Traumland von Edgar Allan Poe

Jenseits des Raums, jenseits der Zeit
Dehnet sich wild, dehnet sich weit
Ein dunkles Land.
Auf schwarzem Thron
Regiert ein Dämon,
Die Nacht genannt.
Auf einem Wege traurig und einsam,
Mit bösen Engelschaaren gemeinsam,
Erreicht’ ich dies Thule
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Erst neuerdings.
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Durch Heiden ging’s
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Durch Sümpf’ und Pfuhle –
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Da lag es verzaubert, das Land des Traums,
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Jenseits der Zeit, jenseits des Raums
 
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Stürzende Berge, gähnende Schlünde,
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Titanenwälder, gespenstische Gründe,
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Wallende Meere ohne Küsten,
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Felsen mit zerrissenen Brüsten,
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Wogen, die sich ewiglich bäumen,
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In lodernde Feuerhimmel schäumen,
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Seeen, die sich dehnen und recken,
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Ihre stillen Wasser ins Endlose strecken,
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Ihre stillen Wasser, still und schaurig,
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Mit den schläfrigen Lilien bleich und traurig.
 
25 
An den Seen, die sich so dehnen und recken,
26 
Ihre stillen Wasser ins Endlose strecken,
27 
Ihre stillen Wasser, still und schaurig,
28 
Mit den schläfrigen Lilien bleich und traurig –
29 
An den Felsen neben den düstern,
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Unheimlichen Wellen, die ewig flüstern,
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An den Wäldern neben den Teichen,
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Wo die eklen Gezüchte schleichen,
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In jedem Winkel, dunkel, unselig,
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An allen Sümpfen und Pfuhlen unzählig,
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Wo die Geister hausen –
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Trifft der Wandrer mit Grausen
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Verhülltes Volk aus dem Totenlande,
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Erinnerungen im Leichengewande,
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Weiße Gestalten der Schatteninseln,
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Bleiche Schemen aus toten Zeiten,
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Die verzweiflungsvoll stöhnen und winseln,
42 
Wie sie am Wandrer vorübergleiten.
 
43 
Für das Herz, dessen Schmerzen Legionen,
44 
Sind dies friedvolle, milde Regionen;
45 
Für den umnachteten, dunklen Geist
46 
Sind es himmlische, selige Auen.
47 
Doch der Pilger, der es durchreist,
48 
Darf es nicht unverhüllt erschauen.
49 
Unergründlich bleibt es für jeden,
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Dieses geheimnißvolle Eden –
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Das ist des finstern Königs Willen –
52 
Und der Wandrer, von ungefähr
53 
Dorthin verschlagen, erblickt es daher
54 
Nur durch verdunkelte, matte Brillen.
 
55 
Auf einem Wege traurig und einsam,
56 
Mit bösen Engelschaaren gemeinsam,
57 
Schritt ich jüngst heim durch Sümpfe und Pfuhle
58 
Aus diesem öden, entlegenen Thule.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.6 KB)

Details zum Gedicht „Traumland“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
58
Anzahl Wörter
292
Entstehungsjahr
nach 1825
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Traumland“ wurde vom berühmten amerikanischen Autor Edgar Allan Poe verfasst, der vom 19. Januar 1809 bis 7. Oktober 1849 lebte. Daher lässt sich das Werk zeitlich in die Epoche des Amerikanischen Transzendentalismus und des frühen amerikanischen Realismus einordnen.

Auf den ersten Blick spiegelt das Gedicht Poes charakteristische dunkle, mysteriöse und morbide Stimmung wider. Das lyrische Ich beschreibt eine Reise durch ein dystopisches und gespenstisches „Traumland“, das jenseits von Raum und Zeit liegt. Dieses ominöse Reich wird von einer nächtlichen Dämonin geherrscht und ist von erschreckenden Landschaften und gruseligen Kreaturen, darunter Gespenster und böse Engel, bevölkert. Das Gefühl der Isolation und des Schreckens ist während der gesamten Reise des lyrischen Ichs präsent.

Trotz der beunruhigenden Natur dieses „Traumlandes“ beschreibt das lyrische Ich es jedoch als einen Friedens- und Zufluchtsort für „das Herz, dessen Schmerzen Legionen“ sind und für den „umnachteten, dunklen Geist“. Dies deutet darauf hin, dass diese Reise eine Metapher für das Durcharbeiten von Trauer, Verlust und Schmerz sein könnte. Das lyrische Ich kehrt schließlich von der Reise zurück, aber die Erfahrung scheint es verändert zu haben.

Formal ist das Gedicht in fünf unterschiedlich lange Strophen unterteilt. Die Sprache von Poe ist reich an räumlichen und tiefsinnigen Metaphern, etwa wenn er das „Traumland“ als „ein Land jenseits von Raum und Zeit“ beschreibt. Der Dichter spielt auch geschickt mit dem Konzept des Paradoxen, indem er beispielsweise die „bösen Engelscharen“ erwähnt, wobei Engel normalerweise als positive und reine Wesen angesehen werden. Poes Gebrauch des Reims und des Rhythmus trägt zur melancholischen, düsteren Stimmung des Gedichts bei. Er nutzt auch Wiederholungen, um bestimmte Themen zu unterstreichen, wie die Isolation und die gespenstische Atmosphäre seines „Traumlandes“.

Dieses Gedicht kann als Poes Reflektion über Themen wie Tod, Verlust, Trauer und die Dunkelheit des menschlichen Geistes gedeutet werden. Darüber hinaus kann es als Kritik an der gesellschaftlichen Realität seiner Zeit angesehen werden, die oft als heuchlerisch und repressiv empfunden wurde. Es vermittelt auch eine tiefe Beschäftigung mit der Natur und dem Übersinnlichen, die typisch für die Epoche des Transzendentalismus war.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Traumland“ des Autors Edgar Allan Poe. 1809 wurde Poe in Boston, USA geboren. In der Zeit von 1825 bis 1849 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das vorliegende Gedicht umfasst 292 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 58 Versen. Weitere Werke des Dichters Edgar Allan Poe sind „An Helene“, „An Zante“ und „Annabel Lee“. Zum Autor des Gedichtes „Traumland“ haben wir auf abi-pur.de weitere 17 Gedichte veröffentlicht.

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