Vor Last und Lärm von Detlev von Liliencron
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Die frühste Sonne legt sich übers Feld, |
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Und steigt empor; und schweigend dampft der Morgen. |
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Aus dem im letzten Traum verstrickten Städtchen |
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Bin ich dem Tore schon weitab entrückt. |
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Wen seh' ich dort im nassen Graben liegen? |
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Ein Bauer, der zuviel getrunken hatte, |
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Ist hier die Nacht gefallen unter Disteln. |
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Das linke Knie hat er herangezogen; |
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Mit offnen Lippen schnarcht der wüste Kerl. |
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Vorüber - schon verliert sich das Geräusch. |
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Was ist denn das dort rechts am Meilenstein? |
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Ein kleiner, weißer Bologneserhund |
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Mit blutgeröteten Behangesspitzen, |
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Von tauerweichter Erde arg beschmutzt. |
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Wie kommt der hierher, frag' ich mich vergebens. |
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Ist's Tante Minnas süßer Liebling nicht? |
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Wenn die das wüßte, was Bijou ergötzt: |
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Er wühlt mit seinem Schnäuzchen emsiglich |
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Im Eingeweide eines toten Fuchses. |
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Als ich ihm in die Näh' gekommen, drückt er |
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Ein Vorderpfötchen auf den Balg des Aases |
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Und duckt den Kopf und äugt mich mürrisch an; |
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Sein ganzer Körper bleibt unregbar stehn, |
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Nur seine Augen folgen meinem Schritt. |
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Vorüber - lautlos alles noch nud ruhig. |
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Auf einer Pflugschar gleißt im grellsten Weiß |
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Das Taggestirn, als brennte dort sich's fest. |
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Da schallt der erste Ton, vom Lager klingt er, |
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Das meinem Blick zwei Meilen abseits leuchtet. |
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Unendlich schwach hör' ich die Trommeln wirbeln, |
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Die Hörner: Habt - ihr noch - nicht lang - genug |
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Geschla - - - fen. |
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Die Straße, die mein Fuß lebendig geht, |
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Zieht sich in schnurgerader Linie hin, |
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Auf zehn Minuten hab' ich Übersicht. |
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Just, wo für mich der Weg den Anfang nimmt, |
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Erscheint ein Punkt, der größer wird und größer. |
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Hurra! Sie ist's! Hurra, hurra! Sie ist's! |
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Rasch zieh' und hastig ich mein Taschentuch |
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Und winke, und ein Fähnchen zeigt sich auch |
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In ihrer Hand; und muntrer greif' ich aus. |
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An meinen Stock knüpf' ich das Banner an, |
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Und an den Sonnenschirm das ihre sie. |
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Und nun ein Hin und Her, ein Schwenken, Kreisen, |
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Als wollten Tauben wir vom Dache scheuchen. |
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Indessen trommelt's immer fort: Wacht auf; |
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Und tutet: Habt - ihr noch - nicht lang - genug |
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Geschla - - - fen. |
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Mein Antlitz glüht in freudigster Erwartung, |
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Die Kehle ist mir fast wie zugeschnürt, |
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Wie schlägt mein Herz, wie atmet meine Brust. |
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Nun sind wir sprechweit nah, und dann, und dann, |
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Wie sonderbar, verkürzt sich unsre Eile. |
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Sind wir beschämt? Auf ihren Wangen flog |
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Ein Purpur hin wie schneller Wolkenschatten. |
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Nun lächelt sie. Das Köpfchen biegt sich etwas |
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Nach rechts und rückwärts; ja, und dann, und dann |
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Indessen brechen Horn und Trommel ab |
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Stumm wie der mönchverlaßne Klostergang |
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Liegt rings um uns des Morgens heilige Stille. |
Details zum Gedicht „Vor Last und Lärm“
Detlev von Liliencron
5
60
423
1844 - 1909
Naturalismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Vor Last und Lärm“ wurde von Detlev von Liliencron verfasst, einem deutschen Dichter und Schriftsteller der späten 19. Jahrhundert, der von 1844 bis 1909 lebte.
Das Gedicht erzeugt bei erstem Eindruck eine Laune der Stille, des Erwachens und der Erwartung. Es scheint ein Spaziergang des lyrischen Ichs in den frühen Morgenstunden zu sein, langsam erwachend zum Leben und Beobachtungen des Alltags.
Das Gedicht beschreibt eine morgendliche Szene, in der das lyrische Ich durch ein Dorf geht. Es ist früh, und die Sonne geht gerade auf. Auf dem Weg kommt das lyrische Ich vorbei an einem betrunkenen Bauern, der im Graben schläft, und einem kleinen Hund, der in den Eingeweiden eines toten Fuchses herumwühlt. Dann hört er Musik aus einem entfernten Lager und sieht eine Frau sich nähern. Sie winken sich mit Taschentüchern zu, und als sie sich treffen, verlangsamen sie und teilen einen stillen Moment.
Inhaltlich könnten diese Beobachtungen als Metapher für das Leben betrachtet werden: Der Bauer repräsentiert vielleicht das Scheitern, der Hund symbolisiert das Überleben und die Frau könnte als Liebe und Hoffnung interpretiert werden. Das lyrische Ich ist dabei der Betrachter dieser Szenarien, wodurch er eine Art Reise durch die Facetten des Lebens unternimmt.
Die Form des Gedichts ist eine freie Versform ohne Reimschema, typisch für die Naturformen, die Liliencron oft verwendet hat. Die Sprache ist bildhaft und beschreibend, voller lebhafter Visualisierungen und scharfer Beobachtungen. Besonders auffallend sind die wechselnden Motive und Themen, die das Gedicht vorantreiben und die Strophen miteinander verknüpfen. Der Einsatz von Direkter Rede schafft eine Dialogsituation und intensiviert die emotionale Nähe zum Geschehen.
Abschließend kann gesagt werden, dass „Vor Last und Lärm“ ein gedankenschweres Gedicht ist, das viele Interpretationen zulässt. Es spiegelt auf künstlerische Weise den Übergang vom Dunklen zum Hellen, vom Schweren zum Leichten und von der Traurigkeit zur Freude wider.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Vor Last und Lärm“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Detlev von Liliencron. 1844 wurde Liliencron in Kiel geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1860 bis 1909 entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Naturalismus zugeordnet werden. Liliencron ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 60 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 423 Worte. Weitere Werke des Dichters Detlev von Liliencron sind „Der Blitzzug“, „König Regnar Codbrog“ und „Die Musik kommt“. Zum Autor des Gedichtes „Vor Last und Lärm“ haben wir auf abi-pur.de weitere 63 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Detlev von Liliencron sind auf abi-pur.de 63 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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