Der Zug des Todes von Heinrich Seidel

Ueber die Heide bei'm Morgengraun
Wandert ein Zug, gar seltsam zu schaun.
 
Voran der hagre Knochengesell:
Wie tönt seine Glocke hart und grell.
 
Sie schallt über Pfeifen- und Geigengetön
Und durch des Krieges Donnergedröhn.
 
Und wer sie hört, der muss hinteran,
Und sei es Kind, Greis, Weib oder Mann.
 
Ade, du rosiges Jungfräulein!
10 
Du tanztest heute den letzten Reihn.
 
11 
Nimm Abschied du junger Kriegesgesell
12 
Es ist dir schon bereitet die Stell.
 
13 
Unschuldige Kinderlein ziehen voran,
14 
Die Alten humpeln hinterdran.
 
15 
Vorüber unabsehbar viel
16 
Sie wandern all nach einem Ziel.
 
17 
Mit Augen gross und starr und weit
18 
Die schaun schon in die Ewigkeit.
 
19 
Ueber die Heide bei'm Morgengraun
20 
Wandert ein Zug gar seltsam zu schaun.
 
21 
Er wandert, seit die Menschheit besteht,
22 
Und wandern wird er, bis sie vergeht.
 
23 
Bis einst die Glocke nicht mehr klingt,
24 
Kein Baum mehr rauscht, kein Vogel singt.
 
25 
Bis Erdenlust und Erdenleid
26 
Versunken in die Ewigkeit.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Der Zug des Todes“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
26
Anzahl Wörter
148
Entstehungsjahr
1842 - 1906
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Zug des Todes“ wurde von Heinrich Seidel verfasst, der von 1842 bis 1906 lebte und damit in die Epoche des Realismus einzuordnen ist.

Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck eines düsteren, melancholischen Gedichts. Es erzeugt durch den wiederholten Hinweis auf Totenrituale eine fast makabre Szenerie und erinnert stark an das Motiv des Totentanzes aus dem Mittelalter.

Im Gedicht wird ein Zug oder Prozession dargestellt, die durch die Heide bei Morgengrauen wandert. Der Anführer ist der Tod selbst, symbolisiert durch den „hagren Knochengesell“. Er führt alle Menschen, unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder ihrem sozialen Stand, mit sich. Egal ob „Kind, Greis, Weib oder Mann“, alle müssen ihm folgen, sobald sie seine Glocke hören. Die Menschen werden als entindividualisierte Masse dargestellt, die „all nach einem Ziel“ wandern.

Dieser Inhalt lässt sich interpretieren als eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem Tod als unvermeidbarem Schicksal aller Menschen. Das lyrische Ich benutzt die Figur des Todes als mahnen Vorbote, der letztlich unabhängig von Höhen und Tiefen des Lebens jeden Einzelnen holt.

Formal besteht das Gedicht aus 13 Zwei-Zeilen-Strophen, ein relativ einfacher Aufbau, der die Aussage jedoch nicht trivialisiert. Jeder Vers ist siebenhebig, was eine gewisse Regelmäßigkeit und Ordnung der Verse erzeugt, die im Kontrast zur Unausweichlichkeit des Todes steht. Dieser wird mit Hilfe von archaischen Wörtern wie „Knochengesell“ und „Geigengetön“ charakterisiert, die die Wegstrecke in eine fast gespenstische Atmosphäre tauchen.

Die Sprache des Gedichts ist klar und unprätentiös. Sie ist trotz der ernsten Thematik nicht überladen und erreicht so eine eindrucksvolle Wirkung. Mit der Wiederholung zentraler Worte und Wendungen („Ueber die Heide bei'm Morgengrauen / Wandert ein Zug gar seltsam zu schauen“) entsteht eine hypnotische Wirkung, die den Leser in den Bann zieht.

Insgesamt erzeugt das Gedicht eine nachdenkliche und beklemmende Stimmung. Mit dieser Darstellung von Tod und Vergänglichkeit zeigt Seidel die vergängliche Natur menschlichen Lebens und die Unvermeidbarkeit des Todes. Das Gedicht vermittelt eine Mahnung an das menschliche Leben, den Tod als Teil dessen zu akzeptieren und sich dem Unvermeidbaren zu stellen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Zug des Todes“ des Autors Heinrich Seidel. Im Jahr 1842 wurde Seidel in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1858 und 1906. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 26 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 148 Worte. Heinrich Seidel ist auch der Autor für Gedichte wie „Wälder im Walde“, „Die Schwalbe“ und „Winterfliegen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Zug des Todes“ weitere 216 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Heinrich Seidel (Infos zum Autor)

Zum Autor Heinrich Seidel sind auf abi-pur.de 216 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.