Unter den Linden von Detlev von Liliencron

Heute spaziert ich unter den Linden,
Um Menschen zu sehn, Bekannte zu finden,
Und treffe auch die ganze Welt,
Als hätte sie sich hierher bestellt.
Asien selbst mit den gelben Söhnen
Wandelt vergnügt zwischen märkischen Schönen;
Welch ein Gemisch, bescheiden und stolz.
 
Wo kommt der Rauch her, wie brennendes Holz?
Im Vorüber entdeckt ich in einem Tor:
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Ist die Leitung geplatzt, ein Wasserrohr?
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Glutbecken, Hammer und Blei verrieten,
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Daß sie den kleinen Schaden vernieten.
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Als den Rauch ich roch im Straßenlärm,
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Versank ich plötzlich ins bunte Geschwärm:
 
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Von trocknem Tann ist ein Feuer entfacht
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Auf der Feldwache in trüber Winternacht.
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Ich starr in die Flammen und wärme die Hände
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Und freu mich der wachsenden Tageswende.
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Die Ablösung kommt, ihr Führer voran,
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Den schon vor Jahren zum Freund ich gewann.
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Ernste Gedanken und fröhliche Stunden
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Haben im Leben uns eng verbunden.
 
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Wir beide, daß ich ihn unterweise
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Über den Feind im umgebenden Kreise,
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Lassen die Posten im Nebelgrauen
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Und gehen weit vor, um besser zu schauen.
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Unendliche Stille, unendlich leer,
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Das Schneetuch ein Laken ringsumher.
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Nur eine Mühle vor uns im Land
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Qualmt noch immer vom gestrigen Brand.
 
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Da fällt, mitten in meinem Berichte,
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Ein Schuß - ein Wölkchen an jener Fichte.
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Mein Kamerad greift sich ans Herz so schnell;
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Ein dunkles Tröpfchen, ein winziger Quell.
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In Eil umfaß ich ihn, er sinkt,
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Leg sanft ihn zur Erde, der Tod hat gewinkt.
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Das rote Blut auf dem weißen Schnee
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Sticht trostloser als im grünen Klee.
 
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Im Westen die Mühle qualmt düster empor,
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Im Osten die Sonne blitzt blendend hervor.
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Bald bilden Gewehre die Trauerbahr,
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Soldatenarm hält ihm das blonde Haar.
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Am Feuer der Feldwache liegt er gestreckt,
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Kein Bitten, kein Rütteln hat ihn geweckt.
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Es knistert, der Rauch umzieht mein Gesicht,
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Leb wohl, Kamerad, ich vergesse dich nicht.
 
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Unter den Linden, vorbei ist der Spaß,
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Trink ich bei Hiller ein stilles Glas,
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Ein stilles Glas auf ein fernes Grab,
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Dann wieder ins Leben, bergauf, bergab.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Unter den Linden“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
50
Anzahl Wörter
324
Entstehungsjahr
1844 - 1909
Epoche
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Unter den Linden“ wurde von Detlev von Liliencron verfasst, der von 1844 bis 1909 lebte. Daher lässt sich das Gedicht zeitlich in das 19. Jahrhundert, genauer gesagt in die Epoche des Realismus einordnen.

Der erste Eindruck des Gedichtes ist eine melancholische und ernste Stimmung, die sich durch das gesamte Gedicht zieht.

Inhaltlich erzählt das Gedicht eine Geschichte, die in den Straßen von Berlin beginnt und in einer dramatischen Erinnerung an den Tod eines Freundes endet. Das lyrische Ich beginnt den Tag mit einem Spaziergang „unter den Linden“, um Bekannte zu treffen und die Vielfalt des öffentlichen Lebens zu beobachten. Ein Rauchgeruch erweckt plötzlich die Erinnerung an eine Zeit beim Militär, als das lyrische Ich Wache hält in einer kalten Winternacht. Der Freund, ein Mit-Soldat, wird während einer Patrouille durch einen Schuss getötet. Das lyrische Ich beendet seinen Tag wieder in Berlin und gedenkt seines Freundes bei einem stillen Glas Wein.

Liliencrons Gedicht scheint also eine Reflexion über das Leben, über Freundschaft und Tod, über Erinnerungen und die Verbundenheit zum eigenen Land zu sein. Zudem zeugt es von der kontrastreichen Atmosphäre zwischen dem hektischen Stadtleben und der stille des Kriegs.

Formal besteht das Gedicht aus sieben Strophen mit unterschiedlicher Verszahl (7, 7, 8, 8, 8, 8, 4). Die Sprache ist schlicht und klar, ohne besondere sprachliche Mittel oder Verschnörkelungen, was dem Realismus entspricht.

Die Eindrücke und Gefühle, die das lyrische Ich wahrnimmt, werden bildhaft und detailliert dargestellt, wie etwa die „gelben Söhne Asiens“ unter den Berlinerinnen oder das „bunte Geschwärm“ der Stadt. Dennoch bleiben diese Beobachtungen eher beiläufig und kommen ohne emotionale Ausschmückungen aus. Dies steht im Kontrast zu der eindringlichen und emotionalen Wiedergabe der Erinnerung an den getöteten Freund. Insgesamt erzeugt das gedicht eine nachdenkliche, teils melancholische Atmosphäre. Es regt zum Nachdenken an über Themen wie Freundschaft, Tod, Erinnerungen und das Leben an sich.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Unter den Linden“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Detlev von Liliencron. Geboren wurde Liliencron im Jahr 1844 in Kiel. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1860 und 1909. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Naturalismus zugeordnet werden. Liliencron ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 324 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 50 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Weitere Werke des Dichters Detlev von Liliencron sind „Weihnachtslied“, „Schöne Junitage“ und „Herbst“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Unter den Linden“ weitere 63 Gedichte vor.

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