Naturforscherlied von Heinrich Seidel

Mel.: Krambambuli das ist der Titel etc.
Gesungen bei der 44. Wanderversammlung der Naturforscher und Aerzte zu Rostock 1871.
 
Die kühnen Forscher sollen leben,
Die spüren und sinniren und studiren Tag und Nacht,
Bis was es giebt und hat gegeben,
Ergriindet und verkündet und ans Licht gebracht
Und ist es noch so tief versteckt,
Es muss hervor, es wird entdeckt!
Und ist es noch so weit und hoch,
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Sie kriegen's doch!
 
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Was in des Meeres dämmergrünen Gründen
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Mit Kribbeln und mit Krabbeln und mit Kriechen nur sich regt,
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Was in der Erde moderigsten Schlünden
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Im Dunkel mit Gemunkel für Gewürme sich bewegt,
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Man spürt ihm nach, es muss hervor,
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Die Wissenschaft nimmt es beim Ohr
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Und sperret Alles gross und klein in ihr System hinein!
 
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Es sauset der Komete durch den Aether
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Zur Sonne seiner Wonne und verschwindet dann im All.
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Gleich wird der Astronome zum Verräther
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Mit Spüren, Integriren an dem luft'gen Weltenball
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Kommt er nach Jahren dann an's Licht
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Und denkt er dann, man kennt ihn nicht:
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"Wir kennen dich!" so hört er schrein:
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"Kometelein !"
 
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Trichinchen trieb sich froh und munter
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Spiralisch, kannibalisch in dem Muskelfleisch herum!
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Sie trieb es bunt und trieb es immer bunter
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Und brachte so ganz sachte viele Menschenkinder um.
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Da nahm die Wissenschaft das Glas
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Und sprach: "Haha, das kommt von Das!"
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Da hatten sie dich gleich beim Bein,
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Trichinelein!
 
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Wo in der Urzeit allerfernstem Dunkel
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In Wischwasch und in Mischmasch die Geschichte sich verliert,
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Wo in des Chaos wühlendem Gemunkel
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Des Laien Auge rath- und that- und pfadlos sich verirrt,
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Da zünden sie ein Licht uns an,
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Dass man es deutlich schauen kann:
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So war es einst, so sah es aus
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Im Erdenhaus!
 
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Sie lesen in den Eingeweiden
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Der Erde ohn' Beschwerde wie in Urzeit sie es trieb,
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Als sie in jenen jugendlichen Zeiten
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Mit Lias, Trias, Kreide sich ihr Tagebuch noch schrieb,
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Und was sie alles durchgemacht,
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Bis sie es dann so weit gebracht,
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Dass man gemächlich ohn' Beschwer'
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Drauf geht umher.
 
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Wie unter riesenhohen Palmen
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Behaglich ging spazieren noch das Mastodon,
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Wie's mächtig rauschte in den Schachtelhalmen,
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Und noch die Welt nichts wusste von der Kreideformation
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Wie all das Vorweltsteufelsvieh
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Vergnüglich lebt' und frass und schrie,
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Bis dann das Unglück es betroff
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Und es ersoff!
 
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Wie dann der biedre Pfahlgenosse
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Behaglich in dem Pfahlbau seinen Torfschweinschinken ass
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Und lustig lebt in seinem Pfahlbauschlosse,
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Bis endlich ihm die Bronzezeit versalzte seinen Spass.
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Wie darauf dann das Eisen kam,
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Und die Kultur 'nen Fortschritt nahm,
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Und wie wir's seit der Affenzeit
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Doch brachten weit!
 
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Es lebe die Naturgeschichte!
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Es leben, die ihr Leben und Bestreben ihr geweiht,
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Die sie entzündet gleich dem Lichte,
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Der Wahrheit helle Klarheit zu verkünden weit und breit.
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Auf, stosset eure Gläser an!
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Und rufet Alle Mann für Mann:
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"Es blühe stets in neuer Kraft
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Die Wissenschaft!"
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.1 KB)

Details zum Gedicht „Naturforscherlied“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
73
Anzahl Wörter
467
Entstehungsjahr
1842 - 1906
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht stammt von dem deutschen Ingenieur und Dichter Heinrich Seidel und wurde 1871 verfasst. Seidel lebte von 1842 bis 1906, daher lässt sich das Gedicht zeitlich in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, genauer zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs, einordnen.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht humorvoll und satirisch. Es vermittelt einen positiven Eindruck von der Wissenschaft und Forschung und feiert deren Errungenschaften.

Inhaltsmäßig beschreibt das Gedicht, was Wissenschaftler und Naturforscher leisten: Sie studieren und forschen unermüdlich, um die Geheimnisse der Natur zu entschlüsseln. Sie arbeiten in allen Gebieten, das Meer, das Weltall, die Erde selbst und sogar die kleinsten Lebewesen sind Gegenstand ihrer Untersuchungen. Sie erhellen die Dunkelheit der Unwissenheit und helfen uns, die Welt besser zu verstehen.

Die besondere Wertigkeit und Bedeutung der Wissenschaft und Forschung wird besonders in der Schlussstrophe hervorgehoben, in welcher ein Toast auf die Wissenschaft ausgerufen wird, symbolisch dafür, dass diese stets in neuem Glanz erblühen möge.

Formal betrachtet besteht das Gedicht aus zehn Strophen, jede mit einer unterschiedlichen Anzahl von Versen. Es weist keinen durchgängigen Reim auf, sondern scheint eher freien Versen zu folgen. Es gibt eine Mischung aus Jambus und Trochäus sowie einige Daktylen, was einen lebhaften, dynamischen Rhythmus erzeugt.

Sprachlich ist das Gedicht geprägt von einer lebendigen, bildhaften Sprache, die oft Humor und Ironie verwendet, um die harte Arbeit der Wissenschaftler zu betonen und gleichzeitig zu amüsieren. Es verwendet viele Alliterationen und Assonanzen, um ein reiches klangliches Bild zu erzeugen und den Leser anzusprechen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Seidels „Naturforscherlied“ ein Lobgesang auf den unermüdlichen Drang des Menschen ist, die Natur zu erforschen und die Geheimnisse des Universums zu entschlüsseln. Es vermittelt die Bedeutung dieser Arbeit und feiert die Menschen, die sie leisten.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Naturforscherlied“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Seidel. Seidel wurde im Jahr 1842 in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1858 und 1906. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zuordnen. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 467 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 73 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Seidel sind „Meine Puppe kriegst du nicht!“, „Hänschen auf der Jagd“ und „Die Gaben“. Zum Autor des Gedichtes „Naturforscherlied“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 216 Gedichte vor.

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