Der neue Alexander von Heinrich Heine
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I |
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Es ist ein König in Thule, der trinkt |
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Champagner, es geht ihm nichts drüber; |
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Und wenn er seinen Champagner trinkt, |
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Dann gehen die Augen ihm über. |
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Die Ritter sitzen um ihn her, |
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Die ganze Historische Schule; |
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Ihm aber wird die Zunge schwer, |
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Es lallt der König von Thule: |
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»Als Alexander, der Griechenheld, |
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Mit seinem kleinen Haufen |
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Erobert hatte die ganze Welt, |
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Da gab er sich ans Saufen. |
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Ihn hatten so durstig gemacht der Krieg |
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Und die Schlachten, die er geschlagen; |
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Er soff sich zu Tode nach dem Sieg, |
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Er konnte nicht viel vertragen. |
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Ich aber bin ein stärkerer Mann |
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Und habe mich klüger besonnen: |
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Wie jener endete, fang ich an, |
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Ich hab mit dem Trinken begonnen. |
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Im Rausche wird der Heldenzug |
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Mir später weit besser gelingen; |
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Dann werde ich, taumelnd von Krug zu Krug, |
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Die ganze Welt bezwingen.« |
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II |
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Da sitzt er und schwatzt, mit lallender Zung', |
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Der neue Alexander; |
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Den Plan der Welteroberung, |
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Den setzt er auseinander: |
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»Lothringen und Elsaß, das weiß ich längst, |
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Die fallen uns zu von selber; |
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Der Stute folgt am End' der Hengst, |
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Es folgen der Kuh die Kälber. |
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Mich lockt die Champagne, das beßre Land, |
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Wo jene Reben sprießen, |
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Die lieblich erleuchten unsern Verstand |
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Und uns das Leben versüßen. |
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Hier soll sich erproben mein Kriegesmut, |
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Hier soll der Feldzug beginnen; |
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Es knallen die Pfropfen, das weiße Blut |
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Wird aus den Flaschen rinnen. |
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Hier wird mein junges Heldentum |
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Bis zu den Sternen moussieren! |
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Ich aber verfolge meinen Ruhm, |
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Ich will auf Paris marschieren. |
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Dort vor der Barriere mach ich halt, |
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Denn vor den Barrierepforten, |
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Da wird kein Oktroi bezahlt |
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Für Wein von allen Sorten.« |
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III |
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»Mein Lehrer, mein Aristoteles, |
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Der war zuerst ein Pfäffchen |
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Von der französischen Kolonie, |
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Und trug ein weißes Beffchen. |
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Er hat nachher als Philosoph |
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Vermittelt die Extreme, |
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Und leider Gottes! hat er mich |
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Erzogen nach seinem Systeme. |
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Ich ward ein Zwitter, ein Mittelding, |
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Das weder Fleisch noch Fisch ist, |
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Das von den Extremen unserer Zeit |
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Ein närrisches Gemisch ist. |
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Ich bin nicht schlecht, ich bin nicht gut, |
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Nicht dumm und nicht gescheute, |
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Und wenn ich gestern vorwärts ging, |
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So geh ich rückwärts heute; |
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Ein aufgeklärter Obskurant, |
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Und weder Hengst noch Stute! |
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Ja, ich begeistre mich zugleich |
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Für Sophokles und die Knute. |
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Herr Jesus ist meine Zuversicht, |
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Doch auch den Bacchus nehme |
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Ich mir zum Tröster, vermittelnd stets |
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Die beiden Götterextreme.« |
Details zum Gedicht „Der neue Alexander“
Heinrich Heine
19
75
390
1797 - 1856
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
„Der neue Alexander“ ist ein Gedicht von Heinrich Heine, einem der bedeutendsten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Durch die Biographie Heines können wir das Gedicht in die Jahre um 1840 zeitlich einordnen.
Das Gedicht erzählt von einem „neuen Alexander“, der einen Heldenmythos kritisch uminterpretiert. Der erste Eindruck ist von Wortwitz, Ironie und Sarkasmus geprägt. Es wirkt als humoristische Parodie.
Inhaltlich schildert der Sprecher, der König von Thule, seine Absicht, seine Kampagne der „Welteroberung“ mit dem Trinken von Champagner zu beginnen, im Gegensatz zu Alexander dem Großen, der erst nach seinen Siegen zu trinken begann. Der König behauptet, er werde einen besseren Kriegszug im Rausch führen. Die Kriegsziele sind humorvoll als die Champagne und Paris dargestellt – Orte, die für ihren Wein berühmt sind.
Sprachlich und formal ist das Gedicht durch Heines typischen pointierten Stil und lyrischen Witz geprägt. Die Verse sind meist vierzeilig, manchmal fünf- oder achtsilbig; sie folgen ungefähr dem Jambus oder dem Trochäus. Es gibt eine formale Struktur, in der sich bestimmte Motive wiederholen, jedoch fehlt ein regelmäßiges Reimschema.
Die „König von Thule„-Figur und die Anspielung auf den Mythos von Alexander dem Großen sind für Heines satirische Darstellung von Macht und Eroberung verwendet. Die Inversion des berühmten Musters, nach dem ein Held nach dem Sieg seine Erfolge mit Alkohol feiert, stellt die traditionellen heroischen Geschichten in Frage. Der König von Thule behauptet, er werde den „Heldenzug“ im Rausch besser führen, was eine satirische Kritik an heroischen Eroberungen ist.
Zusammengefasst interpretiert das Gedicht das Phänomen des Kriegs und der Eroberung auf humorvolle und ironische Weise. Es parodiert die heroischen Erzählungen, indem es zeigt, dass die „neuen Helden“ ihre Kampagnen mit Alkoholkonsum beginnen und den Krieg mit Weinflaschen statt mit Schwertern führen.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der neue Alexander“ ist Heinrich Heine. Der Autor Heinrich Heine wurde 1797 in Düsseldorf geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1813 und 1856. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 390 Wörter. Es baut sich aus 19 Strophen auf und besteht aus 75 Versen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Heine sind „Als ich, auf der Reise, zufällig“, „Alte Rose“ und „Altes Lied“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der neue Alexander“ weitere 535 Gedichte vor.
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