Rückschau von Heinrich Heine

Ich habe gerochen alle Gerüche
In dieser holden Erdenküche;
Was man genießen kann in der Welt,
Das hab’ ich genossen wie je ein Held!
Hab’ Kaffee getrunken, hab’ Kuchen gegessen,
Hab’ manche schöne Puppe besessen;
Trug seidne Westen, den feinsten Frack,
Mir klingelten auch Dukaten im Sack.
Wie Gellert ritt ich auf hohem Roß;
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Ich hatte ein Haus, ich hatte ein Schloß.
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Ich lag auf der grünen Wiese des Glücks,
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Die Sonne grüßte goldigsten Blicks;
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Ein Lorbeerkranz umschloß die Stirn,
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Er duftete Träume mir in’s Gehirn,
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Träume von Rosen und ewigem May –
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Es ward mir so selig zu Sinne dabei,
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So dämmersüchtig, so sterbefaul –
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Mir flogen gebrat’ne Tauben in’s Maul,
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Und Englein kamen, und aus den Taschen
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Sie zogen hervor Champagnerflaschen –
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Das waren Visionen, Seifenblasen, –
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Sie platzten – Jetzt lieg’ ich auf feuchtem Rasen,
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Die Glieder sind mir rheumatisch gelähmt,
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Und meine Seele ist tief beschämt.
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Ach, jede Lust, ach, jeden Genuß
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Hab’ ich erkauft durch herben Verdruß;
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Ich ward getränkt mit Bitternissen
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Und grausam von den Wanzen gebissen;
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Ich ward bedrängt von schwarzen Sorgen,
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Ich mußte lügen, ich mußte borgen
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Bei reichen Buben und alten Vetteln –
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Ich glaube sogar, ich mußte betteln.
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Jetzt bin ich müd’ vom Rennen und Laufen,
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Jetzt will ich mich im Grabe verschnaufen.
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Lebt wohl! Dort oben, ihr christlichen Brüder,
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Ja, das versteht sich, dort sehn wir uns wieder.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Rückschau“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
226
Entstehungsjahr
1851
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Rückschau“ wurde von dem deutschen Dichter Heinrich Heine verfasst, der von 1797 bis 1856 lebte. Heine gilt als einer der bedeutendsten deutschen Lyriker und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts und ist Teil der Romantik sowie der politischen und kritischen Dichtung der Zeit.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine introspektive Reise in die Vergangenheit zu sein, geschrieben aus der Perspektive des lyrischen Ichs, welches eine Bilanz seines Lebens zieht. Der Ton des Gedichts scheint zunächst heiter und selbstsicher, wird jedoch im Verlauf immer melancholischer und resignierter.

Der Inhalt des Gedichts beginnt mit der Darstellung des idyllischen und luxuriösen Lebens, das das lyrische Ich geführt hat. Es erzählt von köstlichem Essen, reicher Kleidung, Besitz und Ansehen. Es schmückt sich mit Lorbeerkranz und visualisiert eine Art paradiesische Szenerie. Aber diese Illusion bricht schnell zusammen. Das lyrische Ich beschreibt, wie die Vergnügungen und der Luxus, den es genossen hat, mit Kummer und Schmerz erkauft wurden. Es berichtet von Schulden, Lügen, Betteln und endet mit der Erkenntnis, dass es müde ist und sich nach Ruhe sehnt, was als ein Wunsch nach Tod interpretiert werden kann. In den letzten Zeilen verabschiedet sich das lyrische Ich von den „christlichen Brüdern“, wobei das Gedicht mit der Idee eines Wiedersehens im Jenseits endet.

Form und Sprache des Gedichts sind charakteristisch für Heines Schreibstil. Das Gedicht hat 36 Verse, wobei die Verse nicht streng gereimt sind, sondern eher einen freien Rhythmus haben. Die Sprache ist klar und bildreich, mit starken visuellen und sensorischen Darstellungen. Heine nutzt Ironie und Sarkasmus, um die Kontraste zwischen dem scheinbar idyllischen Leben und den bitteren Realitäten aufzuzeigen. Er greift Themen wie Genußsucht, Eitelkeit und falsche Selbstdarstellung auf, die besonders in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts relevant waren und stellt gleichzeitig die Vergänglichkeit und letztlich den Preis von Reichtum und Ansehen dar.

Weitere Informationen

Heinrich Heine ist der Autor des Gedichtes „Rückschau“. Der Autor Heinrich Heine wurde 1797 in Düsseldorf geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1851. Der Erscheinungsort ist Hamburg. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz zu. Bei dem Schriftsteller Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 36 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 226 Worte. Weitere Werke des Dichters Heinrich Heine sind „Ach, die Augen sind es wieder“, „Ach, ich sehne mich nach Thränen“ und „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“. Zum Autor des Gedichtes „Rückschau“ haben wir auf abi-pur.de weitere 535 Gedichte veröffentlicht.

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