Schöner Herbst von Kurt Tucholsky

Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Die Luft ist klar und kalt und windig,
weiß Gott: ein Vormittag, so find ich,
wie man ihn oft erleben mag.
 
Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Jetzt schlägt das Meer mit voller Welle
gewiß an eben diese Stelle,
wo dunnemals der Kurgast lag.
 
Ich hocke in der großen Stadt:
10 
und siehe, durchs Mansardenfenster
11 
bedräuen mich die Luftgespenster …
12 
Und ich bin müde, satt und matt.
 
13 
Dumpf stöhnend lieg ich auf dem Bett.
14 
Am Strand wär es im Herbst viel schöner …
15 
Ein Stimmungsbild, zwei Fölljetöner
16 
und eine alte Operett!
 
17 
Wenn ich nun aber nicht mehr mag!
18 
Schon kratzt die Feder auf dem Bogen.
19 
das Geld hat manches schon verbogen …
20 
Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „Schöner Herbst“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
120
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Schöner Herbst“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem der bedeutendsten und vielseitigsten Schriftsteller der Weimarer Republik. Tucholsky lebte von 1890 bis 1935, daher kann das Werk in die Anfangszeit des 20. Jahrhunderts einsortiert werden.

Der erste Eindruck des Gedichts ist durch seine Lebendigkeit, aber auch durch eine gewisse Melancholie geprägt. Tucholsky beschreibt einen kühlen, klaren Herbsttag mit „sündhaft blauem“ Himmel - ein Ausdruck, der Lässigkeit und Leichtsinn suggeriert. Den schönen Tag verbringt das lyrische Ich jedoch in der Großstadt und ersehnt den Strandlebens. Hier wird der Schönheit des Tages eine gewisse Traurigkeit entgegengesetzt.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um Sehnsucht und die Erkenntnis, nicht am richtigen Ort zu sein. Das Ich vermisst den Strand, fühlt sich in der Stadt unwohl und von „Luftgespenstern“ bedroht – eine Metapher, die auf die bedrückende Atmosphäre anspielen könnte, die in einer Großstadt herrschen kann. Gleichzeitig ist das Ich „müde, satt und matt“, es fehlt an Lebensenergie und Inspiration.

In Bezug auf die Formalitäten besteht das Gedicht aus fünf Strophen zu jeweils vier Versen. Jede Strophe wird eingeleitet durch einen ausrufenden Satz: „Das ist ein sündhaft blauer Tag!“. Neben dieser Wiederholung macht Tucholsky auch durch Reime („Tag“ und „mag“, „windig“ und „find ich“) und Alliterationen („sündhaft“, „Stimmungsbild“, „Fölljetöner“) Gebrauch, was dem Gedicht einen leichten, fast schon spielerischen Charakter verleiht.

Die Sprache des Gedichts ist einfach und dennoch ausdrucksstark. Tucholsky verwendet Metaphern und bildhafte Sprache („sündhaft blauer Tag“, „Luftgespenster“), um Emotionen und Stimmungen zu vermitteln. Die simple Ausdrucksweise könnte jedoch auch als Kritik an der banalen, kunstlosen Kultur gesehen werden, die der Großstadtzivilisation zugeschrieben wird. Mit der Erwähnung der „alten Operett“ nimmt er Bezug auf seine eigene Rolle als Schriftsteller und Satiriker.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Tucholskys „Schöner Herbst“ eine lyrische Reflexion über Sehnsucht, Einsamkeit und kulturelle Entfremdung in der modernen Großstadt darstellt.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Schöner Herbst“. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1919 entstanden. Der Erscheinungsort ist Charlottenburg. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik hatten großen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den Werken dieser Epoche ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionsloser und nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Technik, Weltwirtschaftskrise aber auch Erotik deutlich erkennbar. Es ist als Reaktion auf den literarischen Expressionismus zu werten. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Die Dichter orientierten sich dabei an der Realität. Mit einem Minimum an Sprache wollte man ein Maximum an Bedeutung erreichen. Mit den Texten sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Deshalb wurde darauf geachtet eine einfache sowie nüchterne Alltagssprache zu verwenden. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den typischen Themenschwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus ausmachen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das 120 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „An Peter Panter“, „An das Publikum“ und „An die Meinige“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Schöner Herbst“ weitere 136 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Kurt Tucholsky

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Kurt Tucholsky und seinem Gedicht „Schöner Herbst“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Kurt Tucholsky (Infos zum Autor)

Zum Autor Kurt Tucholsky sind auf abi-pur.de 136 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.