Die Lerche von Ernst Moritz Arndt

Als man das achte Jahr zu Achtzehnhundert nach Christi
Unsers Herrn Geburt zählte, zur Zeit, wo der Klang
Geht der Sicheln ins Feld, da lag ich einsamen Schlummers
Fern in dem Lande, wo Jo klinget zugleich mit dem Ja.
Da ward öfters der Fremdling besucht von Träumen von jenseits
Her des Wassers, von dem, was über Land, über Meer
Trägt der Ruf, und von dem, was Liebe innigst im Herzen
Von den Geliebten so süß, süßer vom Vaterland spinnt.
Einst als der Mond mit dem lieblichen Strahl schon bleicher und tiefer
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Funkelte, schon ein Stern hinter dem andern erlosch,
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Schlug es mit rauschenden Flügeln fast hart ans Fenster und rief mir:
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»Mache gleich auf, es ist kalt, auch ist der Falke nicht weit.«
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Ich aus dem Bett und öffne das Fenster, da flattert ein Vöglein
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Schwirrend mir dicht in den Schoß, zitternd und wimmernd und naß.
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Und ich beschaue das Vöglein mir, da ist es die Lerche,
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Und ich denke bei mir: Vöglein, wo flatterst du her?
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Und es sieht so bedeutend mich an, halb menschlichen Blickes,
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Spricht dann:»Kennst du mich nicht? Kennst du den Vater nicht mehr?
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Habe mich auch recht lieb und hege mich warm in dem Busen;
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Fern ist der Weg, den ich flog, fern, den ich fliegen noch muß.«
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Und es fiel mir aufs Herz, es schossen mir schwere Gedanken
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Hin durch die Seele, und heiß floß aus den Augen ein Strom.
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Wimmerndes Vöglein, du kamst ein Bote der Sehnsucht und Treue:
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Also findet der Geist Boten der Liebe dem Geist;
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Denn mein Vater verließ die irdische Heimat und grüßte,
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Wandelnd die himmlische Fahrt, noch den Entfernten durch dich.
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O er war dir ja gleich an fröhlichen Liedern und Freuden,
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Liebte das glückliche Land, liebte die Felder wie du.
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Heil dir, Herold des Himmels, und Heil dem frommen Geschlechte,
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Das in den Furchen sein Nest baut und die Wiesen bewohnt!
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Friede soll ewig bestehn den spätesten Enkeln von beiden,
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Und es erlahme die Hand meines Geschlechts, die den Tod
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Schickt auf die Deinen mit Blei und Schlingen stellet und Netze,
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Oder mit diebischer Lust fährt auf die piepende Brut!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Die Lerche“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
34
Anzahl Wörter
354
Entstehungsjahr
1811
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Lerche“ wurde von Ernst Moritz Arndt, einem deutschen Schriftsteller und Dichter der Zeit der Weimarer Klassik und Romantik, verfasst. Er wurde 1769 geboren und starb 1860, weshalb das Gedicht vermutlich im 19. Jahrhundert entstanden ist.

Auf den ersten Blick hat das Gedicht eine eher melancholische Stimmung, die durch den Kontext von Einsamkeit und Sehnsucht ergänzt wird. Es wird die Geschichte erzählt, wie das lyrische Ich, das scheinbar weit von seiner Heimat entfernt ist, von einer Lerche besucht wird. Diese einsame Atmosphäre wird durch die nächtliche Szene - ein einsames Haus, ein leeres Feld und der Nachthimmel - verstärkt.

Inhaltlich beschreibt das lyrische Ich in dem Gedicht, wie es in seinem Schlaf von Träumen und Sehnsucht nach der Heimat und seinen Liebsten heimgesucht wird. Dies wird durch den Besuch der Lerche ausgelöst, die als Bote oder Symbol für diese Gefühle gesehen wird. Die Lerche ist nicht nur ein Vögelchen, das den Menschen ein Lied singt, sondern wird auch als Bote oder Gesandter vom Vater des lyrischen Ich, der im Himmel ist, präsentiert.

In Bezug auf die Form besteht das Gedicht aus 34 Versen und ist in einer sehr ausgereiften und formellen Sprache verfasst. Gewählte Reime und Metaphern verstärken die emotionale Intensität und Tiefe des Gedichtes. Die Wahl der Worte wie „einsam“, „schwirren“, „rauschend“ oder „wimmernd“ erzeugen eine intensiv emotionale und zugleich melancholische Atmosphäre.

Insgesamt lässt sich sagen, dass das Gedicht eine hohe lyrische Qualität besitzt und eine tiefe Sehnsucht nach Heimat und der Nähe von geliebten Menschen widerspiegelt, die durch die symbolisierte Lerche ausgelöst wurde. Es lässt sich auch interpretieren, dass der Dichter mit diesem Gedicht seine eigene Sehnsucht und Einsamkeit ausdrückt, die er während seiner Zeit fernab von seiner Heimat empfunden hat.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Lerche“ des Autors Ernst Moritz Arndt. Im Jahr 1769 wurde Arndt in Groß Schoritz (Rügen) geboren. 1811 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Klassik oder Romantik zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das 354 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 34 Versen mit nur einer Strophe. Weitere bekannte Gedichte des Autors Ernst Moritz Arndt sind „Leben“, „Melittion“ und „Das Los des Schönen“. Zum Autor des Gedichtes „Die Lerche“ haben wir auf abi-pur.de weitere 285 Gedichte veröffentlicht.

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