir gebangt?
22 
Bist du mir nah und hast nach mir verlangt?
23 
Willst du, wie einst nach unsern Kinderspielen,
24 
Mein Knabenhaupt an deinem Herzen fühlen?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.7 KB)

Details zum Gedicht „Lucie“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
185
Entstehungsjahr
1817 - 1888
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Lucie“ wurde von Theodor Storm verfasst, der von 1817 bis 1888 lebte. Somit kann das Gedicht in die Epoche des Realismus eingeteilt werden.

Der erste Eindruck des Gedichtes ist von Melancholie und Nostalgie geprägt. Es erzählt eine Geschichte von Kindheitserinnerungen, Liebe, Verlust und Trauer.

Inhaltlich reflektiert das lyrische Ich über seine Kindheitsfreundin Lucie, die ihm in liebevoller Erinnerung geblieben ist. Sie scheint ein schüchternes und zurückhaltendes Mädchen gewesen zu sein, das sich lieber vom Spiel der anderen Kinder zurückzog. Das lyrische Ich erinnert sich an ihre gemeinsamen Nächte, in denen sie Wang an Wange schliefen und beschreibt diese Zeiten als schön und friedlich. Die Geschichte nimmt jedoch eine tragische Wendung, als Lucie krank wird und stirbt. Das lyrische Ich läuft daraufhin weinend ins Feld und kehrt still nach Hause zurück. Nach zwanzig Jahren blickt es zurück und fragt, ob Lucie in seiner Nähe ist und nach ihm verlangt.

Formell gesehen besteht das Gedicht aus 6 Strophen zu je 4 Versen, wodurch ein striktes und regelmäßiges Muster entsteht. Die Sprache ist einfach und klar, gespickt mit bildhaften Beschreibungen, die eine starke emotionale Wirkung erzeugen. Beispielhaft dafür sind die Verse „Ihr blaß Gesichtchen und ihr blondes Haar, / Mir war es lieb“ oder „Da ging sie heim; es blühten die Syringen.“

In diesem Gedicht schafft es Storm, tiefe Emotionen wie Liebe, Verlust und Trauer einfühlsam und intensiv auszudrücken. Durch die Erzählung aus der Perspektive des lyrischen Ichs erlebt der Leser die Geschichte hautnah mit und kann die Emotionen des Erzählers besonders gut nachvollziehen. Zugleich zeichnet Storm ein präzises Bild der Geschehnisse, das durch die klare und einfache Sprache noch verstärkt wird.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Lucie“ ist Theodor Storm. Geboren wurde Storm im Jahr 1817 in Husum. In der Zeit von 1833 bis 1888 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Realismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Storm handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 185 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Der Dichter Theodor Storm ist auch der Autor für Gedichte wie „Abschied“, „Abseits“ und „Bettlerliebe“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Lucie“ weitere 131 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Theodor Storm

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Theodor Storm und seinem Gedicht „Lucie“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Theodor Storm (Infos zum Autor)

Zum Autor Theodor Storm sind auf abi-pur.de 131 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.