Vor uns her trottet der Führer von Marie Eugenie Delle Grazie
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Vor uns her |
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Trottet der Führer: schwatzend |
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Und wiederkauend, ein kläglich-drolliger Staarmatz, |
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Den Noth und Hunger Weisheit gelehrt! |
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Ich aber – |
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Ich lausch’ ihm nicht: was sollen mir Namen, wo |
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Das Schicksal riesengroß sich eingezeichnet, |
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Und lapidar der Tod |
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Sein schwarzes „Amen!“ schrieb in’s blühende Leben? |
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Sein ist |
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Noch heut’ Pompeji – und wenn auch |
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Dem Licht gegeben – sein ist’s |
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Und seine Medusenzüge trägt’s, |
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Die herzbeklemmenden, wahnsinnstarren, |
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Die fürchterlichen Züge des Todes! |
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Ihr habt ihm’s |
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Vom Herzen geraubt und dem Schooß der Verwesung entrissen, |
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Mit wühlender Neugier habt ihr’s |
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Emporgehoben und sein Riesenwerk |
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In eurer Sprache getauft, |
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Und seine Riesenthat |
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Mit euren Spaten besudelt – |
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Ihr Thoren – ihr Pygmäen – und er litt’s! |
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Er litt es und spie euch wie zum Hohn |
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Noch Euresgleichen herauf: |
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Vermorschte Kadaver und |
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Entflieh’nde, die um eines Schrittes Breite |
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Wie Bestien gekämpft; |
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Vergessene Götter, |
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Gestürzte Altäre |
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Und das, worum ihr noch heute kämpft |
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Und mordet, und im Schweiß eures Angesichtes |
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Euch mühen werdet durch alle Zeiten – Brot.... |
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Ihr aber, |
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Ihr trippelt nun durch seine Ruinen, |
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Und staunt, |
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Und schaudert, |
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Und fühlt nur Ein’s nicht: seinen göttlichen Hohn! |
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Und deutet nur Ein’s euch nicht: das trauernde Mahnen |
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Der holden Natur, darein ihr dies Zerrbild gestellt, |
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Die mütterlich |
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Den Tod euch verhüllt und über |
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Die Schrecken der Tiefe die schimmernden Meere gespannt, |
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Mit liebreichem Sonnen-Antlitz |
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Euren kindischen Hochmuth schaut |
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Und herübergrüßt wie versöhnend |
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Mit dem grünen Sorrent und dem prächt’gen Camaldoli! |
Details zum Gedicht „Vor uns her trottet der Führer“
5
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240
1892
Realismus
Gedicht-Analyse
Der Autorin des Gedichts „Vor uns her trottet der Führer“ ist Marie Eugenie Delle Grazie. Sie ist eine österreichische Schriftstellerin die von 1864 bis 1931 gelebt hat und somit in der Epoche des Realismus, aber auch bereits in der Zeit des Expressionismus wirksam war.
Beim ersten Lesen des Gedichts wird der Leser mit eher melancholischen und nachdenklichen Stimmungen konfrontiert. Das lyrische Ich scheint einerseits eine gewisse Distanz zu der von jemandem vorgegebenen Richtung zu haben, andererseits aber auch eine tiefsinnige Auseinandersetzung mit Themen wie Tod und Schicksal anzudeuten.
Inhaltlich geht es in dem Gedicht um das lyrische Ich, das sich von einem Führer, symbolisch als Reiseführer dargestellt, durch die Ruinen der antiken Stadt Pompeji geleitet sieht. Dieser Führer wird jedoch als oberflächlich und kaum wissend dargestellt. In der Zwischenzeit hat das lyrische Ich eine eher reflektive und tiefere Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Bedeutung des Orts. Es kontrastiert die flüchtige, geringfügige Betrachtung von historischen Namen und Daten mit dem eindrucksvollen, beinah greifbaren Gefühl des Schicksals und des Todes, die an diesem Ort präsent sind. Die letzte Strophe des Gedichts deutet darauf hin, dass die Ruinen von Pompeji eine Warnung darstellen sollten und stellt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Folgen von Hochmut und Arroganz dar.
Formal besteht das Gedicht aus fünf Strophen mit unterschiedlicher Länge. Die Verse sind freie Verse ohne festes Reimschema oder Metrik, ein Merkmal, das zum Expressionismus passt. Die Sprache des Gedichts ist sehr bildreich und metaphorisch, was die Stimmung und die Themen des Gedichts stark unterstützt. Mit Worten wie „Forcherlichen Züge des Todes“ oder „vermorschte Kadaver“ schafft die Autorin ein kraftvolles und wirksames Bild der Zerstörung durch den Tod, das zum Nachdenken anregt.
Weitere Informationen
Marie Eugenie Delle Grazie ist die Autorin des Gedichtes „Vor uns her trottet der Führer“. 1864 wurde Delle Grazie in Weißkirchen (Bela Crkva) geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1892. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her der Epoche Realismus zuordnen. Delle Grazie ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 240 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 47 Versen. Die Gedichte „Arco naturale“, „Atlantis“ und „Beatrice Cenci“ sind weitere Werke der Autorin Marie Eugenie Delle Grazie. Zur Autorin des Gedichtes „Vor uns her trottet der Führer“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 71 Gedichte vor.
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Zum Autor Marie Eugenie Delle Grazie sind auf abi-pur.de 71 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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