Wiederfinden von Johann Wolfgang von Goethe

Ist es möglich! Stern der Sterne,
Drück ich wieder dich ans Herz!
Ach, was ist die Nacht der Ferne
Für ein Abgrund, für ein Schmerz!
Ja, du bist es! meiner Freuden
Süßer, lieber Widerpart;
Eingedenk vergangner Leiden,
Schaudr' ich vor der Gegenwart.
 
Als die Welt im tiefsten Grunde
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Lag an Gottes ew'ger Brust,
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Ordnet' er die erste Stunde
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Mit erhabner Schöpfungslust,
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Und er sprach das Wort: »Es werde!«
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Da erklang ein schmerzlich Ach!
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Als das All mit Machtgebärde
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In die Wirklichkeiten brach.
 
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Auf tat sich das Licht: so trennte
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Scheu sich Finsternis von ihm,
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Und sogleich die Elemente
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Scheidend auseinander fliehn.
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Rasch, in wilden, wüsten Träumen
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Jedes nach der Weite rang,
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Starr, in ungemeßnen Räumen,
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Ohne Sehnsucht, ohne Klang.
 
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Stumm war alles, still und öde,
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Einsam Gott zum erstenmal!
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Da erschuf er Morgenröte,
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Die erbarmte sich der Qual;
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Sie entwickelte dem Trüben
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Ein erklingend Farbenspiel,
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Und nun konnte wieder lieben,
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Was erst auseinander fiel.
 
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Und mit eiligem Bestreben
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Sucht sich, was sich angehört;
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Und zu ungemeßnem Leben
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Ist Gefühl und Blick gekehrt.
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Sei's Ergreifen, sei es Raffen,
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Wenn es nur sich faßt und hält!
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Allah braucht nicht mehr zu schaffen,
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Wir erschaffen seine Welt.
 
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So, mit morgenroten Flügeln,
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Riß es mich an deinen Mund,
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Und die Nacht mit tausend Siegeln
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Kräftigt sternenhell den Bund.
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Beide sind wir auf der Erde
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Musterhaft in Freud und Qual,
47 
Und ein zweites Wort: Es werde!
48 
Trennt uns nicht zum zweitenmal.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Wiederfinden“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
236
Entstehungsjahr
1749 - 1832
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Wiederfinden“ des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Der Autor Johann Wolfgang von Goethe wurde 1749 in Frankfurt am Main geboren. In der Zeit von 1765 bis 1832 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Goethe handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Der Literaturepoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Rebellieren gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Bei den Schriftstellern handelte es sich meist um Autoren jüngeren Alters. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Klassik ist Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar). Seine Italienreise im Jahr 1786 wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Goethe prägte die Klassik ganz wesentlich. Sein Todesjahr (1832) ist gleichzeitig das Ende dieser Epoche. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind oftmals verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Humanität, Güte, Gerechtigkeit, Toleranz, Gewaltlosigkeit und Harmonie sind die wichtigsten Themen. Die Klassik orientiert sich am antiken Kunstideal. In der Klassik wird eine sehr geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen (Sentenzen) sind oftmals in Werken der Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, setzte man großen Wert auf formale Ordnung und Stabilität. Metrische Ausnahmen befinden sich immer wieder an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die Hauptvertreter der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Goethe und Schiller.

Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 236 Worte. Die Gedichte „An den Selbstherscher“, „An die Entfernte“ und „An die Günstigen“ sind weitere Werke des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Wiederfinden“ weitere 1617 Gedichte vor.

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