Festnacht und Frühgang von Detlev von Liliencron

Schleifende Schleppen und schurrende Schuhe,
wie sie auf spiegelnder Glätte sich drehen,
flatternder Schnurrbart und fliegende Schöße,
wie sie vorüber den Ballmüttern wehen.
Unter kristallenen Kronen und Kerzen
schlagen die Schläfen und hämmern die Herzen,
schimmert der Nacken Geleucht im Gewirre,
funkelt der Steine Geflacker, Geflirre.
Hinter den Tanzenden her, wie die Häscher,
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leicht wie die Falter, die Rosentaunäscher,
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folgen verkappt Amoretten dem Flor.
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Hörner und Harfen und Flöten und Geigen
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fachen die Flammen im lodernden Reigen
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höher empor.
 
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König der Tänze in Schlössern und Scheunen,
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Trübsalverdränger auf Lehm und Parkett,
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Prinz und Plebejer, Student und Philister,
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Bürger und Bauer, Zivil, Epaulette
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alle, sie alle sind von dir begeistert,
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hast du voll Schwung ihren Schlender gemeistert,
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alle sind trunken auf wohligsten Bahnen,
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zeigt die Musik deine lustigen Fahnen.
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Aber die Huldinnen erst auf der Erden
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können nicht glücklicher, sehnender werden,
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treibst du sie an immer zu, immer zu.
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König der Tänze, dem Höchsten, Geringsten,
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Sommers, am Herbsttag, im Winter, zu Pfingsten
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Walzer, bist du.
 
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Und mit dem schönsten, dem fröhlichsten Mädchen
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tanz ich heut Abend zum andernmal schon,
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eben erst traf sie mein leuchtendes Auge
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und meine Seele hob hoch sie zu Thron.
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Aus der Umgürtelung einger Verkettung
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laß ich nicht locker, hier ist keine Rettung,
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und ich verspüre ein holdes Entzücken,
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muß ihr das Händchen ganz sanftiglich drücken.
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Bin ich im Himmel? Ich fühl ihre Finger
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zärtlicher spannen, die Seligkeitsbringer,
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und meine Seele nimmt stürmisch Besitz.
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Als ich mich endlich am Platz ihr verbeuge,
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schlug aus den Wimpern ihr, bündiger Zeuge,
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zündender Blitz.
 
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Kehraus und Ende, der Braus ist vorüber,
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und es entleert sich allmählich der Saal,
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letzte Gutnacht, Durcheinander und Trinkgeld,
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schon in Kapuzen und Mänteln und Schal.
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Schläfrige Kutscher, die gähnend sich recken,
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rasch von den Pferden gezogene Decken,
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Licht und Laternen und Räumen und Rufen,
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Niederwärtssteigen auf marmornen Stufen.
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Nur meine Tänzerin fand nicht den Wagen,
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hab ich ihr gleich meinen Schutz angetragen,
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hüllte sie ein in den leichtesten Pelz.
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Ach, das Figürchen im Zobel zu schauen,
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sonniger Maitag in Gletschertrachtgrauen,
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Jugend und Schmelz!
 
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Wir wandern durch die stumme Nacht,
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der Tamtam ist verklungen,
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Du schmiegst an meine Brust dich an,
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ich halte dich umschlungen.
 
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Und wo die dunklen Ypern stehn,
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ernst wie ein schwarz Gerüste,
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da fand ich deinen kleinen Mund,
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die rote Perlenküste.
 
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Und langsam sind wir weiter dann,
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weiß ich wohin, gegangen.
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Ein hellblau Band im Morgen hing,
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der Tag hat angefangen.
 
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Um Ostern wars, der Frühling will
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den letzten Frost entthronen.
71 
Du pflücktest einen Kranz für mich
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von weißen Anemonen.
 
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Den legtest du mir um die Stirn,
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die Sonne kam gezogen
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udn hat dir blendend um dein Haupt
76 
ein Diadem gebogen.
 
77 
Du lehntest dich auf meinen Arm,
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wir träumten ohn Ermessen.
79 
Die Menschen all im Lärm der Welt,
80 
die hatten wir vergessen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.5 KB)

Details zum Gedicht „Festnacht und Frühgang“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
80
Anzahl Wörter
460
Entstehungsjahr
1844 - 1909
Epoche
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Festnacht und Frühgang“ wurde von Detlev von Liliencron geschrieben, einem deutschen Lyriker und Erzähler der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Lebensnah und bodenständig schreibt er über alltägliche Erlebnisse und Gefühle.

Erster Eindruck:

Auf den ersten Blick erwecken vor allem die bildhaften Beschreibungen von Liliencron eine Atmosphäre von Geselligkeit, Tanz und Ausgelassenheit, die von Strophe zu Strophe immer tiefer in ein berauschendes Fest einladen.

Inhalt:

Liliencron schildert in dem Gedicht eine festliche Ballnacht und das Erleben des lyrischen Ichs dabei. Es wird eine lebendige Szenerie eines Balls dargestellt, mit tanzenden Paaren, schimmernden Lichtern und der Musik. Besondere Aufmerksamkeit verdient das lyrische Ich einem bestimmten Mädchen, mit dem es schließlich den Abend verbringt und das es als besonders schön und fröhlich hervorhebt. Am Ende der Ballnacht wandern beide durch die stille Nacht nach Hause, die Welt um sie herum vergessend.

Form und Sprache:

Detlev von Liliencron verwendet für jedes Verspaar Reime (Schleppen/Schuhe, steine/geflirre etc.), was dem Gedicht einen rhythmischen, fast tänzerischen Charakter verleiht und die Feststimmung unterstreicht. Die Versform und der gleichbleibende Rhythmus der Verse, die aus kurzen, prägnanten Ausdrücken bestehen, lassen das Gedicht flüssig und leicht lesbar wirken. Dabei bedient sich der Dichter einer reichen, mitunter sogar ausschweifenden Symbolik, um die Wirkung der im Gedicht dargestellten Szenen zu intensivieren.

Die zahlreichen bildhaften Beschreibungen und Metaphern (z.B. „König der Tänze“, „zündender Blitz“) erzeugen ein lebendiges, sinnliches Bild des Balls und der Tanzpartnerin. Dabei bedient sich Liliencron einer eher alltäglichen, volkstümlichen Sprache, was den Charakter des Gedichtes als Momentaufnahme unterstreicht und seine unmittelbare Nähe zum Beschriebenen betont. Insbesondere die letzte Strophe mit der Beschreibung des gemeinsamen Heimwegs zeugt von einem starken Gefühl der Verbundenheit und Zweisamkeit, das durch die beschauliche, nahezu idyllische Darstellung noch verstärkt wird.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Festnacht und Frühgang“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Detlev von Liliencron. Der Autor Detlev von Liliencron wurde 1844 in Kiel geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1860 bis 1909 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Naturalismus zugeordnet werden. Liliencron ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 460 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 80 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Detlev von Liliencron sind „Weihnachtslied“, „Schöne Junitage“ und „Herbst“. Zum Autor des Gedichtes „Festnacht und Frühgang“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 63 Gedichte vor.

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