Der Teetisch von Annette von Droste-Hülshoff

Leugnen willst du Zaubertränke,
Lachst mir höhnisch in die Zähne,
Wenn Isoldens ich gedenke,
Wenn Gudrunens ich erwähne?
 
Und was deine kluge Amme
In der Dämmrung dir vertraute,
Von Schneewittchen und der Flamme,
Die den Hexenschwaden braute;
 
Alles will dir nicht genügen,
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Überweiser Mückensieber?
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Nun, so laß die Feder liegen,
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Schieb dich in den Zirkel, Lieber,
 
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Wo des zopfigen Chinesen
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Trank im Silberkessel zischet,
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Sein Aroma auserlesen
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Mit des Patschuls Düften mischet;
 
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Wo ein schöner Geist, den Bogen
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Feingefältelt in der Tasche,
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Lauscht wie in den Redewogen
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Er das Steuer sich erhasche;
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Wo in zarten Händen hörbar
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Blanke Nadelstäbe knittern,
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Und die Herren stramm und ehrbar
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Breiten ihrer Weisheit Flittern.
 
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Alles scheint dir noch gewöhnlich,
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Von der Sohle bis zum Scheitel,
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Und du rufst, dem Weisen ähnlich:
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»Alles unterm Mond ist eitel!«
 
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Dir genüber und zur Seite
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Hier Christinos, dort Carlisten,
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Lauter ordinäre Leute,
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Deutsche Michel, gute Christen!
 
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Aber sieh die weißen schmalen
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Finger sich zum Griff bereiten,
35 
Und die dampfumhüllten Schalen
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Zierlich an die Lippen gleiten:
 
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Noch Minuten - und die Stube
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Ist zum Kiosk umgestaltet,
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Wo der tränenreiche Bube,
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Der Chinese zaubernd waltet;
 
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Von der rosenfarbnen Rolle
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Liest er seine Zauberreime,
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Verse, zart wie Seidenwolle,
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Süß wie Jungfernhonigseime;
 
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»Ting, tang, tong« - das steigt und sinket,
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Welch Gesäusel, welches Zischen!
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Wie ein irres Hündlein hinket
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Noch ein deutsches Wort dazwischen.
 
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Und die süßen Damen lächeln,
50 
Leise schaukelnde Pagoden;,
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Wie sie nicken, wie sie fächeln,
52 
Wie der Knäuel hüpft am Boden!
 
53 
Aber, weh, nun wird's gefährlich,
54 
»Tschi, tsi, tsung« - Die Töne schneiden,
55 
Schnell hinweg die Messer! schwerlich
56 
Übersteht er solche Leiden;
 
57 
Denn er schaukelt und er dehnet
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Ob der Zauberschale Rauche;
59 
Weh, ich fürcht' am Boden stöhnet
60 
Bald er mit geschlitztem Bauche!
 
61 
Und die eingeschreckten Frauen
62 
Sitzen stumm und abgetakelt,
63 
Nur das schwanke Haupt vor Grauen
64 
Noch im Pendelschwunge wackelt;
65 
Tiefe Stille im Gemache
66 
Trän' im Auge - Kummermiene,
67 
Und wie Glöckchen an dem Dache
68 
Spielt die siedende Maschine;
 
69 
Alle die gesenkten Köpfe
70 
Blinzelnd nach des Tisches Mitten,
71 
Wo die Brezel stehn, wie Zöpfe
72 
In Verzweiflung abgeschnitten;
 
73 
Suche sacht nach deinem Hute,
74 
Freund, entschleiche unterm Lesen,
75 
Sonst, ich schwör's bei meinem Blute,
76 
Zaubern sie dich zum Chinesen,
 
77 
Löst sich deines Frackes Wedel,
78 
Unwillkürlich mußt du zischen,
79 
Und von deinem weißen Schädel
80 
Fühlst du Haar um Haar entwischen,
 
81 
Bis dir blieb nur eine Locke
82 
Von des dunklen Wulstes Drängen,
83 
Dich damit, lebend'ge Glocke,
84 
An dem Kiosk aufzuhängen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.5 KB)

Details zum Gedicht „Der Teetisch“

Anzahl Strophen
19
Anzahl Verse
84
Anzahl Wörter
398
Entstehungsjahr
1797 - 1848
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht „Der Teetisch“ wurde von Annette von Droste-Hülshoff verfasst, einer deutschen Schriftstellerin der Biedermeierzeit. Sie lebte von 1797 bis 1848, daher kann man dieses Gedicht in die Phase des frühen 19. Jahrhunderts einordnen.

Der erste Eindruck, den das Gedicht hinterlässt, ist recht gemischt und erstreckt sich von überraschend und humorvoll bis hin zu sarkastisch und kritisch.

Die Hauptidee des Gedichtes ist die Darstellung und Kritik kultureller Gebräuche und des gesellschaftlichen Lebens im 19. Jahrhundert, insbesondere der verschiedenen Aspekte der Teezeremonie und der damit verbundenen Gespräche und Aktivitäten. Das lyrische Ich scheint versuchen zu wollen, dem Adressaten die scheinbare Oberflächlichkeit und Banalität dieser Vorgänge deutlich zu machen, und stellt die Kritik durch Folklore-Referenzen und humorvolle Vergleiche dar.

In Bezug auf die Form enthält das Gedicht insgesamt 19 Vierzeiler-Strophen. Es scheint eine spezifische Versform zu folgen, da jede Strophe aus vier Versen besteht, und es folgt auch einer regelmäßigen Reimstruktur.

Die Sprache von Droste-Hülshoff ist voller poetischer Bilder und starker Kontraste. Sie verwendet Allusionen auf Märchen und Heldensagen wie die der Figur Isolde und kritisiert die Gesellschaft satirisch. Sie stellt Gespräche dar, die sich aus Klatsch, Tratsch und banaler Alltagspolitik zusammensetzen und verwendet humorvolle Metaphern, um das Verhalten der an der Teezeremonie teilnehmenden Gesellschaft zu charakterisieren.

Insgesamt wird das Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff als eine Art satirische Kritik an der Gesellschaft ihrer Zeit interpretiert, die sich in den scheinbar oberflächlichen und trivialen Handlungen und Gesprächen manifestiert, die in der ritualisierten Form des gesellschaftlichen Tee-Kränzchens stattfinden. Dabei verwendet sie geschickt eine Vielzahl von poetischen Bildern, Folklore-Referenzen und humorvollen Vergleichen, um ihre Kritik darzustellen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Teetisch“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Annette von Droste-Hülshoff. Geboren wurde Droste-Hülshoff im Jahr 1797 . Das Gedicht ist in der Zeit von 1813 bis 1848 entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht der Epoche Biedermeier zuordnen. Bei der Schriftstellerin Droste-Hülshoff handelt es sich um eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 398 Wörter. Es baut sich aus 19 Strophen auf und besteht aus 84 Versen. Die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff ist auch die Autorin für Gedichte wie „An einen Freund“, „Letzte Worte“ und „Im Grase“. Zur Autorin des Gedichtes „Der Teetisch“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 123 Gedichte vor.

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