Memento von Kurt Tucholsky

Uns Junge hat es umgerissen –
Wir stehen draußen so im Feld,
wir glaubten schon, zu halten und zu wissen –
und da versank die ganze Welt.
 
„Die Welt ist falsch!“ Sie ist doch kein Exempel,
wozu der Lehrer seine Lösung hat –
sie ist real und warf uns alle Tempel
und, was wir lieb gehabt, um – wie ein Kartenblatt.
 
Ihr mahnt den Jüngling, tapfer durchzuhalten.
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Gewiß, das scheint ja seine Pflicht –
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doch was da in ihm war vom Guten, Alten,
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das gibts in Zukunft alles nicht?
 
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Der neue Wert, die neue Stufenleiter,
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der oben und der unten – seltsam Spiel:
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Hier gilt die Faust, der Säbel und der Reiter –
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das was wir ehren, gilt nicht viel.
 
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Muß das so sein? So darfs nicht bis zur Neige,
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nicht bis zum Ende gehn. Wir bleiben rein.
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Wir halten durch – es scheint mir gar nicht feige:
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Soldat und doch ein Bürger sein!
 
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Sprecht euerm Jungen von der Kriegertugend,
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doch davon auch, wenn hart der Panzer klirrt:
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Daß er den Träumen seiner Jugend
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soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.7 KB)

Details zum Gedicht „Memento“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
174
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Memento“ stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Schriftsteller und Publizisten, der von 1890 bis 1935 lebte. Die thematische und stilistische Einordnung des Gedichts fällt in die Epoche der Weimarer Republik und des beginnenden Nationalsozialismus.

Das Gedicht hinterlässt auf den ersten Eindruck einen nachdenklichen und melancholischen Eindruck. Es thematisiert den rapiden Wandel der Gesellschaft, die jungen Menschen, die hier als lyrisches Ich in Erscheinung treten, und die Schwierigkeiten, sich in einer sich verändernden Welt zurechtzufinden.

Tucholsky beschreibt, wie die junge Generation überrumpelt wird von den Veränderungen in der Welt um sie herum. Was als gegeben und sicher galt, versinkt plötzlich und macht der Realität Platz, die nicht einfach mit einer fixen Lösung zu bewältigen ist. Der junge Mensch wird aufgefordert durchzuhalten, aber das, was einst gut und alt war, existiert vielleicht in der Zukunft nicht mehr. Er wird zu einem 'Spiel' aufgefordert, bei dem die gewohnten Werte wenig gelten. Die Jugend wird aufgefordert, stark und tapfer zu sein, den Krieg zu ehren, aber auch dazu ermutigt, treu zu den Träumen und Idealen ihrer Jugend zu bleiben.

Formal ist das Gedicht in sechs vierversige Strophen unterteilt und folgt keinem Reimschema. Die Sprache ist direkt und unverblümt mit der Verwendung von Metaphern wie das „umgerissen werden“, das „Versinken der Welt“ oder das „Umwerfen der Tempel“. Der Ton ist teilweise hämisch, wie in Vers 5 „Die Welt ist falsch! Sie ist doch kein Exempel“, aber auch aufrüttelnd und mahnend, insbesondere in den letzten Versen des Gedichts.

Insgesamt drückt Tucholsky in „Memento“ seine Sorge und seine Kritik über die drastischen gesellschaftlichen Veränderungen aus, die er zu seiner Zeit miterlebt hat, insbesondere die Militarisierung und die Verdrängung der traditionellen Werte. Gleichzeitig fordert er die junge Generation auf, ihre Ideale und Sehnsüchte zu bewahren, unabhängig von den Umständen, denen sie ausgesetzt sind.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Memento“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Kurt Tucholsky. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. 1919 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Charlottenburg. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden inhaltlich häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den Werken dieser Zeit ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionsloser und nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Technik, Weltwirtschaftskrise aber auch Erotik deutlich erkennbar. Es ist als Reaktion auf den literarischen Expressionismus zu werten. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Mit einem Minimum an Sprache wollte man ein Maximum an Bedeutung erreichen. Mit den Texten sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Deshalb wurde darauf geachtet eine einfache sowie nüchterne Alltagssprache zu verwenden. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Autoren ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Jahr 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. In Folge dessen flohen zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen den Nationalsozialismus sind typisch für diese Epoche der Literatur. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das vorliegende Gedicht umfasst 174 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Die Gedichte „An die Meinige“, „An einen garnisondienstfähigen Dichter“ und „An ihren Papa“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Memento“ weitere 136 Gedichte vor.

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