Weihnachten von Kurt Tucholsky

Nikolaus der Gute
kommt mit einer Rute,
greift in seinen vollen Sack –
dir ein Päckchen – mir ein Pack.
Ruth Maria kriegt ein Buch
und ein Baumwolltaschentuch,
Noske einen Ehrensäbel
und ein Buch vom alten Bebel,
sozusagen zur Erheiterung,
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zur Gelehrsamkeitserweiterung ...
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Marloh kriegt ein Kaiserbild
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und ’nen blanken Ehrenschild.
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Oberst Reinhard kriegt zum Hohn
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die gesetzliche Pension ...
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Tante Lo, die, wie ihr wißt,
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immer, immer müde ist,
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kriegt von mir ein dickes Kissen. –
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Und auch hinter die Kulissen
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kommt der gute Weihnachtsmann:
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Nimmt sich mancher Leute an,
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schenkt da einen ganzen Sack
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guten alten Kunstgeschmack.
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Schenkt der Orska alle Rollen
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Wedekinder, kesse Bollen –
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(Hosenrollen mag sie nicht:
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dabei sieht man nur Gesicht ... ).
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Der kriegt eine Bauerntruhe,
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Fräulein Hippel neue Schuhe,
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jener hält die liebste Hand –
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Und das Land? Und das Land?
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Bitt ich dich, so sehr ich kann:
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Schenk’ ihm Ruhe –
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lieber Weihnachtsmann!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25 KB)

Details zum Gedicht „Weihnachten“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
33
Anzahl Wörter
142
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Weihnachten“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, der von 1890 bis 1935 lebte. Tucholsky war ein politisch engagierter Journalist und Schriftsteller der Weimarer Republik. In diesem Zeitrahmen und vor dem Hintergrund des politischen Umbruchs dieser Epoche kann das Gedicht zeitlich eingeordnet werden.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie ein typisches Weihnachtsgedicht, jedoch wird schnell klar, dass die Intention Tucholskys über bloße Feiertagsfreuden hinausgeht. Der Inhalt des Gedichts unterscheidet sich von traditionellen Weihnachtsgedichten. Es spielt auf verschiedene Personen und Ereignisse in Tucholskys Leben und seiner Zeit an. Namen wie Noske, Marloh und Oberst Reinhard sind für einen modernen Leser nicht sofort ersichtlich, aber damals waren sie bekannten Persönlichkeiten zuzuordnen. Tucholsky benutzt das Bild des Weihnachtsmanns, um Kritik an den sozialen und politischen Zuständen seiner Zeit zu üben und seine Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft auszudrücken. Zum Ende des Gedichts richtet das lyrische Ich einen Appell an den Weihnachtsmann und bittet ihn, dem Land Ruhe zu schenken – eine klare Anspielung auf die politische Unruhe und die damit verbundenen Unsicherheiten der Weimarer Republik.

Das Gedicht ist in freien Versen geschrieben, was typisch für die moderne Lyrik ist, in der traditionelle Formen und Reime oft aufgebrochen werden. Die Sprache ist einfach und leicht verständlich; der Ton wirkt teilweise ironisch, besonders wenn der Weihnachtsmann dazu verwendet wird, politische und soziale Kommentare abzugeben. Hervorzuheben ist auch Tucholskys Spiel mit Erwartungen: Er beginnt mit einer traditionell anmutenden Weihnachtsszene, führt dann jedoch immer wieder Beispiele für Ungleichheit und Unrecht an. Auf diese Weise nutzt er das bekannte Bild des Weihnachtsmanns, um seine kritische Sicht auf die Gesellschaft zu präsentieren.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Weihnachten“ des Autors Kurt Tucholsky. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Schreiber dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Schriftsteller, die ins Exil fliehen, also ihr Heimatland verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur bildet eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den typischen Themenschwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus erkennen. Anders als andere Literaturepochen, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 33 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 142 Worte. Die Gedichte „An Peter Panter“, „An das Publikum“ und „An die Meinige“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Zum Autor des Gedichtes „Weihnachten“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

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