Ein Knabe von Hugo von Hofmannsthal

Lang kannte er die Muscheln nicht für schön:
Er war zu sehr aus einer Welt mit ihnen;
Der Duft der Hyazinthen war ihm nichts
Und nichts das Spiegelbild der eigenen Mienen.
 
Doch alle seine Tage waren so
Geöffnet wie ein leierförmig Tal,
Darin er Herr zugleich und Knecht zugleich
Des weißen Lebens war und ohne Wahl.
 
Wie einer, der noch tut, was ihm nicht ziemt,
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Doch nicht für lange, ging er auf den Wegen:
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Der Heimkehr und unendlichem Gespräch
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Hob seine Seele ruhig sich entgegen.
 
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II
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Eh er gebändigt war für sein Geschick,
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Trank er viel Flut, die bitter war und schwer.
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Dann richtete er sonderbar sich auf
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Und stand am Ufer seltsam leicht und leer.
 
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Zu seinen Füßen rollten Muscheln hin,
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Und Hyazinthen hatte er im Haar,
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Und ihre Schönheit wußte er, und auch,
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Daß dies der Trost des schönen Lebens war.
 
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Doch mit unsicherm Lächeln ließ er sie
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Bald wieder fallen, denn ein großer Blick
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Auf diese schönen Kerker zeigte ihm
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Das eigne unbegreifliche Geschick.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.7 KB)

Details zum Gedicht „Ein Knabe“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
167
Entstehungsjahr
1896
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Ein Knabe“ stammt von dem österreichischen Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, der von 1874 bis 1929 lebte. Somit ist das Gedicht ein Zeitgenosse der literarischen Moderne, die durch einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel und eine deutlich sichtbare Sensibilität gekennzeichnet ist.

In dem Gedicht verkörpert der Knabe das lyrische Ich. Die Eindrücklichkeit des Gedichts liegt dabei nicht nur in der ästhetischen Qualität der Sprache, sondern auch in der genauen Beobachtung der entwickelnden Wahrnehmungsfähigkeit des Knaben.

In der ersten Strophe wird der junge unbeschwerte Zustand des Kindes dargestellt, in dem er Alles noch nicht differenziert und als Einheit wahrnimmt - er „kennt die Muscheln nicht für schön“, da er noch im ganzheitlichen Erleben der Welt ist. Seine Tage, wie in der zweiten Strophe zu verstehen ist, sind „geöffnet wie ein leierförmig Tal“, in dem er zugleich „Herr und Knecht zugleich des weißen Lebens war und ohne Wahl.„

In den folgenden Strophen geschieht ein Wandel im Knaben - er trinkt viel „Flut“, die bitter und schwer ist, bevor er seine Veränderung durchmacht: Er erblickt die Schönheit der Welt, die er vorher nicht wahrgenommen hat, und erkennt dabei auch den Trost des schönen Lebens.

Doch diese Erkenntnis bleibt unsicher, er lässt die Muscheln, die er zuvor aufgehoben hat, bald wieder fallen. Der Knabe wird so von der Unschuld zum Wissen und von der Unwissenheit zur Erkenntnis seiner eigenen Begrenztheit geführt.

Das Gedicht hat einen melancholischen Tonfall und dichtet in einem Rhythmus, der den Wechsel von der kindlichen Unschuld zum erwachsenen Bewusstsein verdeutlicht. Das lyrische Ich im Gedicht durchläuft so eine Identitätsentwicklung, die von der Unschuld zur Selbstreflexion führt. Die Sprache des Gedichts ist gekennzeichnet durch einfache, aber wirkungsvolle Bilder und Metaphern, die die innere Welt des lyrischen Ichs widerspiegeln.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Ein Knabe“ des Autors Hugo von Hofmannsthal. Hofmannsthal wurde im Jahr 1874 in Wien geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1896. In Leipzig ist der Text erschienen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Der Schriftsteller Hofmannsthal ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 167 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 25 Versen. Der Dichter Hugo von Hofmannsthal ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Jüngling in der Landshaft“, „Der Kaiser von China spricht“ und „Der Schiffskoch, ein Gefangener, singt“. Zum Autor des Gedichtes „Ein Knabe“ haben wir auf abi-pur.de weitere 40 Gedichte veröffentlicht.

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