Vom Baume der Erkenntniss von Heinrich Seidel

Das war so schön, als ich ein Kind noch war.
In einer Welt voll Glück und Wunder lebt' ich,
Und hoch im Himmel sass der liebe Gott
Im Purpurrnantel; silbern fluthete
Sein Bart hernieder und sein blaues Auge
Sah freundlich und voll Güte auf mich hin.
So sicher fühlt ich mich in seiner Hut,
Und wenn nach Spiel und Scherz der Abend kam,
Sprach ich zu ihm in kindlichem Gebet
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Und streckte froh mich in die weichen Kissen.
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Sein treues Auge wachte über mir.
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Ich wusste ja, ich lag in seinem Schoos
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Das war wohl schön und gut - doch anders ward's,
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Viel anders ward es nun. Der liebe Gott
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Ist todt geblieben. Leer ist jene Stelle.
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Und schwarze Finsterniss ist dort gebreitet,
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Nun muss ich meinen Weg alleine gehn,
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Ob auch die Pfade rauh sind und voll Dornen
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Vor mir die Nacht und hinter mir, und ach,
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Kein Licht dort, wo ich wandle - Besser war's,
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Viel besser war's, als ich ein Kind noch war!
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Und denk' ich dran, so wünsch' ich manchmal still:
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Der gute liebe Gott, er lebte noch.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Vom Baume der Erkenntniss“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
23
Anzahl Wörter
182
Entstehungsjahr
1842 - 1906
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Vom Baume der Erkenntniss“ wurde von Heinrich Seidel verfasst, der von 1842 bis 1906 lebte, womit das Gedicht der literarischen Epoche des Realismus zugeordnet werden kann.

Eine erste Betrachtung weist auf eine melancholische Grundstimmung hin, die den gesamten Text durchzieht. Das lyrische Ich blickt zurück auf seine Kindheit, eine Zeit voller Unschuld und Geborgenheit, und stellt sie dem kontrastreich gegenüberstehenden gegenwärtigen Erwachsenendasein vor.

Inhaltlich teilt sich das Gedicht in zwei Teile. Im ersten Teil erinnert sich das lyrische Ich an seine Kindheit, die geprägt ist von einem starken Glauben an Gott und einer idyllischen, fast märchenhaften Vorstellung von ihm. Gott erscheint als liebevoller, allmächtiger Beschützer im Himmel, der auf das Ich aufpasst.

Im zweiten Teil des Gedichts fällt die Stimmung ab und die Realität des Erwachsenseins bricht herein. Gott ist tot, fehlt als Stütze, und das lyrische Ich muss seinen Weg alleine, ohne göttliche Führung, bestreiten. Dieser Weg ist von Dunkelheit, Unsicherheit und Herausforderungen geprägt.

Die Form des Gedichts ist nicht streng geregelt. Es folgt keinem spezifischen Reimschema oder Metrum, was wahrscheinlich dazu beiträgt, den Inhalt authentisch und persönlich wirken zu lassen. Die Sprache ist klar und verständlich, wobei der Text durch den Gebrauch älterer Worte wie „hernieder“ und „Purpurrnantel“ etwas archaisch wirkt.

Das lyrische Ich erwähnt den „Baum der Erkenntniss“, was eine Anspielung auf den biblischen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse sein könnte. In diesem Zusammenhang könnte das Gedicht als eine Reflexion über das Erwachsenwerden und den Verlust der kindlichen Unschuld interpretiert werden. Mit dem Erwachsenwerden und der Erlangung von Wissen und Erkenntnissen gehen auch Schwierigkeiten, Sorgen und Unsicherheiten einher.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Vom Baume der Erkenntniss“ ist Heinrich Seidel. Seidel wurde im Jahr 1842 in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Im Zeitraum zwischen 1858 und 1906 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 23 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 182 Worte. Der Dichter Heinrich Seidel ist auch der Autor für Gedichte wie „Arbeit ist das Zauberwort“, „Die schönen Bäume“ und „Meine Puppe kriegst du nicht!“. Zum Autor des Gedichtes „Vom Baume der Erkenntniss“ haben wir auf abi-pur.de weitere 216 Gedichte veröffentlicht.

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