Debutant von Frank Wedekind
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Kennst du die hohe, dunkle Gartenpforte, |
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Die ernst verschwiegen an der Straße steht? |
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Wohl niemand ahnte, welche süßen Worte |
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In ihrem Schutz der Abendwind verweht. |
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Dort trat ich ein; von freudigem Erwarten |
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Schwoll mir das Herz wie dem beschenkten Kind; |
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Ein leises Flüstern wehte durch den Garten |
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Von guten Geistern, die dort heimisch sind. |
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Auf schatt’ger Bank ließ ich mich zaudernd nieder |
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Und trank der Rose wollustschweren Duft; |
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Ob meinem Haupte knistert es im Flieder; |
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Zwei Vöglein zwitschern durch die Abendluft. |
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Wie aber ward mir, als du vor mich tratst, |
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Ein Götterbild aus fernen Griechenzeiten, |
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Als du bedeutungsvoll und lächelnd batst, |
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Dich tiefer in den Garten zu begleiten. |
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Dort wurde mir aus Abend und aus Morgen |
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Der erste Lebenstag, den ich gelebt – |
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O daß so lange mir das Glück verborgen, |
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Nach dem das Herz dem Knaben schon gebebt! |
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O, Ella, Ella, tausend Seligkeiten |
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In einen einz’gen Atemzug gedrängt; |
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Die Triebe aus der Menschheit frühsten Zeiten, |
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Von wonnekund’ger Götterhand gelenkt; |
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Der Kindheit ahnungsvolle, lose Spiele |
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Verwandelt in unendlichen Genuß; |
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O, Ella, alle himmlischen Gefühle |
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In einem einz’gen Liebeskuß – |
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Welch hohes Wort, das Menschengeist ersann, |
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Welch reicher Dank mag diese Stunde lohnen! |
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Laß ewig mich in deinem Garten wohnen, |
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Ist alles, was die Lippe stammeln kann. |
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In seiner Büsche stillem Heiligtum |
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Nahm ich, als Balsam jeder Erdenqual, |
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Von deinem Mund das heilige Abendmahl |
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Zum großen Liebesevangelium. |
Details zum Gedicht „Debutant“
Frank Wedekind
9
36
228
1905
Moderne
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Debutant“ und stammt vom deutschen Autor Frank Wedekind, der von 1864 bis 1918 lebte. Damit lässt es sich zeitlich in das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundde einordnen.
Zunächst fällt die strukturierte Form des Gedichts auf: Es besteht aus neun Strophen zu jeweils vier Versen, was auf eine klassische, eher konventionelle, streng reglementierte Form der Lyrik hinweist. Auf inhaltlicher Ebene scheint das Gedicht den ersten Kontakt und das Eintreten in eine neue, unbekannte Welt zu beschreiben - zumindest assoziiert der Titel „Debutant“ diese Interpretation.
Das lyrische Ich betritt durch eine „hohe, dunkle Gartenpforte“ einen unbekannten Ort, der von „guten Geistern“ bevölkert zu sein scheint und in dem es zu einer Begegnung mit einem „Götterbild aus fernen Griechenzeiten“ kommt. Hierbei steht die „hohe, dunkle Gartenpforte“ womöglich als Metapher für eine Schwelle, einen Übergang in einen neuen, noch unerforschten Lebensabschnitt. Die Begegnung mit dem „Götterbild“ könnte zudem auf die Erweckung neuer, intensiver Gefühle und Erlebnisse hinweisen.
In der Sprache des Gedichts ist eine romantische, teils pathetische Ausdrucksweise erkennbar, die sich in Begriffen wie „wonnekund'ger Götterhand“, „himmlische Gefühle“ und „heiliges Abendmahl“ zeigt. Die darin zum Ausdruck kommende Gefühlseuphorie und spirituelle Ekstase korrespondiert mit der Bedeutung des Gedichts als Schilderung einer initialen, intensiven Erlebniserfahrung, die etwa mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter oder der ersten großen Liebe in Verbindung gebracht werden kann.
Formal und sprachlich ist das Gedicht durch einen traditionellen, recht konservativen Stil gekennzeichnet: Die regelmäßige Strophen- und Versstruktur, der eher formale, gehobene Sprachduktus und die Verwendung von konventionellen poetischen Motiven (Garten, Rosen, Abendwind etc.) deuten auf die stilistischen Bestimmungen der Epoche hin, in der Wedekind lebte und arbeitete.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Debutant“ ein Gedicht ist, das Intensität und Erhabenheit des Moments des ersten Eintretens in die Welt des Erwachsenwerdens ausdrückt, und durch seinen konservativen Form- und Sprachgebrauch charakterisiert ist.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Debutant“ des Autors Frank Wedekind. Geboren wurde Wedekind im Jahr 1864 in Hannover. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1905 zurück. Erschienen ist der Text in München. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Wedekind ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 228 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 9 Strophen. Weitere Werke des Dichters Frank Wedekind sind „Allbesiegerin Liebe“, „Alte Liebe“ und „Altes Lied“. Zum Autor des Gedichtes „Debutant“ haben wir auf abi-pur.de weitere 114 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Frank Wedekind sind auf abi-pur.de 114 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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