An das Publikum von Kurt Tucholsky

O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: „Das Publikum will es so!“
Jeder Filmfritze sagt: „Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!“
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
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„Gute Bücher gehn eben nicht!“
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Sag mal, verehrtes Publikum:
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bist du wirklich so dumm?
 
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So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
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immer weniger zu lesen steht?
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Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
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aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
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aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
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könnten mit Abbestellung drohn?
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Aus Bangigkeit, es käme am Ende
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einer der zahllosen Reichsverbände
 
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und protestierte und denunzierte
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und demonstrierte und prozessierte …
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Sag mal, verehrtes Publikum:
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bist du wirklich so dumm?
 
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Ja, dann …
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Es lastet auf dieser Zeit
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der Fluch der Mittelmäßigkeit.
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Hast du so einen schwachen Magen?
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Kannst du keine Wahrheit vertragen?
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Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?
31 
Ja, dann …
32 
Ja, dann verdienst dus nicht besser.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „An das Publikum“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
164
Entstehungsjahr
1932
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An das Publikum“ stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Schriftsteller und Journalisten, der von 1890 bis 1935 lebte. Er war ein Vertreter der Weimarer Republik und bekannt für seine politische Satire und Gesellschaftskritik. Dieses spezielle Gedicht lässt sich in die Zeit der Weimarer Republik einordnen, als Deutschland eine Phase der kulturellen Blüte und sozialen Veränderungen, aber auch der politischen und wirtschaftlichen Instabilität erlebte.

Beim ersten Lesen fällt der direkte und anklagende Ton Tucholskys auf. Er spricht das Publikum direkt an und wirft ihm vor, für die mangelnde Qualität in den Medien und der Kultur verantwortlich zu sein. Der Autor führt verschiedene Szenarien an, wie Filmemacher, Verleger und Direktoren, die dem „dummen“ Geschmack des Publikums nachgeben und daher qualitativ minderwertige Produkte liefern.

Tucholsky kritisiert im Gedicht die Mentalität und den Geschmack des breiten Publikums, das billige und oberflächliche Unterhaltung bevorzugt. Er wirft dem Publikum vor, keine Wahrheit zu vertragen und nur auf leichte Kost aus zu sein. Dem Publikum wird Untätigkeit und Dummheit unterstellt, weil es die Vorurteile und politischen Manipulationen der Medien hinnimmt.

Das Gedicht hat eine klare Form und Struktur mit vier Strophen, die aus 12, 8, 4 und 8 Versen bestehen. Tucholsky verwendet eine einfache, leicht verständliche Sprache und alltägliche Ausdrücke, um seine Kritik zu vermitteln. Das Gedicht endet mit einer abschließenden Urteilsverkündung des Autors: Wenn das Publikum tatsächlich so dumm ist, dann verdient es auch nichts Besseres.

Zusammenfassend drückt Tucholsky in diesem Gedicht seine Verachtung für die Untätigkeit und Aufnahmefähigkeit des Massenpublikums aus und kritisiert dessen Bereitschaft, minderwertige Kulturprodukte zu akzeptieren. Es ist eine deutliche Kritik an der trivialen und kommerziellen Ausrichtung der Medien und des Kulturlebens während der Weimarer Republik.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „An das Publikum“. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1932 entstanden. Erschienen ist der Text in Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Wichtigen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik nahmen der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den ihr zugerechneten Werken ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionslos-nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Erotik, Technik und Weltwirtschaftskrise deutlich erkennbar. Dies kann man als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Man schrieb ein Minimum an Sprache, dafür hatte diese ein Maximum an Bedeutung. Es sollten so viele Menschen wie möglich mit den Texten erreicht werden, deshalb wurde eine einfache sowie nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil fliehen, also ihre Heimat verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den thematischen Schwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus erkennen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das 164 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Die Gedichte „An Lukianos“, „An Peter Panter“ und „An die Meinige“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Zum Autor des Gedichtes „An das Publikum“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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