Die Jungfrau und der Ritter von Joseph von Eichendorff

Eine Jungfrau wandert' einsam
In dem wunderschönen Frankreich
Gen Paris sie wollte ziehen,
Wo die Eltern ihrer harrten;
Von den Ihren abgekommen,
Hatt sie sich verirrt im Walde,
Lehnte sich an eine Eiche
Andre Wandrer abzuwarten.
 
Kam ein Ritter da geritten,
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Gleichfalls gen Paris er trabte.
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»Wenn es Euch beliebt, Herr Ritter,
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Nehmt mich mit aus diesem Walde. -«
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»Herzlich gerne, schöne Herrin!«
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Und, ihr höflich aufzuwarten,
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Sprang der Ritter von dem Rosse,
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Hob hinauf sie, in den Sattel
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Drauf sich selber zu ihr schwingend.
 
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Aber als sie so im Walde
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Einsam ritten, da begann er
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Ihr verliebt den Hof zu machen.
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»Hüt dich, Ritter, sei nicht schändlich,
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Ein Todkranker war mein Vater
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Und verpestet meine Mutter,
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Siech und elend müßt verschmachten,
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Wer mich frevelhaft berührte. -«
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Und der Ritter schwieg erblassend.
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Aber in Paris am Tore
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Still in sich die Jungfrau lachte.
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»Warum lacht Ihr, schöne Herrin?«
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Ȇber den feigen Ritter lach ich,
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Der sein Mädchen hat im Freien
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Und nichts macht als Redensarten!«
 
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Voller Scham sprach da der Ritter:
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»Kehrt noch einmal um zum Walde,
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Habe draußen was vergessen.«
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Doch die schlaue Jungfrau sagte:
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»Nimmer kehr ich um, und tät ich's,
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Keiner doch wagt's, mir zu nahen,
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Denn ich bin die Tochter Frankreichs,
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Und der König ist mein Vater,
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Und wer meinen Leib berührte,
42 
Müßt's mit seinem Kopf bezahlen.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Die Jungfrau und der Ritter“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
221
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von Joseph von Eichendorff, einem bedeutenden Dichter der deutschen Romantik. Es wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfasst. Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine humoristische mittelalterliche Geschichte zu erzählen in der eine junge Frau auf kreative Art und Weise ihre Ehre und unschuld vor einem Ritter bewahrt.

Der Inhalt des Gedichts handelt von einer jungen Frau, die sich im Wald verirrt und auf einen Ritter trifft. Sie bittet ihn um Hilfe und er nimmt sie mit. Während der Fahrt macht der Ritter der jungen Frau den Hof. Die junge Frau lehnt seine Avancen jedoch ab und berichtet, dass sie die Tochter einer verpesteten Mutter und eines todkranken Vaters ist und daher unberührt bleiben muss. In Paris am Stadttor angekommen, lacht sie und meint, dass sie bloß über den feigen Ritter lacht, der seine Chance nicht nutzt. Der Ritter, beschämt, bittet sie, wieder mit ihm in den Wald zu kommen, da er etwas vergessen habe. Sie lehnt ab und enthüllt dann, dass sie die Tochter des Königs ist und jeder, der sie berühren würde, mit seinem Kopf dafür bezahlen müsste.

Angesprochen wird hier das Spannungsfeld zwischen weiblicher Tugend und männlicher Begierde, zwischen möglichem Missbrauch und weiblicher Selbstbehauptung. Das Gedicht zeigt eine selbstbewusste, kluge Frau, die sich sowohl durch List (Vortäuschen der Pest-Ansteckung) als auch durch die Enthüllung ihrer hohen Herkunft (Tochter des Königs) schützt.

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen unterschiedlicher Länge. Die Verse sind in einem ruhigen, eher erzählenden Ton gehalten und nicht durch einen strengen Rhythmus oder Reim gebunden. Die Sprache ist schlicht und unverschnörkelt, was zur Direktheit und Klarheit der Erzählung beiträgt. Insgesamt wirkt das Gedicht volksliedhaft, was durch die Erzählung einer einfachen Begebenheit und die stereotype Figurenkonstellation unterstützt wird. Diese schlichte Form scheint bewusst gewählt zu sein, um die Botschaft des Gedichts hervorzuheben: Die Fähigkeit zur Selbstbehauptung und Widerstandsfähigkeit der Frau trotz patriarchaler Hierarchien und Machtstrukturen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Jungfrau und der Ritter“ ist Joseph von Eichendorff. Der Autor Joseph von Eichendorff wurde 1788 geboren. Zwischen den Jahren 1804 und 1857 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte. Auch die Gebiete Geschichte, Theologie und Philosophie sowie Naturwissenschaften und Medizin waren von ihren Auswirkungen betroffen. Die Literaturepoche wird in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) unterschieden. Zu großen gesellschaftlichen Umbrüchen führte die Industrialisierung. Die neue Maschinenwelt förderte Verstädterung und Landflucht. Die zuvor empfundene Geborgenheit war für die Romantiker in Auflösung begriffen. Wesentliche Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Weitere Motive sind das Fernweh, das Nachtmotiv oder die Todessehnsucht. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Geheimnisvolle, Mysteriöse und galt als Ursprung der Liebe. Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Kunst und Architektur des Mittelalters wurden von den Vertretern der Romantik wieder geschätzt. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über die Form als auch über den Inhalt des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die festen Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken fällt auf.

Das vorliegende Gedicht umfasst 221 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Joseph von Eichendorff ist auch der Autor für Gedichte wie „Abschied“, „Antwort“ und „Auch ein Gedicht?“. Zum Autor des Gedichtes „Die Jungfrau und der Ritter“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 395 Gedichte vor.

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