Zu den römischen Elegien von Johann Wolfgang von Goethe

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Mehr, als ich ahndete, schön, das Glück, es ist mir geworden:
Amor führte mich klug allen Palästen vorbei.
Ihm ist es lange bekannt, auch hab ich es selbst wohl erfahren,
Was ein goldnes Gemach hinter Tapeten verbirgt.
Nennet blind ihn und Knaben und ungezogen: ich kenne,
Kluger Amor, dich wohl, nimmer bestechlicher Gott!
Uns verführten sie nicht, die majestät'schen Fassaden,
Nicht der galante Balkon, weder das ernste Cortil.
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Eilig ging es vorbei, und niedre, zierliche Pforte
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Nahm den Führer zugleich, nahm den Verlangenden auf.
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Alles verschafft er mir da, hilft alles und alles erhalten,
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Streuet jeglichen Tag frischere Rosen mir auf.
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Hab ich den Himmel nicht hier? - Was gibst du, schöne Borghese,
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Nipotina, was gibst deinem Geliebten du mehr?
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Tafel, Gesellschaft und Cors und Spiel und Oper und Bälle,
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Amorn rauben sie nur oft die gelegenste Zeit.
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Ekel bleibt mir Gezier und Putz, und hebet am Ende
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Sich ein brokatener Rock nicht wie ein wollener auf?
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Oder will sie bequem den Freund im Busen verbergen,
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Wünscht er von alle dem Schmuck nicht schon behend sie befreit?
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Müssen nicht jene Juwelen und Spitzen, Polster und Fischbein
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Alle zusammen herab, eh er die Liebliche fühlt?
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Näher haben wir das! Schon fällt dein wollenes Kleidchen,
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So wie der Freund es gelöst, faltig zum Boden hinab.
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Eilig trägt er das Kind in leichter, linnener Hülle,
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Wie es der Amme geziemt, scherzend aufs Lager hinan.
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Ohne das seidne Gehäng und ohne gestickte Matratzen
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Stehet es, zweien bequem, frei in dem weiten Gemach.
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Nehme dann Jupiter mehr von seiner Juno, es lasse
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Wohler sich, wenn er es kann, irgendein Sterblicher sein:
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Uns ergötzen die Freuden des echten, nacketen Amors
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Und des geschaukelten Betts lieblicher, knarrender Ton.
 
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Zwei gefährliche Schlangen, vom Chore der Dichter gescholten,
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Grausend nennt sie die Welt Jahre die Tausende schon:
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Python, dich, und dich, Lernäischer Drache! Doch seid ihr
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Durch die rüstige Hand tätiger Götter gefällt.
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Ihr zerstöret nicht mehr mit feurigem Atem und Geifer
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Herde, Wiesen und Wald, goldene Saaten nicht mehr.
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Doch welch ein feindlicher Gott hat uns im Zorne die neue
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Ungeheure Geburt giftigen Schlammes gesandt?
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Überall schleicht er sich ein, und in den lieblichsten Gärtchen
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Lauert tückisch der Wurm, packt den Genießenden an.
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Sei mir, Hesperischer Drache, gegrüßt: du zeigtest dich mutig,
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Du verteidigtest kühn goldener Äpfel Besitz!
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Aber dieser verteidiget nichts - und wo er sich findet
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Sind die Gärten, die Frucht keiner Verteidigung wert.
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Heimlich krümmet er sich im Busche, besudelt die Quellen,
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Geifert, wandelt in Gift Amors belebenden Tau.
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O wie glücklich warst du, Lukrez! du konntest der Liebe
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Ganz entsagen und dich jeglichem Körper vertraun.
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Selig warst du, Properz! dir holte der Sklave die Dirnen
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Vom Aventinus herab, aus dem Tarpeischen Hain
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Und wenn Cynthia dich aus jenen Umarmungen schreckte,
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Untreu fand sie dich zwar, aber sie fand dich gesund.
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Jetzt wer hütet sich nicht, langweilige Treue zu brechen!
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Wen die Liebe nicht hält, hält die Besorglichkeit auf.
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Und auch da, wer weiß! gewagt ist jegliche Freude,
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Nirgend legt man das Haupt ruhig dem Weib in den Schoß.
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Sicher ist nicht das Ehbett mehr, nicht sicher der Ehbruch;
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Gatte, Gattin und Freund: eins ist im andern verletzt.
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O der goldenen Zeit, da Jupiter noch vom Olympus
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Sich zu Semele bald, bald zu Callisto begab!
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Ihm lag selber daran, die Schwelle des heiligen Tempels
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Rein zu finden, den er liebend und mächtig betrat.
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O wie hätte Juno getobt, wenn im Streite der Liebe
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Gegen sie der Gemahl giftige Waffen gekehrt.
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Doch wir sind nicht so ganz, wir alte Heiden, verlassen,
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Immer schwebet ein Gott über der Erde noch hin,
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Eilig und geschäftig, ihr kennt ihn alle, verehrt ihn,
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Ihn, den Boten des Zeus, Hermes, den heilenden Gott.
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Fielen des Vaters Tempel zu Grund, bezeichnen die Säulen
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Paarweis kaum noch den Platz alter, verehrender Pracht,
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Wird des Sohnes Tempel doch stehn, und ewige Zeiten
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Wechselt der Bittende stets dort mit dem Dankenden ab.
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Eins nur fleh ich im stillen, an euch, ihr Grazien, wend ich
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Dieses heiße Gebet tief aus dem Busen herauf:
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Schützet immer mein kleines, mein artiges Gärtchen, entfernet
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Jegliches Übel von mir; reichet mir Amor die Hand,
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O so gebet mir stets, sobald ich dem Schelmen vertraue,
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Ohne Sorgen und Furcht, ohne Gefahr den Genuß.
 
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Hier ist mein Garten bestellt, hier wart ich die Blumen der Liebe,
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Wie sie die Muse gewählt, weislich in Beete verteilt.
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Früchtebringenden Zweig, die goldenen Früchte des Lebens,
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Glücklich pflanzt ich sie an, warte mit Freuden sie nun.
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Stehe du hier an der Seite, Priap! ich habe von Dieben
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Nichts zu befürchten, und frei pflück und genieße, wer mag.
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Nur bemerke die Heuchler, entnervte, verschämte Verbrecher;
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Nahet sich einer und blinzt über den zierlichen Raum,
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Ekelt an Früchten der reinen Natur, so straf ihn von hinten
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Mit dem Pfahle, der dir rot von den Hüften entspringt.
 
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Hinten im Winkel des Gartens, da stand ich, der letzte der Götter,
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Roh gebildet, und schlimm hatte die Zeit mich verletzt.
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Kürbisranken schmiegten sich auf am veralteten Stamme,
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Und schon krachte das Glied unter den Lasten der Frucht.
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Dürres Gereisig neben mir an, dem Winter gewidmet,
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Den ich hasse, denn er schickt mir die Raben aufs Haupt,
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Schändlich mich zu besudeln; der Sommer sendet die Knechte,
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Die, sich entladende, frech zeigen das rohe Gesäß.
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Unflat oben und unten! ich mußte fürchten, ein Unflat
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Selber zu werden, ein Schwamm, faules, verlorenes Holz.
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Nun durch deine Bemühung, o redlicher Künstler, gewinn ich
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Unter Göttern den Platz, der mir und andern gebührt.
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Wer hat Jupiters Thron, den schlechterworbnen, befestigt?
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Farb und Elfenbein, Marmor und Erz und Gedicht.
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Gern erblicken mich nun verständige Männer, und denken
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Mag sich jeder so gern, wie es der Künstler gedacht.
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Nicht das Mädchen entsetzt sich vor mir und nicht die Matrone,
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Häßlich bin ich nicht mehr, bin ungeheuer nur stark.
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Dafür soll dir denn auch halbfußlang die prächtige Rute
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Strotzen vom Mittel herauf, wenn es die Liebste gebeut,
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Soll das Glied nicht ermüden, als bis ihr die Dutzend Figuren
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Durchgenossen, wie sie künstlich Philänis erfand.

Details zum Gedicht „Zu den römischen Elegien“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
116
Anzahl Wörter
995
Entstehungsjahr
1749 - 1832
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Zu den römischen Elegien“ ist Johann Wolfgang von Goethe. Der Autor Johann Wolfgang von Goethe wurde 1749 in Frankfurt am Main geboren. In der Zeit von 1765 bis 1832 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Der Schriftsteller Goethe ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet wird. Die Epoche ordnet sich nach der Literaturepoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Die Vertreter waren meistens junge Autoren, zumeist nicht älter als 30 Jahre. Die Autoren versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) ist einer der bedeutendsten Dichter der Weimarer Klassik. Im Jahr 1786 unternahm Goethe eine Italienreise, diese wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Das Ende der Epoche ist im Jahr 1832 auszumachen. Ausgangspunkt und literarisches Zentrum der Weimarer Klassik (kurz auch oftmals einfach nur Klassik genannt) war Weimar. Die Klassik orientiert sich an traditionellen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Lyrik haben die Autoren auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Beispielsweise war so die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders geschätzt. Des Weiteren verwendeten die Dichter jener Zeit eine pathetische, gehobene Sprache. Die berühmtesten Schriftsteller der Weimarer Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder.

Das vorliegende Gedicht umfasst 995 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 116 Versen. Weitere Werke des Dichters Johann Wolfgang von Goethe sind „Alexis und Dora“, „Am 1. October 1797“ und „Amytnas“. Zum Autor des Gedichtes „Zu den römischen Elegien“ haben wir auf abi-pur.de weitere 1617 Gedichte veröffentlicht.

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