Der Knabe von Joseph von Eichendorff

Es war ein zartes Vögelein,
Das saß in Lieb gefangen,
Ein Knabe hegt' und pflegt' sich's fein
Wohl hinter goldnen Stangen.
 
Und draußen hört's auf grünem Plan
Verschiedner Vögel Weisen,
Sah Tag und Nacht den Knaben an,
Mocht nicht mit ihnen reisen.
 
Und als der Frühling weit und breit
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Von neuem schien und schwärmte,
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Da tat dem Knaben 's Vöglein leid,
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Daß es kein Strahl erwärmte.
 
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Da nahm er aus dem stillen Haus
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Das Vöglein fromm und treue,
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Und schweift' mit ihm durchs Feld hinaus
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Ins himmelblaue Freie.
 
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Er setzt' es vor sich auf die Hand,
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Da wend't und putzt sich's feine,
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In bunten Farben spielt' und brannt
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Sein Kleid im Sonnenscheine.
 
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Doch aus dem Wald ein Singen rief,
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Bunt' Vöglein ziehn und reisen,
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Das lockt so hell, das lockt so tief
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In wundersüßen Weisen.
 
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Das Vöglein frisch die Flügel rührt
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Es ruft: »Kommst du nicht balde?«
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Das hat das Vögelein verführt,
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Fort flog's zum grünen Walde
 
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Nun muß der Knabe einsam gehn,
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Klagt über Tal und Hügel:
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»Süß' Lieb, süß' Lieb, wie bist du schön:
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Ach, hättst du keine Flügel!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Der Knabe“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
181
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Knabe“ wurde von Joseph von Eichendorff verfasst, einem bedeutenden Vertreter der literarischen Epoche der Romantik, die ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert hatte.

Beim ersten Durchlesen fällt das alltägliche und einfache Szenario auf, das in dem Gedicht beschrieben wird: Ein Junge, der einen Vogel hält, ihn schließlich jedoch freilässt.

Im Kontext des Inhalts geht es darum, dass das lyrische Ich - der Knabe - einen Vogel als Haustier hat, der „hinter goldnen Stangen“ lebt. Der Vogel hört die Lieder seiner Artgenossen, kann jedoch nicht mit ihnen ziehen. Als der Frühling naht und die Sonne wieder wärmt, lässt der Junge den Vogel frei. Zunächst scheint der Vogel auf der Hand des Jungen zu bleiben, wird aber bald von der Musik des Waldes, symbolisch für die Freiheit und die Natur, angelockt und fliegt fort.

Das lyrische Ich drückt seine Bedauern und Einsamkeit aus, welche nach Freilassung des Vögelchens einsetzt. Durch diese Handlungsstruktur kann man interpretieren, dass Eichendorff die Widersprüchlichkeit der Liebe darstellen wollte: einerseits die Sehnsucht, den geliebten Menschen (oder in diesem Fall das geliebte Tier) besitzen und bei sich behalten zu wollen, und andererseits den Wunsch, den Geliebten in seiner Freiheit nicht einzuschränken.

Die Form und Sprache des Gedichts wirken einfach und eingängig. Es besteht aus acht vierzeiligen Strophen im Kreuzreim, was dem Gedicht einen fast beliebigen Rhythmus verleiht. Die verwendete Sprache ist schlicht und unverschnörkelt, ohne komplizierte Metaphern oder ausgefallene Wortwahl. Dies passt zum abgebildeten Alltagsszenario und zur Gefühlswelt des jugendlichen Protagonisten. Die natürlichen und lebendigen Bilder laden ein, sich die geschilderte Situation lebendig vorzustellen und zu empfinden. Durch die einfache und verständliche Sprache avanciert das Gedicht zu einer Art Parabel, die eine universelle Botschaft vermittelt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Knabe“ ist Joseph von Eichendorff. Im Jahr 1788 wurde Eichendorff geboren. Zwischen den Jahren 1804 und 1857 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte. Aber auch die Gebiete Geschichte, Philosophie und Theologie sowie Medizin und Naturwissenschaften waren von ihren Auswirkungen betroffen. Die Literaturepoche der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Romantikern zuwider. Sie stellten sich in ihren Werken gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. Weltflucht, Hinwendung zur Natur, Verklärung des Mittelalters (damalige Kunst und Architektur wurde nun wieder geschätzt), Rückzug in Fantasie- und Traumwelten, Betonung des Individuums und romantische Ironie sind typische Merkmale der Romantik. Die Themen der Romantik zeigen sich in verschiedenen Motiven und Symbolen. So gilt beispielsweise die Blaue Blume als das zentrale Motiv der Romantik. Sie symbolisiert Liebe und Sehnsucht und verbindet Natur, Mensch und Geist. Die Nacht hat ebenfalls eine besondere Bedeutung in der Literatur der Romantik. Sie ist der Schauplatz für zahlreiche weitere Motive dieser Epoche: Vergänglichkeit, Tod und nicht alltägliche, obskure Phänomene. Im ebenfalls in dieser Epoche zu findenden Spiegelmotiv zeigt sich die Hinwendung der Romantik zum Unheimlichen. Die äußere Form von romantischer Literatur ist völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das 181 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Joseph von Eichendorff ist auch der Autor für Gedichte wie „Lied“, „Mondnacht“ und „Morgengebet“. Zum Autor des Gedichtes „Der Knabe“ haben wir auf abi-pur.de weitere 395 Gedichte veröffentlicht.

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