Waldeinsamkeit von Heinrich Seidel

Es steht der Wald im Mittagsduft
In blassem Dunst die fernen Gipfel,
Und trinkend still die Sonnenluft
Rührt sich kein Blatt im Meer der Wipfel.
In Sommermittagsgluth verlor'n
Liegt Wald und Feld im Bann der Schwüle
Da ruht sich's gut, wo Quell und Born
Hinrieselt durch die Schattenkühle.
 
Hast du gehört in solcher Zeit
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Wie Harfenton ein fernes Klingen?
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Hin schwebt es durch die Einsamkeit
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Durchschwimmt die Luft auf Bienenschwingen.
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Du weisst es nicht, woher es kam,
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Noch was es holdes mag verkünden
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Von einem Märchen wundersam,
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Das heimlich blüht in Waldesgründen.
 
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Im tiefen Wald, wo nur allein
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Der Häher schreit, die Spechte klopfen,
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Da rinnt ein Quell aus Feldgestein,
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Aus feuchtem Moos die Wasser tropfen.
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Es rinnt und quillt und fliesst gemach
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Von einer Schale zu der andern,
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Derweil durch's dichte Blätterdach
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Die Sonnenlichter tanzend wandern.
 
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Sahst du am Quell das schlanke Weib
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Von holder Schönheit Glanz umflossen?
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Sahst du den schimmernd schönen Leib
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Von sel'ger Ruhe ganz durchgossen?
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Zuweilen rührt mit weisser Hand
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Wie träumend sie die goldnen Saiten
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Es leuchtet warm die Felsenwand
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Es rinnt der Quell, die Wasser gleiten.
 
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O süsses Bild der Einsamkeit
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Du selig Weib im Felsengrunde,
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Wer dich geschaut, trägt alle Zeit
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Im Herzen still die holde Kunde.
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O selig, wer aus Schall und Rauch
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Dich Holde, Reine hat gefunden,
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Und wer, in deinem frischen Hauch
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Die Seele badend, darf gesunden!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Waldeinsamkeit“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
228
Entstehungsjahr
1842 - 1906
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Waldeinsamkeit“ und wurde von dem deutschen Schriftsteller und Ingenieur Heinrich Seidel verfasst, der von 1842 bis 1906 lebte. Bei der zeitlichen Einordnung hilft die Lebensdaten des Autors, somit kann man davon ausgehen, dass das Gedicht während der Epoche des Realismus (ca. 1848-1890) entstand.

Das Gedicht schafft auf den ersten Blick eine ruhige, idyllische und etwas geheimnisvolle Atmosphäre. Es beschreibt eine menschenleere, naturnahe Umgebung, in der nur die Geräusche der Tiere und der Natur zu hören sind.

Der Inhalt des Gedichts ist dreigeteilt. Das lyrische Ich beschreibt zunächst einen stillen, sonnenbeschienenen Wald, in den kaum ein Geräusch dringt. In der zweiten Strophe wird der Leser auf ein kaum wahrnehmbares Geräusch aufmerksam gemacht, das an das Klingen einer Harfe erinnert und dessen Herkunft unklar bleibt. In den zwei folgenden Strophen wird das Rätsel quasi aufgelöst: Eine wunderschöne Frau spielt melodisch auf einer goldenen Harfe. Das letzte Stück des Gedichts beschreibt das Glücksgefühl, diese Frau in der Stille des Waldes entdeckt zu haben, und die Freude, die diese Entdeckung in der Seele des Entdeckers hervorruft.

Was das lyrische Ich aussagen möchte, lässt sich durch die Betonung der Natur und der Einsamkeit interpretieren. Es scheint, als würde es diese Abgeschiedenheit und die Stille der Natur als Balsam für die Seele betrachten und gleichzeitig eine Art spirituelle Erfahrung machen, indem es in der Stille des Waldes eine göttliche, harmonische Frau entdeckt.

Die Form des Gedichts ist durch einen regelmäßigen Aufbau gekennzeichnet. Jede Strophe besteht aus acht Versen, was insgesamt zu einem 40-zeiligen Gedicht führt. Die Sprache des Gedichts ist klar und bildhaft. Es verwendet manchmal altertümliche Ausdrücke wie „Gemach“ oder „Hold“ und schafft damit eine Atmosphäre der Ruhe und Harmonie.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Seidels „Waldeinsamkeit“ eine Ode an die Natur, die Stille und die innere Ruhe ist. Es zeigt, dass es eine gewisse Einsamkeit und Stille braucht, um wahre Schönheit zu entdecken und innere Frieden zu finden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Waldeinsamkeit“ des Autors Heinrich Seidel. Der Autor Heinrich Seidel wurde 1842 in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1858 und 1906. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 228 Worte. Die Gedichte „Hänschen auf der Jagd“, „Die Gaben“ und „Der Luftballon“ sind weitere Werke des Autors Heinrich Seidel. Zum Autor des Gedichtes „Waldeinsamkeit“ haben wir auf abi-pur.de weitere 216 Gedichte veröffentlicht.

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