Die Libelle von Heinrich Heine
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Es tanzt die schöne Libelle |
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Wohl auf des Baches Welle; |
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Sie tanzt daher, sie tanzt dahin, |
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Die schimmernde, flimmernde Gauklerin. |
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Gar mancher junge Käfertor |
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Bewundert ihr Kleid von blauem Flor, |
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Bewundert des Leibchens Emaille |
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Und auch die schlanke Taille. |
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Gar mancher junge Käfertor |
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Sein bißchen Käferverstand verlor; |
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Die Buhlen sumsen von Lieb' und Treu, |
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Versprechen Holland und Brabant dabei. |
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Die schöne Libelle lacht und spricht: |
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»Holland und Brabant brauch ich nicht, |
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Doch sputet euch, ihr Freier, |
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Und holt mir ein Fünkchen Feuer. |
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Die Köchin kam in Wochen, |
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Muß selbst mein Süpplein kochen; |
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Die Kohlen des Herdes erloschen sind |
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Holt mir ein Fünkchen Feuer geschwind.« |
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Kaum hat die Falsche gesprochen das Wort, |
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Die Käfer flatterten eilig fort. |
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Sie suchen Feuer, und lassen bald |
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Weit hinter sich den Heimatwald. |
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Sie sehen Kerzenlicht, ich glaube |
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In einer erleuchteten Gartenlaube; |
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Und die Verliebten, mit blindem Mut |
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Stürzen sie sich in die Kerzenglut. |
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Knisternd verzehrten die Flammen der Kerzen |
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Die Käfer und ihre liebenden Herzen; |
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Die einen büßten das Leben ein, |
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Die andern nur die Flügelein. |
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O wehe dem Käfer, welchem verbrannt |
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Die Flügel sind! Im fremden Land |
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Muß er wie ein Wurm am Boden kriechen, |
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Mit feuchten Insekten, die häßlich riechen. |
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»Die schlechte Gesellschaft«, hört man ihn klagen, |
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»Ist im Exil die schlimmste der Plagen. |
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Wir müssen verkehren mit einer Schar |
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Von Ungeziefer, von Wanzen sogar, |
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Die uns behandeln als Kameraden, |
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Weil wir im selben Schmutze waten |
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Drob klagte schon der Schüler Virgils, |
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Der Dichter der Hölle und des Exils. |
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Ich denke mit Gram an die bessere Zeit, |
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Wo ich mit beflügelter Herrlichkeit |
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Im Heimatäther gegaukelt, |
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Auf Sonnenblumen geschaukelt, |
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Aus Rosenkelchen Nahrung sog |
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Und vornehm war, und Umgang pflog |
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Mit Schmetterlingen von adligem Sinn, |
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Und mit der Zikade, der Künstlerin |
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Jetzt sind meine armen Flügel verbrannt; |
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Ich kann nicht zurück ins Vaterland, |
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Ich bin ein Wurm, und ich verrecke |
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Und ich verfaule im fremden Drecke. |
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Oh, daß ich nie gesehen hätt |
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Die Wasserfliege, die blaue Kokett' |
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Mit ihrer feinen Taille |
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Die schöne, falsche Kanaille!« |
Details zum Gedicht „Die Libelle“
Heinrich Heine
15
60
330
1797 - 1856
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Libelle“ wurde von Heinrich Heine (1797-1856) verfasst, einem der bedeutendsten Dichter der deutschen Sprache. Zeitlich fällt Heine in die Epoche des „Jungen Deutschland“ im 19. Jahrhundert, in der Lyrik realitätsgestützt und gesellschaftskritisch war.
Beim ersten Durchlesen sticht eine faszinierende Mischung aus Romantik und Tragik hervor, verborgen hinter einer scheinbar leichten Fabel über Insekten. Das Gedicht erzählt die Geschichte einer ansprechenden Libelle, die die Bewunderung vieler junger Käfer auf sich zieht. Sie verleitet diese dazu, für sie Feuer zu holen, auf ihrer Suche danach verbrennen sie und enden entweder tot oder entstellt und in der Fremde verbannt.
Das lyrische Ich drückt seine Verzweiflung und sein Bedauern über die verlorene Vergangenheit aus und bereut, der Libelle und ihrer Verführung erlegen zu sein. Das lyrische Ich repräsentiert hier einen Käfer und nicht den Dichter selbst oder einen Menschen.
Formal ist das Gedicht in vierzeilige Strophen mit Kreuzreim gegliedert. Der geregelte Rhythmus und Reimschema erzeugen einen fließenden, manchmal fast schwärmerischen Ton, der dann jedoch durch die tragische Erzählung gebrochen wird. Die Sprache ist bildhaft, mit starken und farbigen visuellen Beschreibungen.
Thematisch betrachtet kritisiert Heine hier vorgebliche Verführungen und die Resultate unbedachten Begehrens, symbolisiert durch die Libelle und die unglücklichen Käfer. Die Libelle erscheint als Femme Fatale, die ihre Verehrer zum Verderben führt. Es könnte auch als Kritik an gesellschaftlichen Normen und Konventionen gesehen werden, indem es die verheerenden Auswirkungen blinden Konformismus und unüberlegter Hingabe darstellt.
Darüber hinaus könnte der Kontext des Lebens von Heine eine weitere Lesart bieten, der aufgrund seiner politischen Ansichten und jüdischen Wurzeln in Deutschland stigmatisiert und schließlich ins Exil nach Paris geschickt wurde. Daher könnte das Gedicht auch als Kommentar zu Heines persönlichem Leid und den Konsequenzen des Exils gesehen werden.
Insgesamt ist „Die Libelle“ ein tiefsinniges und ergreifendes Gedicht, das universelle Themen von Begehren, Verführung und den bitteren Folgen unbedachter Entscheidungen behandelt. Aber auch spezifischer könnten hier gesellschaftliche und persönliche Erfahrungen Heines mitschwingen. Es zeigt die Fähigkeit von Heine, hinter der scheinbar einfachen Erzählung von Insekten tiefgründige menschliche Emotionen und soziale Kritik zu verbergen.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Die Libelle“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Heine. Geboren wurde Heine im Jahr 1797 in Düsseldorf. Im Zeitraum zwischen 1813 und 1856 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 330 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 60 Versen mit insgesamt 15 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Ach, ich sehne mich nach Thränen“, „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“ und „Ahnung“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Libelle“ weitere 535 Gedichte vor.
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