Nächtliche Fahrt von Heinrich Heine
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Es wogt das Meer, aus dem dunkeln Gewölk |
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Der Halbmond lugte scheu; |
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Und als wir stiegen in den Kahn, |
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Wir waren unsrer drei. |
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Es plätschert’ im Wasser des Ruderschlag’s |
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Verdrossenes Einerlei; |
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Weißschäumende Wellen rauschten heran, |
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Bespritzten uns alle drei. |
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Sie stand im Kahn so blaß, so schlank, |
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Und unbeweglich dabei, |
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Als wär’ sie ein welsches Marmorbild, |
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Dianens Conterfei. |
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Der Mond verbirgt sich ganz. Es pfeift |
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Der Nachtwind kalt vorbei; |
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Hoch über unsern Häuptern ertönt |
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Plötzlich ein gellender Schrei. |
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Die weiße, gespenstische Möve war’s, |
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Und ob dem bösen Schrei, |
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Der schauerlich klang wie Warnungsruf, |
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Erschraken wir alle drei. |
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Bin ich im Fieber? Ist das ein Spuk |
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Der nächtlichen Phantasei? |
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Aefft mich ein Traum? Es träumet mir |
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Grausame Narrethei. |
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Grausame Narrethei! Mir träumt |
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Daß ich ein Heiland sei, |
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Und daß ich trüge das große Kreuz |
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Geduldig und getreu. |
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Die arme Schönheit ist schwer bedrängt, |
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Ich aber mache sie frei |
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Von Schmach und Sünde, von Qual und Noth, |
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Von der Welt Unflätherei. |
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Du arme Schönheit, schaudre nicht |
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Wohl ob der bittern Arznei; |
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Ich selber kredenze dir den Tod, |
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Bricht auch mein Herz entzwei. |
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O Narrethei, grausamer Traum, |
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Wahnsinn und Raserei! |
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Es gähnt die Nacht, es kreischt das Meer, |
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O Gott! o steh’ mir bei! |
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O steh’ mir bei, barmherziger Gott! |
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Barmherziger Gott Schaddey! |
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Da schollert’s hinab in’s Meer – O Weh – |
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Schaddey! Schaddey! Adonay! – |
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Die Sonne ging auf, wir fuhren an’s Land, |
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Da blühte und glühte der Mai! |
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Und als wir stiegen aus dem Kahn, |
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Da waren wir unsrer zwei. |
Details zum Gedicht „Nächtliche Fahrt“
Heinrich Heine
12
48
251
1851
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Nächtliche Fahrt“ wurde von Heinrich Heine verfasst, einem prominenten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Er lebte von 1797 bis 1856, somit lässt sich das Gedicht in die Epoche der Romantik einordnen.
Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht düster und mysteriös. Es beschreibt eine Bootsfahrt bei Nacht, die gespenstisch und unheimlich erscheint. Die Atmosphäre ist geprägt von Dunkelheit, Kälte und Unbehagen.
Inhaltlich erleben wir eine dramatische, nächtliche Bootsfahrt, an der drei Personen teilnehmen. Unter ihnen ist eine Frau, die als blass und regungslos beschrieben wird. Während der Fahrt treten unheimliche Ereignisse auf, wie ein plötzlicher, gellender Schrei und der drohende Warnungsruf einer Möwe. Das lyrische Ich befindet sich in einem Zustand der Verwirrung und Angst, es scheint an seinem Verstand zu zweifeln, spricht von Fieber, Träumen und Wahnsinn. Außerdem hat es das Gefühl, eine messianische Rolle zu spielen, indem es die Frau vor ihrer Not retten will. Schließlich endet die Bootsfahrt und sie sind nur noch zu zweit, was darauf hindeutet, dass etwas tragisches geschehen sein muss.
In Bezug auf die Form fällt auf, dass das Gedicht aus zwölf Strophen besteht, die jeweils vier Verse haben. Diese regelmäßige Struktur sorgt für einen Fluss im Gedicht, während das dunkle Thema einen Kontrast dazu bildet.
Die Sprache des Gedichts ist bildreich und dramatisch. Es wird eine Atmosphäre der Angst und Verwirrung erzeugt durch Begriffe wie „verdrossenes Einerlei“, „weißschäumende Wellen“, „böser Schrei“ oder „grausame Narrethei“. Der Gebrauch von antiken Begriffen wie „welsche“ oder „Dianens Conterfei“ verleiht dem Gedicht eine historische Note, während biblische Anspielungen durch die Nennung von „Heiland“, „großes Kreuz“ und „Schaddey, Adonay“ eine spirituelle Ebene hinzufügen. Diese Elemente tragen zur Steigerung der Spannung und Zum Ausdruck der inneren Zerrissenheit des lyrischen Ichs bei.
Zusammengefasst könnte man sagen, dass „Nächtliche Fahrt“ eine tiefe Studie menschlicher Angst und Verwirrung ist, die durch eine geheimnisvolle und unheimliche Bootsfahrt symbolisiert wird. Heines meisterhafter Einsatz von Sprache und Struktur vermittelt das Gefühl von Isolation und wahnsinniger Verzweiflung auf eindrucksvolle Weise.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Nächtliche Fahrt“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Heine. Geboren wurde Heine im Jahr 1797 in Düsseldorf. Im Jahr 1851 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Hamburg. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 12 Strophen und umfasst dabei 251 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Ach, ich sehne mich nach Thränen“, „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“ und „Ahnung“. Zum Autor des Gedichtes „Nächtliche Fahrt“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 535 Gedichte vor.
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