Insellegende von Leo Sternberg

Alle hundert Jahre kommt's:
Wenn auf dem breiten Strand
Die Fischerboote liegen im trocknen weichen Sand,
In langen Segeltuchstühlen ruhen die Fraun
Und Kinder barfuß schaufeln und Burgen baun –
Dann zeigt sich plötzlich ein Schädel drauß im Meer.
Wie der Kopf eines Schwimmers schaukelt es her.
Jetzt muß es Boden haben und gehn:
Knochenhals und Schultern sind zu sehn ...
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Gegittert jetzt der Brustkorb – sieh!
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Nun watet er nur noch bis ans Knie ...
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Doch wie eine Herde hinter ihm drein
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Kommt, von ihm geführt, die Flut mit herein.
14 
Er steigt an den Strand und geht im Sand
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– Die Wellen gehen mit ans Land;
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Er sieht sich nicht um, er geht nur fort
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– Die Wellen folgen ohne Wort.
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Auf der Düne erst hält er, dreht sich um
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Und fährt mit dem Arm befehlend rundum,
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Wie der Schnitter ausholt beim Sensenschwung.
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Da legen die Wellen aus zum Sprung
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Und spülen im Bogen strandauf, strandab
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Alles Leben herunter, in das Grab ...
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Der Tod schaut zu vom Dünenhang,
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Bis der Aufruhr verwogt, der Schrei verklang.
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Dann schwindet er wieder im Meer ... Seinen Hai
27 
Besteigt er drauß auf der See ... Vorbei! ...
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.9 KB)

Details zum Gedicht „Insellegende“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
27
Anzahl Wörter
189
Entstehungsjahr
1876 - 1937
Epoche
Naturalismus,
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Insellegende“ stammt von Leo Sternberg, einem deutsch-russischen Schriftsteller, der von 1876 bis 1937 lebte. Somit lässt sich das Gedicht in die Epoche der Moderne einordnen - einer literarischen Zeit, die durch Umbrüche und Experimente gekennzeichnet ist.

Das Gedicht vermittelt beim ersten Lesen einen eindrücklichen und zugleich unheimlichen Eindruck. Es erzählt eine einmalige Geschichte von einem Ereignis, das nur alle hundert Jahre eintritt: Ein Schädel erscheint aus dem Meer und formt sich zu einer gesamten Gestalt eines Todesboten. Die Entstehung dieser Figur wird in schleichenden Schritten dargestellt, wie bei der Auferstehung einer nicht-menschlichen Kreatur. Diese Figur sorgt für eine große Naturkatastrophe, sie steigt auf eine Düne und löst eine riesige Welle aus, die das gesamte Küstenleben in das Grab spült. Am Ende verschwindet die Figur zurück im Meer.

Das lyrische Ich scheint als Beobachter dieser erschreckenden Szenerie aufzutreten, dabei wird die ganze Geschichte in einer objektiven, fast unemotionalen, Beobachterposition erzählt. Die Szenerie wirkt grotesk und apokalyptisch angesichts der Zerstörung, die dieser furchtbare Besucher verursacht, ohne jeglichen Widerstand von den Bewohnern der Insel.

In Bezug auf Form und Sprache hat Sternberg eine Wechselwirkung zwischen ruhigen, idyllischen Bildern und turbulenten, gewaltvollen Ereignissen geschaffen. Dazwischen setzt er seinen Themenakzent: den Tod. Die Verse sind frei metrisch, während die konsequente Reimlosigkeit dem Gedicht eine gewisse Schwerfälligkeit und Ernsthaftigkeit verleiht. Die Beschreibung der Figuren und Ereignisse ist detailliert und eindrucksvoll, dazu trägt auch die lebendige Symbolik bei, die er einsetzt. Der Schädel und Körper, der aus dem Meer auftaucht, repräsentiert unverkennbar den Tod, während die Welle die Vernichtung und das Ende symbolisiert. Im Ganzen erzeugt Sternberg durch diese Kombination aus Form und Inhalt eine Unausweichlichkeit und ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Tod.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Insellegende“ ist Leo Sternberg. Geboren wurde Sternberg im Jahr 1876 in Limburg an der Lahn. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1892 und 1937. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus, Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 189 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 27 Versen. Die Gedichte „Der Wartende“, „So glücklich wir waren“ und „Geschenke“ sind weitere Werke des Autors Leo Sternberg. Zum Autor des Gedichtes „Insellegende“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 11 Gedichte vor.

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