Die wunderliche Prinzessin von Joseph von Eichendorff

Weit in einem Walde droben
Zwischen hoher Felsen Zinnen,
Steht ein altes Schloß erhoben,
Wohnet eine Zaubrin drinnen.
Von dem Schloß, der Zaubrin Schöne
Gehen wunderbare Sagen,
Lockend schweifen fremde Töne
Plötzlich her oft aus dem Walde.
Wem sie recht das Herz getroffen,
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Der muß nach dem Walde gehen,
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Ewig diesen Klängen folgend,
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Und wird nimmermehr gesehen.
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Tief in wundersamer Grüne
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Steht das Schloß, schon halb verfallen,
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Hell die goldnen Zinnen glühen,
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Einsam sind die weiten Hallen.
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Auf des Hofes stein'gem Rasen
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Sitzen von der Tafelrunde
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All die Helden dort gelagert,
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Überdeckt mit Staub und Wunden.
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Heinrich liegt auf seinem Löwen,
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Gottfried auch, Siegfried der Scharfe,
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König Alfred, eingeschlafen
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Über seiner goldnen Harfe.
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Don Quijote hoch auf der Mauer
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Sinnend tief in nächt'ger Stunde,
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Steht gerüstet auf der Lauer
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Und bewacht die heil'ge Runde.
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Unter fremdes Volk verschlagen,
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Arm und ausgehöhnt, verraten
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Hat er treu sich durchgeschlagen,
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Eingedenk der Heldentaten
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Und der großen, alten Zeiten,
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Bis er, ganz von Wahnsinn trunken,
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Endlich so nach langem Streiten
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Seine Brüder hat gefunden.
 
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Einen wunderbaren Hofstaat
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Die Prinzessin dorten führet,
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Hat ein'n wunderlichen Alten,
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Der das ganze Haus regieret.
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Einen Mantel trägt der Alte,
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Schillernd bunt in allen Farben
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Mit unzähligen Zieraten,
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Spielzeug hat er in den Falten.
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Scheint der Monden helle draußen,
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Wolken fliegen überm Grunde:
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Fängt er draußen an zu hausen,
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Kramt sein Spielzeug aus zur Stunde.
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Und das Spielzeug um den Alten
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Rührt sich bald beim Mondenscheine,
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Zupfet ihn beim langen Barte,
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Schlingt um ihn die bunten Kreise,
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Auch die Blümlein nach ihm langen,
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Möchten doch sich sittsam zeigen,
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Ziehn verstohlen ihn beim Mantel,
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Lachen dann in sich gar heimlich.
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Und ringsum die ganze Runde
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Zieht Gesichter ihm und rauschet,
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Unterhält aus dunklem Grunde
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Sich mit ihm als wie im Traume.
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Und er spricht und sinnt und sinnet,
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Bunt verwirrend alle Zeiten,
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Weinet bitterlich und lachet,
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Seine Seele ist so heiter.
 
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Bei ihm sitzt dann die Prinzessin,
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Spielt mit seinen Seltsamkeiten,
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Immer neue Wunder blinkend
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Muß er aus dem Mantel breiten.
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Und der wunderliche Alte
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Hielt sie sich bei seinen Bildern
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Neidisch immerfort gefangen,
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Weit von aller Welt geschieden.
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Aber der Prinzessin wurde
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Mitten in dem Spiele bange
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Unter diesen Zauberblumen,
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Zwischen dieser Quellen Rauschen.
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Frisches Morgenrot im Herzen
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Und voll freudiger Gedanken,
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Sind die Augen wie zwei Kerzen,
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Schön, die Welt dran zu entflammen.
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Und die wunderschöne Erde,
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Wie Aurora sie berühret,
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Will mit ird'scher Lust und Schmerzen
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Ewig neu sie stets verführen.
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Denn aus dem bewegten Leben
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Spüret sie ein Hochzeitsgrüßen,
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Mitten zwischen ihren Spielen
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Muß sie sich bezwungen fühlen.
 
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Und es hebt die ewig Schöne,
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Da der Morgen herrlich schiene,
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In den Augen große Tränen,
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Hell die jugendlichen Glieder.
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»Wie so anders war es damals,
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Da mich, bräutlich Ausgeschmückte.
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Aus dem heimatlichen Garten
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Hier herab der Vater schickte!
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Wie die Erde frisch und jung noch,
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Von Gesängen rings erklingend,
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Schauernd in Erinnerungen,
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Helle in das Herz mir blickte,
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Daß ich, schamhaft mich verhüllend,
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Meinen Ring, vom Glanz geblendet,
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Schleudert in die prächt'ge Fülle,
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Als die ew'ge Braut der Erde.
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Wo ist nun die Pracht geblieben,
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Treuer Ernst im rüst'gen Treiben,
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Rechtes Tun und rechtes Lieben
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Und die Schönheit und die Freude?
109 
Ach! ringsum die Helden alle,
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Die sonst schön und helle schauten,
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Um mich in den lichten Tagen
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Durch die Welt sich fröhlich hauten,
113 
Strecken steinern nun die Glieder,
114 
Eingehüllt in ihre Fahnen,
115 
Sind seitdem so alt geworden,
116 
Nur ich bin so jung wie damals.
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Von der Welt kann ich nicht lassen,
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Liebeln nicht von fern mit Reden,
119 
Muß im Arm lebendig fassen!
120 
Laß mich lieben, laß mich leben!«
 
121 
Nun verliebt die Augen gehen
122 
Über ihres Gartens Mauer,
123 
War so einsam dort zu sehen
124 
Schimmernd Land und Ström und Auen.
125 
Und wo ihre Augen gingen:
126 
Quellen aus der Grüne sprangen,
127 
Berg und Wald verzaubert standen,
128 
Tausend Vögel schwirrend sangen.
129 
Golden blitzt es überm Grunde,
130 
Seltne Farben irrend schweifen,
131 
Wie zu lang entbehrtem Feste
132 
Will die Erde sich bereiten.
133 
Und nun kamen angezogen
134 
Freier bald von allen Seiten,
135 
Federn bunt im Winde flogen,
136 
Jäger schmuck im Walde reiten.
137 
Hörner munter drein erschallen
138 
Auf und unter durch das Grüne,
139 
Pilger fromm dazwischen wallen,
140 
Die das Heimatsfieber spüren.
141 
Auf vielsonn'gen Wiesen flöten
142 
Schäfer bei schneeflock'gen Schafen,
143 
Ritter in der Abendröte
144 
Knien auf des Berges Hange,
145 
Und die Nächte von Gitarren
146 
Und Gesängen weich erschallen,
147 
Daß der wunderliche Alte
148 
Wie verrückt beginnt zu tanzen.
149 
Die Prinzessin schmückt mit Kränzen
150 
Wieder sich die schönen Haare,
151 
Und die vollen Kränze glänzen
152 
Und sie blickt verlangend nieder.
 
153 
Doch die alten Helden alle,
154 
Draußen vor der Burg gelagert,
155 
Saßen dort im Morgenglanze,
156 
Die das schöne Kind bewachten.
157 
An das Tor die Freier kamen
158 
Nun gesprengt, gehüpft, gelaufen,
159 
Ritter, Jäger, Provenzalen,
160 
Bunte, helle, lichte Haufen.
161 
Und vor allen junge Recken
162 
Stolzen Blicks den Berg berannten,
163 
Die die alten Helden weckten,
164 
Sie vertraulich Brüder nannten.
165 
Doch wie diese uralt blicken,
166 
An die Eisenbrust geschlossen,
167 
Brüderlich die Jungen drücken,
168 
Fallen die erdrückt zu Boden.
169 
Andre lagern sich zum Alten,
170 
Graust ihn'n gleich bei seinen Mienen,
171 
Ordnen sein verworrnes Walten,
172 
Daß es jedem wohlgefiele;
173 
Doch sie fühlen schauernd balde,
174 
Daß sie ihn nicht können zwingen,
175 
Selbst zu Spielzeug sind verwandelt,
176 
Und der Alte spielt mit ihnen.
177 
Und sie müssen töricht tanzen,
178 
Manche mit der Kron geschmücket
179 
Und im purpurnen Talare
180 
Feierlich den Reigen führen.
181 
Andre schweben lispelnd lose,
182 
Andre müssen männlich lärmen,
183 
Rittern reißen aus die Rosse,
184 
Und die schreien gar erbärmlich.
185 
Bis sie endlich alle müde
186 
Wieder kommen zu Verstande,
187 
Mit der ganzen Welt im Frieden,
188 
Legen ab die Maskerade.
189 
»Jäger sind wir nicht, noch Ritter«,
190 
Hört man sie von fern noch summen,
191 
»Spiel nur war das - wir sind Dichter!«
192 
So vertost der ganze Plunder,
193 
Nüchtern liegt die Welt wie ehe
194 
Und die Zaubrin bei dem Alten
195 
Spielt' die vor'gen Spiele wieder
196 
Einsam wohl noch lange Jahre.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (39.4 KB)

Details zum Gedicht „Die wunderliche Prinzessin“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
196
Anzahl Wörter
960
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die wunderliche Prinzessin“ stammt von Joseph von Eichendorff, einem bedeutenden Lyriker der Romantik, der von 1788 bis 1857 lebte. Das Gedicht ist somit in die Epoche der Romantik einzuordnen, die etwa von 1795 bis 1848 andauerte.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht in sechs Strophen unterteilt ist und dass jede Strophe eine unterschiedliche Anzahl an Versen aufweist. Es handelt sich hierbei um ein sehr ausführliches und bildreiches Gedicht, das einen starken Fokus auf fantastische Elemente legt, was typisch für die romantische Dichtung ist.

Kernthema des Gedichts ist eine wunderliche, also seltsam und besonders erscheinende Prinzessin, die in einem verzauberten Schloss inmitten eines Waldes lebt. Sie wird vom lyrischen Ich als sehr lebendig und begehrenswert beschrieben. Das Gedicht erzählt die Geschichte dieser Prinzessin, die sich nach der Welt außerhalb des Waldes sehnt und von vielen Freiern umworben wird. Ein wesentlicher Dreh- und Angelpunkt ist, dass die Freier sich als Dichter herausstellen und ihre Maskerade aufgeben. Die Prinzessin bleibt jedoch bei dem alten Mann, einem Zauberer, der sich als eine Art Spielzeugverkäufer oder Puppenspieler entpuppt.

Inhaltlich lässt sich das Gedicht als ein Spiel mit den romantischen Motiven von Liebe, Sehnsucht und Fantasie interpretieren. Liebe und Poesie werden als mächtige, zauberhafte Kräfte dargestellt, die Menschen verwandeln und verführen können.

Die Form des Gedichts folgt keiner klassischen Struktur. Die Anzahl der Verse in den einzelnen Strophen ist recht variabel und reicht von 24 bis zu 44 Versen. Dies gibt dem Gedicht einen freien, fließenden Charakter und unterstreicht seine verspielte, fantasievolle Atmosphäre.

Die Sprache ist reich an Bildern und Metaphern und zeichnet sich durch eine melodische, klangvolle Rhythmik aus. Eichendorff nutzt eine Vielzahl von Adjektiven und Vergleichen, um seine zauberhafte, mystische Welt zu veranschaulichen. Dies ist typisch für die romantische Dichtung, die sich durch eine emotionale, ausdrucksstarke Sprache und einen starken Fokus auf Sinneseindrücke auszeichnet.

Insgesamt kann „Die wunderliche Prinzessin“ als eine Art romantische Märchengeschichte interpretiert werden, die die Macht der Liebe und der Poesie feiert und dabei eine reiche, lebhafte und zauberhafte Welt erschafft.

Weitere Informationen

Joseph von Eichendorff ist der Autor des Gedichtes „Die wunderliche Prinzessin“. 1788 wurde Eichendorff geboren. Im Zeitraum zwischen 1804 und 1857 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Romantik zuordnen. Bei Eichendorff handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kunstgeschichte, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert hinein die Literatur, Musik, Kunst und Philosophie prägte. Auf die Literatur beschränkt betrachtet reichen die Auswirkungen der Epoche lediglich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hinein. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die damalige Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Schriftstellern der Romantik zuwider. Sie stellten sich in ihren Werken gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. In der Romantik finden sich unterschiedliche charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind wichtige Motive. Aber auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben unbeachtet. Die Stilepoche kennzeichnet sich vor allem durch offene Formen in Gedichten und Texten. Phantasie ist für die Schriftsteller der Romantik das Maß aller Dinge. Die Trennung zwischen Poesie und Wissenschaft, zwischen Traum und Wirklichkeit soll durchbrochen werden. Die Schriftsteller der Romantik streben eine Verschmelzung von Kunst und Literatur an. Ihr Ziel ist es, alle Lebensbereiche zu poetisieren.

Das vorliegende Gedicht umfasst 960 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 196 Versen. Der Dichter Joseph von Eichendorff ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Heimat“, „In Danzig“ und „Kurze Fahrt“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die wunderliche Prinzessin“ weitere 395 Gedichte vor.

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