Die Irrlichter von Johann Peter Hebel

Es wandeln in der stille dunkle Nacht
wohl Engel um, mit Sterneblume g’chrönt,
uf grüne Matte, bis der Tag verwacht,
und do und dört e Betzit-Glocke tönt.
 
Sie spröche mitenander deis und das,
sie machen öbbis mitenander us;
’s sin gheimi Sache; niemes rothet, was?
Druf göhn sie wieder furt, und richte’s us.
 
Und stoht ke Stern am Himmel und ke Mon,
10 
und wemme nümme sieht, wo d’Nußbäum stöhn,
11 
mü’en selli Marcher usem Füür an d’Frohn,
12 
sie müen den Engle zünde, wo sie göhn.
 
13 
Und jedem hangt e Bederthalben a,
14 
und wenn’s em öd wird, lengt er ebe dri,
15 
und biißt e Stückli Schwefelschnitten a,
16 
und trinkt e Schlückli Treber-Brentewi.
 
17 
Druf putzt er d’Schnören amme Tschäubli ab,
18 
Hui, flackerets in liechte Flammen uf,
19 
und, hui, gohts wieder d’Matten uf und ab,
20 
mit neue Chräfte, d’Matte ab und uf.
 
21 
’s isch chummliger so, wenn eim vorem Fueß
22 
und vor den Auge d’Togge selber rennt,
23 
aß wemme sie mit Hände trage mueß,
24 
und öbbe gar no d’Finger dra verbrennt.
 
25 
Und schritet spot e Mensch dur d’Nacht derher,
26 
und sieht vo witem scho die Kerli goh,
27 
und betet lisli: „Das walt Gott der Her“ –
28 
„Ach bleib bei uns“ – im Wetter sind sie do.
 
29 
Worum? Sobald der Engel bete hört,
30 
e heimelets en a, er möcht derzue.
31 
Der füürig Marcher blieb io lieber dört,
32 
und wenn er chunnt, so hebt er d’Ohre zue.
 
33 
Und schritet öbsch e trunkne Ma dur d’Nacht,
34 
und fluecht und sappermentet: „Chrütz und Stern“,
 
35 
und alli Zeichen, aß der Bode chracht,
36 
sell hörti wohl der füürig Marcher gern.
 
37 
Doch wirds em nit so guet; der Engel seit:
38 
„Furt, weidli furt! Do magi nüt dervo!“
39 
Im Wetterleich, sen isch der wiit und breit
40 
kei Marcher me, und au kei Engel do.
 
41 
Doch goht me still si Gang in Gottis G’leit,
42 
und denkt: „Der chönnet bliben oder cho,
43 
ne jede weiß si Weg, und ’s Thal isch breit,“
44 
sel isch’s vernünftigst, und sie lön ein go.
 
45 
Doch wenn der Wunderwitz ein öbbe brennt,
46 
me lauft im Uhverstand den Engle no,
47 
sel isch ene wie Gift und Poperment;
48 
im Augeblick se lön sie Alles stoh.
 
49 
Z’erst sage sie: „Denkwol es isch si Weg,
50 
er goht verbei, mer wen e wenig z’ruck!“
51 
So sage sie, und wandle still us Weg,
52 
und sieder nimmt der füürig Ma ne Schluck.
 
53 
Doch folgt me witers über Steg und Bort,
54 
wo nummen au der Engel goht und stoht,
55 
se seit er z’letzt: „Was gilts, i find en Ort,
56 
„du Lappi, wo di Weg nit dure goht!“
 
57 
Der Marcher muß vora, mit stillem Tritt
58 
der Engel hinterher, und lauft me no,
59 
se sinkt men in e Gülle, ’s fehlt si nit.
60 
Jez weisch di B’richt, und jez chasch wieder goh!
 
61 
Nei, wart e wenig, ’s chunnt e guti Lehr!
62 
Vergiß mers nit, schribs lieber in e Buch!
63 
Zum Erste sagi: Das walt Gott der Her,
64 
isch alliwil no besser, aß e Fluch.
 
65 
Der Fluch jagt d’Engel mittem Heil dervo;
66 
ne christli Gmüeth und ’s Bette zieht sie a;
67 
und wemme meint, me seh ne Marcher cho,
68 
’s isch numme so d’Laterne vorne dra.
 
69 
Zum Anderen, und wenn en Ehre-Ma
70 
ne Gschäft für ihn ellei z’verrichte het,
71 
se loß en mache! was gohts di denn a?
72 
Und los nit, wemme mittem Nochber redt!
 
73 
Und goht me der us Weg, so lauf nit no!
74 
Gang diner Wege furt in Gottis G’leit!
75 
’s isch Uhverstand, me merkts enanderno,
76 
und ’s git en Unehr. Sag, i heig ders gseit.

Details zum Gedicht „Die Irrlichter“

Anzahl Strophen
20
Anzahl Verse
76
Anzahl Wörter
600
Entstehungsjahr
nach 1776
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Die Irrlichter“ wurde von Johann Peter Hebel verfasst. Hebel wurde am 10. Mai 1760 geboren und verstarb am 22. September 1826. Das Gedicht kann zeitlich in die Klassik oder Romantik eingeordnet werden, da Hebel in beide literarische Epochen hineinwirkt.

Der erste Eindruck des Gedichts ist geprägt von einer mysteriösen Atmosphäre in einer dunklen Nacht. Es erscheinen Engel, von Sternen gekrönt, auf einer grünen Matte, bis der Tag erwacht. Es wird von geheimen Gesprächen zwischen den Engeln berichtet, die etwas miteinander ausmachen. Niemand erfährt, worum es sich dabei handelt. Die Engelsfiguren ziehen weiter und richten ihre Taten aus. Es wird beschrieben, dass ohne Sterne am Himmel und Mond, die Walnussbäume aus dem Feuer erlöschen müssten und die Engel entzünden. Jeder Engel hat dabei ein halbes Gebetbuch und wenn es ihm langweilig wird, liest er daraus vor, belebt das Feuer mit Schwefelhölzern und trinkt einen Schluck Trebernbrand (Art des Schnapses).

Die Form des Gedichts besteht aus 20 Strophen mit insgesamt 80 Versen. Jede Strophe hat 4 Verse. Die Sprache des Gedichts ist in mundartlichem Schweizerdeutsch verfasst und sehr bildhaft. Es werden oft Alltagsbegriffe verwendet. Der Rhythmus des Gedichts ist durchgehend gleichmäßig und bietet keine besonderen Auffälligkeiten.

Inhaltlich möchte das lyrische Ich durch die Beschreibung der Irrlichter und der Engel möglicherweise auf die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Lebens hinweisen. Die Engelsfiguren erscheinen und verschwinden, ihre Taten und Geheimnisse bleiben verborgen. Sie verkörpern das Geheimnisvolle und Unbegreifliche, das dem Menschen stets fremd bleibt. Die Anwesenheit der Engelsfiguren wird von einer betenden Person wahrgenommen, die um Gottes Hilfe bittet, während ein betrunkener Mann durch die Nacht taumelt und die Anzeichen des Himmels sucht. Der Text stellt eine Art moralische Lehre dar, indem er beispielsweise darauf hinweist, dass der Fluch die Engel vom Segen vertreibt und dass man nicht in die Angelegenheiten anderer Menschen eingreifen sollte.

Insgesamt lässt sich das Gedicht als eine Reflexion über das Geheimnisvolle und Vergängliche des Lebens interpretieren. Es verdeutlicht, dass der Mensch oft nur einen kleinen Teil der Zusammenhänge und Bedeutungen versteht und dass es wichtig ist, sich auf sein eigenes Handeln und seinen eigenen Weg zu konzentrieren, ohne die Grenzen anderer zu überschreiten. Dem lyrischen Ich geht es möglicherweise darum, dem Leser eine moralische Lektion über Bescheidenheit, Selbstreflexion und Akzeptanz zu vermitteln.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Irrlichter“ ist Johann Peter Hebel. Geboren wurde Hebel im Jahr 1760 in Basel. Zwischen den Jahren 1776 und 1826 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Karlsruhe. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 600 Wörter. Es baut sich aus 20 Strophen auf und besteht aus 76 Versen. Die Gedichte „Agatha, an der Bahre des Pathen“, „An Herrn Geheimerath v. Ittner“ und „Auf den Tod eines Zechers“ sind weitere Werke des Autors Johann Peter Hebel. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Irrlichter“ weitere 60 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Johann Peter Hebel (Infos zum Autor)

Zum Autor Johann Peter Hebel sind auf abi-pur.de 60 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.