Grutz der Heimat von Ernst Moritz Arndt

Geliebte Felder, süße Haine,
So bin ich endlich wieder da,
Wo ich als Kind beim Sternenscheine
So oft die Engel wandeln sah,
Wo mir aus himmlischen Geschichten
Ein Himmel diese Erde schien,
Von Freuden wimmelnd und Gedichten,
Wie Adams Eden lieb und grün?
 
So seh' ich dich, mein Schoritz, wieder,
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Wo mir das Meer mit dunkelm Klang
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Die ahnungsvollen Wunderlieder
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Der Zukunft um die Wiege sang?
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So kann ich wieder dich begrüßen,
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Mein Dumsevitz, du trauter Ort?
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So traut, daß meine Tränen fließen,
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Und meine Lippe weiß kein Wort?
 
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Wie vieles muß ich nicht bedenken,
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Wenn euch ich also wiederseh'?
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Wohin sich meine Schritte lenken,
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Tut alles mir so lieb, so weh,
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An jeden Baum, an jede Quelle
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Hängt liebend die Erinnrung sich,
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Und jedes Blättchen, jede Welle
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Fragt freundlich: Wandrer, kennst du mich?
 
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Und diese leise Kinderfrage
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Fällt wie ein Stein mir auf das Herz,
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In stiller Rückflut ferner Tage
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Kommt inhaltschwer ein ernster Scherz,
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Und zwischen Weinen, zwischen Lachen
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Die Wehmut endlich mächtig siegt:
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Es läßt sich nicht zum Spaße machen,
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Worin ein ganzes Leben liegt.
 
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Sind einst nicht hier auch sie getreten
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In Jugendkraft und Freudigkeit,
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Die jetzt für mich im Himmel beten
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Hoch über Erdenlust und Leid?
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Habt ihr mich hier nicht eingesegnet
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Fürs Leben, Eltern fromm und treu,
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Und Lieb' auf mich herabgeregnet,
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Wie's Blüten regnet in dem Mai?
 
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Was ward aus euren frommen Sorgen?
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Was trug die treue Liebe ein?
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Reicht wohl an jenen schönen Morgen
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Des Lebens voller Mittagschein?
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Mögt ihr von euren lichten Höhen,
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Wo nichts mehr zwischen Schatten schwebt,
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Noch auf den Wandrer niedersehen,
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Der unten heiß im Staube strebt?
 
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Wie kommt er aus der weiten Ferne
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Auf seiner Kindheit Feld zurück?
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Schaut noch zum Spiegel sel'ger Sterne
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Ein heitrer Spiegel auf sein Blick?
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Und spielt er noch mit reinen Händen
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Das süße Kinderblumenspiel?
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Ach! Abwärts muß er sich hier wenden
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Wo steht er nun? Wo steht sein Ziel?
 
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O ernster Klang der fernen Tage!
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O süße Mahnung schönster Zeit!
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Die Träne tritt als stumme Klage
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Auf gegen den, der viel bereut:
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Die Blumen und die Sterne bleiben
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In steter Unschuld licht und rein,
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Doch Menschenwandern, Menschentreiben
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Mag nimmer ohne Sünde sein.
 
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Doch nehmt mich, ihr geliebten Fluren,
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Fromm auf in euren süßen Schoß,
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Die Reinheit himmlischer Naturen
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Ward hier nur eines einz'gen Los;
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Bei uns ist's Ahnen, Träumen, Sehnen
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Und vielfach Irren auf und ab
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Drum rinnet nur, ihr heißen Tränen,
72 
Als Balsam auf den Wanderstab.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.6 KB)

Details zum Gedicht „Grutz der Heimat“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
72
Anzahl Wörter
406
Entstehungsjahr
1817
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht trägt den Titel „Grutz der Heimat“ und wurde von Ernst Moritz Arndt verfasst, einem deutschen Schriftsteller und national eingestellten Historiker, der von 1769 bis 1860 lebte. Dies schlägt eine zeitliche Anordnung in die Epoche der Romantik oder des Biedermeier vor.

Bei der ersten Lektüre fällt auf, dass es eine starke emotionale Bindung zwischen dem lyrischen Ich und der geschilderten Ortschaft besteht. Es ist ein wahrer Ausdruck von Nostalgie und großer Liebe zur Heimat, gepaart mit Reflexion über das verlorene Paradies der Kindheit und Jugend.

Im Gedicht schildert das lyrische Ich die Rückkehr an den Ort seiner Kindheit. Er beschreibt die Freude und die Schmerzen, die diese Rückkehr begleiten. Mit jedem Schritt, den er auf dem Boden der Heimatstadt macht, weckt er die liebenden Erinnerungen, die er dort verbrachte. Die Natur spricht zu ihm und jede Ecke scheint ihm Fragen aus der Vergangenheit zu stellen. Die Erkenntnis seiner eigenen Sterblichkeit und des stetigen Wandels lässt ihn nachdenklich und wehmütig werden. Die Heimat ist jedoch der Ort, wo er Trost findet und wo seine Tränen als „Balsam auf den Wanderstab“ wirken.

In Bezug auf die Form fallen die gleichbleibende Länge der Strophen sowie die beständige Verszahl auf, was eine feste Struktur schafft. Die Sprache ist poetisch, metaphorisch und stark bildlich. Die Natur wird personifiziert; Bäume, Quellen, Blätter und Wellen können sprechen und Fragen stellen. Damit wird das Bild einer belebten, gefühlvollen Natur geschaffen, die als Spiegel für die inneren Regungen des lyrischen Ichs dient.

Insgesamt zeigt Arndt in „Grutz der Heimat“ eine tiefe Verbundenheit mit der Natur und dem Heimatort. Es handelt von Sehnsucht und Wiederbelebung der Vergangenheit, aber auch von der Akzeptanz des Vergehens der Zeit und der Unvermeidlichkeit des Lebenswandels. Es bietet sowohl Freude als auch Melancholie, die in der Rückkehr zur Heimat gefunden werden können. Überschwängliche Gefühle vermischen sich mit ernster Reflexion und zeugen von der Verbindung zwischen Identität, Heimat und Vergangenheit.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Grutz der Heimat“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Ernst Moritz Arndt. Geboren wurde Arndt im Jahr 1769 in Groß Schoritz (Rügen). Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1817 zurück. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Klassik, Romantik oder Biedermeier zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 72 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 406 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Ernst Moritz Arndt sind „Klage um Auerswald und Lichnowsky“, „Das Glück, das glatt“ und „Laßt wehen, was nur wehen kann“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Grutz der Heimat“ weitere 285 Gedichte vor.

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