Der Kaiser von China spricht von Hugo von Hofmannsthal

In der Mitte aller Dinge
Wohne Ich, der Sohn des Himmels.
Meine Frauen, meine Bäume,
Meine Tiere, meine Teiche
Schließt die erste Mauer ein.
Drunten liegen meine Ahnen:
Aufgebahrt mit ihren Waffen,
Ihre Kronen auf den Häuptern,
Wie es einem jeden ziemt,
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Wohnen sie in den Gewölben.
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Bis ins Herz der Welt hinunter
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Dröhnt das Schreiten meiner Hoheit.
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Stumm von meinen Rasenbänken,
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Grünen Schemeln meiner Füße,
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Gehen gleichgeteilte Ströme
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Osten-, west- und süd- und nordwärts,
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Meinen Garten zu bewässern,
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Der die weite Erde ist.
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Spiegeln hier die dunkeln Augen,
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Bunten Schwingen meiner Tiere,
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Spiegeln draußen bunte Städte,
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Dunkle Mauern, dichte Wälder
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Und Gesichter vieler Völker.
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Meine Edlen, wie die Sterne,
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Wohnen rings um mich, sie haben
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Namen, die ich ihnen gab,
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Namen nach der einen Stunde,
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Da mir einer näher kam,
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Frauen, die ich ihnen schenkte,
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Und den Scharen ihrer Kinder,
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Allen Edlen dieser Erde
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Schuf ich Augen, Wuchs und Lippen,
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Wie der Gärtner an den Blumen.
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Aber zwischen äußern Mauern
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Wohnen Völker meine Krieger,
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Völker meine Ackerbauer.
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Neue Mauern und dann wieder
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Jene unterworfnen Völker,
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Völker immer dumpfern Blutes,
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Bis ans Meer, die letzte Mauer,
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Die mein Reich und mich umgibt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Der Kaiser von China spricht“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
41
Anzahl Wörter
192
Entstehungsjahr
1897
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Kaiser von China spricht“ wurde von Hugo von Hofmannsthal, einem österreichischen Schriftsteller und Dramatiker, verfasst. Hofmannsthal lebte von 1874 bis 1929 und war einer der bedeutendsten Vertreter des Wiener Fin de Siècle. Daher kann dieses Gedicht der Epoche des Symbolismus bzw. der Dekadenzziels in die Zeit um 1900 zugeordnet werden.

Beim ersten Eindruck handelt es sich um ein Macht darstellendes Gedicht, das Kraft und Weitreichendkeit eines Kaisertaums beschreibt. Weiterhin wird eine klare Hierarchie und Ordnung gepriesen, die sich von der Mitte, dem Kaiser, bis hin zu den kleinsten Wesen erstreckt.

Inhaltlich wird das lyrische Ich als der Kaiser von China, der Sohn des Himmels, eingeführt. Der Kaiser beschreibt seine Machtposition, seine Umgebung, seine Besitztümer und sein Volk in einer fast göttlichen Art und Weise. Er sieht sich als den Mittelpunkt des Universums, der sich über alles andere erhebt. Die Struktur seiner Welt – die Mauern, seine Bediensteten, seine Frauen, Tiere, Bäume und Teiche – ist durch seine Kontrolle und sein Design entstanden. Zudem illustriert er seine Macht durch das Bild des Gärtners, der Blumen formt, ebenso wie er die Menschen formt.

Auf der formalen Ebene besteht das Gedicht aus einer einzigen langen Strophe mit 41 Versen. Die regelmäßigen vierhebigen Trochäen und der Paarreim erzeugen ein rhythmisches, fast hypnotisches Muster, das die sich wiederholende Struktur von Mauern und die Balance in der Hierarchie widerspiegelt. Die Sprache ist stellenweise stark bildlich, andererseits auch direkt und beherrschend. Darüber hinaus gibt es eine stark bemerkbare Symbolik, wie beispielsweise die Bäume, die für Beständigkeit und Stärke stehen könnten, oder die Teiche, die möglicherweise die Reinheit und Weisheit als Symbol für den Kaiser darstellen.

Insgesamt ist das Gedicht „Der Kaiser von China spricht“ ein beeindruckendes Beispiel für die Größe und grandiosen Grenzen kaiserlicher Macht, die durch die metaphorische Sprache und symbolischen Bilder Hofmannsthals dabei gedanklich beflügelt und erweitert werden.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Kaiser von China spricht“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Hugo von Hofmannsthal. Der Autor Hugo von Hofmannsthal wurde 1874 in Wien geboren. Im Jahr 1897 ist das Gedicht entstanden. In Leipzig ist der Text erschienen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Hofmannsthal ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 41 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 192 Worte. Der Dichter Hugo von Hofmannsthal ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Schiffskoch, ein Gefangener, singt“, „Des alten Mannes Sehnsucht nach dem Sommer“ und „Die beiden“. Zum Autor des Gedichtes „Der Kaiser von China spricht“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 40 Gedichte vor.

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