Der Wartende von Leo Sternberg

1	Geöffnet sind meine Fenster;
2	Ich trete zum einen, zum andern
3	Aber der Vogel der Ferne
4	Fliegt nicht herein.
5	Ich schließe die Augen und sage
6	Mir fest: "Er kommt nicht!" Ich denke:
7	Plötzlich schlägst du den Blick auf ,
8	Und - er ist da! ...
9	Und - er ist nicht da! Vergebens!
10	Wieder warten! Warten!
11	Durch die verengte Kehle
12	Drückt sich ein Kiesel hinab.
13	Wie, wenn es Nacht würde? Nein! ...
14	Herz, wie du eilst! - Und ich müßte
15	Schließen die Fenster? Der Vogel
16	Käme nicht mehr? ...

Details zum Gedicht „Der Wartende“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Wartende“ wurde verfasst von Leo Sternberg, der zwischen 1876 und 1937 lebte. Dies ermöglicht eine Einordnung seiner Texte in den Zeitrahmen der literarischen Strömungen des Realismus, des Naturalismus und der Moderne.

Auf den ersten Blick strahlt das Gedicht eine gewisse Tragik und Melancholie aus. Die Atmosphäre ist von Hoffen, Warten und Enttäuschung geprägt. Das lyrische Ich erscheint als passive Figur, die hoffnungsvoll, aber auch mit Verzweiflung auf einen bestimmten Ereignis oder eine Person zu warten scheint.

Inhaltlich handelt das Gedicht von einer sich wiederholenden Erfahrung des Wartens. Das lyrische Ich hat seine Fenster geöffnet und wartet auf den „Vogel der Ferne“, der jedoch nicht einfliegt. Selbst als es seine Erwartungen dämpft und sich einredet, dass das erhoffte Ereignis nicht eintreffen wird, bleibt die Erleichterung aus. Das Warten wird als quälender Vorgang dargestellt, der sich auch körperlich bemerkbar macht. So drückt sich ein Kiesel durch die „verengte Kehle“. Die letzte Strophe schließt mit der bänglichen Vorstellung, dass der „Vogel“ womöglich niemals mehr kommt.

Die vierteilige Struktur des Gedichts bildet den sich wiederholenden Prozess des Wartens und der Enttäuschung ab. Jede Strophe enthält dabei vier Verse. Insgesamt ist die Sprache relativ klar und einfach gehalten. Die Metaphern „Vogel der Ferne“ und „Kiesel“, die für das ersehnte Ereignis bzw. die seelische Belastung stehen, fügen dem Text jedoch eine poetische, bildhafte Ebene hinzu. Der direkte Dialog des lyrischen Ichs mit sich selbst intensiviert die emotionale Wirkung des Textes und lässt den Leser unmittelbar an den Empfindungen des Protagonisten teilhaben.

Zusammenfassend thematisiert Sternberg in „Der Wartende“ das weit verbreitete menschliche Gefühl des erwartungsvollen, jedoch enttäuschten Hoffens. Das Gedicht illustriert, wie belastend das Warten sein kann, wenn die Erwartungen sich nicht erfüllen. Die Schlichtheit von Sprache und Form tragen zu einer eindringlichen Darstellung bei.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Wartende“ ist Leo Sternberg. 1876 wurde Sternberg in Limburg an der Lahn geboren. Im Zeitraum zwischen 1892 und 1937 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus, Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 83 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 16 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Weitere Werke des Dichters Leo Sternberg sind „Reine Nacht“, „Jenseits“ und „Eine plötzliche Stille“. Zum Autor des Gedichtes „Der Wartende“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 11 Gedichte vor.

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