Der Taler von Frank Wedekind

Blitzt der Taler im Sonnenschein,
Blitzt dem Kind in die Augen hinein,
Über die Wangen rollen die Tränen.
Mutter zieht gar ein ernst Gesicht:
Vor dem Taler, Schatz, fürchte dich nicht;
Nach dem Taler sollst du dich sehnen.
 
Sieh, mein Herzblatt, auf Gottes Welt
Für uns Menschen gibt’s nichts ohne Geld,
Hätt’ ich dich, Herzblatt, auch nicht bekommen.
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Bist noch so unschuldig, noch so klein,
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Und willst täglich gefüttert sein,
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Hast es mir selbst aus der Tasche genommen.
 
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Darfst nicht weinen, bist all mein Glück;
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Gibst mir’s tausendfältig zurück.
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Sieh, die goldene Sonne dort oben
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Brennt sie dir gleich deine Guckaugen wund,
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Nährt und behütet den Erdenrund,
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Daß alle Kreaturen sie loben.
 
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Nach der Sonne in goldiger Pracht
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Haben die Menschen ihr Geld gemacht;
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Ohne das Geld muß man elend sterben.
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Sonne ist Glück und Glück ist Geld;
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Wem es nicht schon in die Wiege fällt,
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Der muß es mühevoll sich erwerben.
 
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Sieh, mein Herzblatt, den grünen Wald,
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Drin der Vögel Gezwitscher erschallt;
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Wie das so lieblich ist anzuschauen.
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Hast du kein Geld für das morgige Brot,
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Dir sind all die Vögelein tot,
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Und der Wald ist ein schrecklich Grauen!
 
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Geld ist Schönheit; mit recht viel Geld
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Nimmst du den Mann, der dir wohlgefällt,
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Keinen Häßlichen, keinen Alten.
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Sieh, der Reichen Hände, wie weiß!
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Wissen nichts von Frost und von Schweiß;
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Haben keine Schwielen noch Falten.
 
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Bei uns Armen ist Eins mal schön,
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Aber nur im Vorübergehn;
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Morgen schon ist zerrupft sein Gefieder.
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Oder die Schönheit wird ihm zu Geld;
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Kommt es hinauf in die große Welt,
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Steigt es nicht leicht mehr zu uns hernieder.
 
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Kind, hab acht auf wahren Gewinn:
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Geld ist Freiheit, ist Edelsinn,
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Menschenwürde und Seelenfrieden.
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Alles kehrt sich zum goldenen Licht,
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Warum sollen wir Menschen es nicht?
48 
Dir, mein Kind, sei das Glück beschieden.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „Der Taler“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
300
Entstehungsjahr
1905
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Taler“ wurde von Frank Wedekind geschrieben, ein deutscher Dramatiker und Autor, der von 1864 bis 1918 gelebt hat. Damit lässt sich das Gedicht grob in das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert einordnen, einer Zeit, die von großer sozialer und industrieller Veränderung geprägt war.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht wie eine Art Kinderlied oder Wiegenlied, das einer Mutter spricht, um ihr Kind über die Wirkung und Wichtigkeit des Geldes aufzuklären.

Das lyrische Ich, vermutlich die Mutter, scheint dem Kind beizubringen, dass Geld notwendig ist, um in der Welt zu überleben. Sie beschreibt Geld als Glück, Freiheit, Edelsinn, Menschenwürde und Seelenfrieden und ermuntert das Kind, nach Geld zu streben und es zu ehren, so wie alle anderen Kreaturen die Sonne loben. Gleichzeitig wird aber auch darauf hingewiesen, dass Geld Armut und Elend verursachen kann und die Schönheit in der Welt gefährdet.

Das Gedicht besteht aus acht Strophen, von denen jede sechs Verse enthält. Es ist in Reimen geschrieben, wobei das Reimschema AABBCC verwendet wird. Die Sprache ist einfach und unkompliziert, was den erzieherischen Ton des Gedichts unterstreicht. Es gibt eine starke Verwendung von Metaphern, insbesondere der Metapher der Sonne, die Geld darstellt.

Die zentrale Botschaft des Gedichts scheint eine Kritik an der materialistischen Gesellschaft und an der Art und Weise, wie wir Geld über alles andere stellen, zu sein. Das Gedicht erzählt von der Rücksichtslosigkeit und Ungerechtigkeit einer Welt, in der Geld so viel Macht hat, und suggeriert gleichzeitig, dass diese Macht und Wertschätzung des Geldes von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es ist eine Warnung vor den Gefahren des Materialismus und ein Aufruf zur Wiederentdeckung und Wertschätzung der wahren Schönheit in der Welt, die über das Materielle hinausgeht.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Taler“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Frank Wedekind. Geboren wurde Wedekind im Jahr 1864 in Hannover. Im Jahr 1905 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist München. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei Wedekind handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 300 Worte. Die Gedichte „Albumblatt“, „Allbesiegerin Liebe“ und „Alte Liebe“ sind weitere Werke des Autors Frank Wedekind. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Taler“ weitere 114 Gedichte vor.

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