Das Habermuß von Johann Peter Hebel

’s Haber-Mueß wär ferig, se chömmet ihr Chinder und esset!
Betet: Aller Augen – und gent mer Achtig.
aß nit eim am rueßige Tüpfi ’s Ermeli schwarz wird.
 
Esset denn, und segnichs Gott, und wachset und trüeihet!
D’Haber-Chörnli het der Aetti zwische de Fure
gseiht mit flißiger Hand und abeg’eget im Früeih-Johr.
 
Aß es gwachsen isch und zitig worde, für sel cha
euen Aetti nüt, sel thuet der Vater im Himmel.
Denket numme, Chinder, es schloft im mehlige Chörnli
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chlei und zart e Chiimli, das Chiimli thuetich ke Schnüfli,
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nei, es schloft, und seit kei Wort, und ißt nit und trinkt nit,
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bis es in de Fure lit, im luckere Bode.
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Aber in de Furen und in der füechtige Wärmi
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wacht es heimli uf us sim verschwiegene Schlöfli,
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streckt die zarte Gliedli, und suget am saftige Chörnli,
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wie ne Muetter-Chind, ’s isch Alles, aß es nit briegget.
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Siederie wirds größer, und heimli schöner und stärcher,
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und schlieft us de Windlen, es streckt e Würzeli abe,
 
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tiefer aben in Grund, und sucht si Nahrig und find’t sie.
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Io und ’s stichts der Wundervitz, ’s möcht nummen au wisse,
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wie ’s denn witer oben isch. Gar heimlig und furchtsem
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güggelet’s zum Boden us, – Potz tausig, wie gfallts em!
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Uise lieber Hergott, er schickt en Engeli abe:
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„Bringem e Tröpfli Thau, und sag em fründli Gottwilche!“
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Und es trinkt, und ’s schmecktem wohl, und ’s streckt si gar sölli.
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Sieder strehlt si d’Sunnen, und wenn sie gwäschen und gstrehlt isch,
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chunnt sie mit der Strickete füre hinter de Berge,
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wandlet ihre Weg hoch an der himmlische Land-Stroß,
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strickt und lueget aben, as wie ne fründligi Muetter
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no de Chindlene luegt. Sie lächlet gegenem Chiimli,
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und es thuet em wohl, bis tief ins Würzeli abe.
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„So ne tolli Frau, und doch so güetig und fründli!“
 
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Aber was sie strickt? He, Gwülch us himmlische Düfte!
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’s tröpflet scho, ne Sprützerli chunnt, druf regnets gar sölli.
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’s Chiimli trinkt bis gnueg; druf weiht e Lüftli und trochnet’s,
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und es seit: „Iez gangi nümmen untere Bode,
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um ke Pris! Do blibi, geb, was no us mer will werde!“
 
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Esset, Chindli, gsegn’ es Gott! und wachset und trüeihet!
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’s wartet herbi Zit ufs Chimli. Wulken an Wulke
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stöhn am Himmel Tag und Nacht, und d’Sunne verbirgt si.
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Uf de Berge schneits, und witer niede hurniglet’s.
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Schocheli schoch, wie schnatteret iez und briegget mi Chiimli,
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und der Boden isch zue, und ’s het gar chündigi Nahrig.
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„Isch denn d’Sunne gstorbe, seit es, aß sie nit cho will!
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oder förcht sie au, es frier’ sie? Wäri doch bliebe,
 
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woni gsi bi, still und chlei im mehlige Chörnli,
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und deheim im Boden und in der füechtige Wärmi.“
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Lueget, Chinder, so gohts! Der werdet au no so sage,
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wenn der use chömmet, und unter fremde Lüte
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schaffe müent und reble, und Brod und Plunder verdiene:
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„Wäri doch deheim bi’m Müetterli, hinterem Ofe!“
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Tröstich Gott! ’s nimmt au en End, und öbbe wird’s besser,
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wie’s im Chiimli gangen isch. Am heitere Mai-Tag
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weihts so lau, und d’Sunne stigt so chräftig vom Berg uf,
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und sie luegt, was ’s Chiimli macht, und git em e Schmützli,
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und iez isch em wohl, und ’s weiß nit z’blibe vor Freude.
 
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Nootno prange d’Matte mit Gras und farbige Blueme;
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nootno duftet ’s Chriesi-Bluest, und grüenet der Pflum-Baum;
 
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nootno wird der Rogge buschig, Weizen und Gerste,
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und mi Häberli seit: „Do blibi au nit dehinte!“
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Nei, es spreitet d’Blättli us, wer het em sie gwobe?
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und iez schießt der Halm, – wer tribt in Röhren an Röhre
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’s Wasser us de Wurzle bis in die saftige Spitze?
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Endli schlieft en Aehri us, und schwankt in de Lüfte –
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Sagmer au ne Mensch, wer het an sideni Fäde
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do ne Chnöspli ghenkt und dört mit chünstlige Hände?
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d’Engeli, wer denn sust? Sie wandle zwische de Furen
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uf und ab vo Halm zue Halm, und schaffe gar sölli.
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Iez hangt Bluest an Bluest am zarte schwankigen Aehri,
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und mi Haber stoht, as wie ne Brüütli im Chilch-Stuehl.
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Iez sin zarti Chörnli drin, und wachsen im Stille,
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und mi Haber merkt afange, was es will werde.
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D’Chäferli chömme und d’Fliege, sie chömme z’Stubete zue’nem,
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luege, was er macht, und singen: Eie Popeie!
 
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Und ’s Schi-Würmli chunnt, Potz tausig mittem Laternli,
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z’Nacht um Nüni z’Liecht, wenn d’Fliegen und d’Chäferli schlofe.
 
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Esset, Chinder, segn’ es Gott, und wachset und trüeihet!
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Sieder het me gheuet, und Chriesi gunne no Pfingste;
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sieder het me Pflümli gunne hinterem Garte;
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sieder hen sie Rogge gschnitte, Weizen und Gerste,
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und die arme Chinder hen barfis zwische de Stupfle
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gfalleni Aehri glesen, und ’s Müüsli hetene ghulfe.
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Druf het au der Haber bleicht. Voll mehligi Chörner
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het er gschwankt und gseit: „Iez ischs mer afange verleidet,
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und i merk, mi Zit isch us, was thueni ellei do,
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zwische de Stupfel-Rüeben, und zwische de Grumbire-Stude?“
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Druf isch d’Muetter usen und ’s Efersinli und ’s Plunni,
 
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’s het ein scho an d’Finger gfrore z’Morgen und z’Obe.
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Endli hemmer en brocht und in der staubige Schüre
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hei sie’n dröscht vo früeih um Zwei bis z’Oben um Vieri.
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Druf isch’s Müllers Esel cho, und hetten in d’Mühli
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g’holt, und wieder brocht, in chleini Chörnli vermahle;
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und mit feister Milch vom junge fleckige Chüeihli
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hetten ’s Müetterli g’chocht im Tüpfi, – Geltet, ’s isch guet gsi?
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Wüschet d’Löffel ab, und bett eis! Danket dem Heren –
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und iez göhnt in d’Schuel, dört hangt der Oser am Simse!
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Fall mer keis, gent Achtig, und lehret, was menich ufgit!
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Wenn der wieder chömmet, so chömmet der Zibbertli über.

Details zum Gedicht „Das Habermuß“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
98
Anzahl Wörter
954
Entstehungsjahr
nach 1776
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Habermuß“ wurde von Johann Peter Hebel verfasst, einem deutschen Dichter und Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts, bekannt für seine Alemannischen Gedichte und Erzählungen. Das Gedicht wurde um das Jahr 1800 geschrieben und spiegelt die damalige ländliche Lebenswelt wider.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht in Alemannischer Mundart geschrieben ist, was dem Text eine besondere Note und Ausdruckskraft verleiht. Die naturbezogenen Themen und der einfache Stil sind typisch für Hebels Arbeiten.

Die Hauptthemen des Gedichts sind Dankbarkeit, Bescheidenheit und Achtung vor der Natur. Das lyrisische Ich ruft die Kinder dazu auf das zubereitete Hafermehl zu essen und dabei den Prozess des Wachsens und Reifens zu betrachten. Hierbei wird auf das Wachstum und den Lebenszyklus des Getreides eingegangen, der Beginn mit der Saat, das Wachsen, die Reife und die Ernte und schließlich die Zubereitung und das Essen.

Die Form des Gedichts ist eher unregelmäßig, es gibt keine einheitlichen Strophenlängen oder ein wiederkehrendes Reimschema. Das Gedicht besteht aus 60 Versen und ist in 12 Stanzen unterteilt. Der Gebrauch von Dialekten und lokalen Begriffen verleiht dem Gedicht Authentizität und stellt eine Verbindung zum Leser her. Das lyrische Ich und die verwendeten Metaphern verleihen dem Gedicht eine sehr persönliche und heimelige Atmosphäre.

Das Gedicht hat eine erzählende Struktur und wirkt wie eine kurze Geschichte oder Anekdote, in der die Zyklen der Natur und das alltägliche Leben auf dem Land beschrieben werden. Obwohl es auf den ersten Blick einfach erscheint, hat es eine tiefere Bedeutung und vermittelt die Wertschätzung für die kleinen Dinge im Leben und das Bewusstsein für die Kreisläufe der Natur.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Das Habermuß“ ein Gedicht ist, das die Schönheit und Einfachheit des ländlichen Lebens feiert, und dazu anregt, die einfachen Freuden und Wunder der Natur zu schätzen. Die eingehende Betrachtung des Haferwachstums steht dabei stellvertretend für alltägliche Prozesse, die wir oftmals übersehen oder zu wenig schätzen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Habermuß“ des Autors Johann Peter Hebel. Der Autor Johann Peter Hebel wurde 1760 in Basel geboren. In der Zeit von 1776 bis 1826 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Karlsruhe. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 954 Wörter. Es baut sich aus 12 Strophen auf und besteht aus 98 Versen. Der Dichter Johann Peter Hebel ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Bettler“, „Der Karfunkel“ und „Der Knabe im Erdbeerschlag“. Zum Autor des Gedichtes „Das Habermuß“ haben wir auf abi-pur.de weitere 60 Gedichte veröffentlicht.

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