Meditation zum Coupéfenster hinau von Kurt Tucholsky

Wie die langen Telegraphenstangen
jene schwarzen, dünnen Drähte, die
grad sich zu erheben angefangen,
immer wieder niedergehen, wie
 
diese dunkeln regelmäßigen Stäbe,
die das Auf und Ab und Auf und Ab
stetig kontrollierend in der Schwebe
halten –:
also von der Wiege bis zum Grab
 
10 
drückt auch dich, o Mensch, bei allem Streben
11 
(seist du Amme, Kanzler, Redakteur),
12 
drückt auch dich, o Mensch, im ganzen Leben,
13 
nieder, nieder, nieder –
14 
das Malheur.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.2 KB)

Details zum Gedicht „Meditation zum Coupéfenster hinau“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
14
Anzahl Wörter
70
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Meditation zum Coupéfenster hinaus“ stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, der von 1890 bis 1935 lebte. Er zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik und ist bekannt für seine kritische und ironische Betrachtung der Gesellschaft seiner Zeit. Seine Werke lassen sich dem literarischen Expressionismus bzw. der Neuen Sachlichkeit zuordnen.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht einen beobachtenden und reflektierenden Charakter zu haben. Es beginnt mit einer detaillierten und bildhaften Beschreibung von langen Telegraphenstangen und ihren Drähten, die sich auf und ab bewegen. Es wird eine melancholische Stimmung erzeugt, die durch das Bild der immer wieder niedergehenden Drähte verstärkt wird.

Inhaltlich kann das Gedicht als eine Reflexion über die menschliche Existenz und unserer Platz in der Welt interpretiert werden. Das lyrische Ich nutzt die Bewegung der Telegraphenstangen als Metapher für das menschliche Leben, das von ständigen Höhen und Tiefen gekennzeichnet ist. Alle Menschen, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status („seist du Amme, Kanzler, Redakteur“), werden gleichsam „nieder, nieder, nieder“ gedrückt. Dies könnte eine Anspielung auf die Unausweichlichkeit des Tods oder auf Rückschläge und Niederlagen im Leben sein.

In Bezug auf Form und Sprache ist das Gedicht in drei Strophen mit unterschiedlicher Verszahl unterteilt. Die verse werden durch die sich wiederholenden Bewegungen der Drähte und das wiederkehrende „Auf und Ab und Auf und Ab“ rhythmisiert. Die Sprache ist klar und präzise, mit einem Fokus auf konkreten, anschaulichen Bildern. Neben der Verwendung von Alliterationen („drückt auch dich, o Mensch, bei allem Streben“) ist auch die Verwendung des Reimschemas aabb in den beiden letzten Strophen bemerkenswert. Abschließend könnte das „Malheur“ am Ende des Gedichts sowohl allgemeine Unfälle oder Unglücke als auch spezifische gesellschaftliche oder politische Fehltritte und Misserfolge symbolisieren.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Meditation zum Coupéfenster hinau“ des Autors Kurt Tucholsky. Der Autor Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. In Charlottenburg ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Inhaltlich wurden in der Literatur der Weimarer Republik häufig die Ereignisse des Ersten Weltkriegs verarbeitet. Die geschichtlichen Einflüsse des Ersten Weltkrieges und der späteren Weimarer Republik sind die prägenden Faktoren dieser Epoche. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Autoren dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Autoren ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. In Folge dessen flohen zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland ins Ausland. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oft konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das Gedicht besteht aus 14 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 70 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „An einen garnisondienstfähigen Dichter“, „An ihren Papa“ und „Apage, Josephine, apage–!“. Zum Autor des Gedichtes „Meditation zum Coupéfenster hinau“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Kurt Tucholsky

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Kurt Tucholsky und seinem Gedicht „Meditation zum Coupéfenster hinau“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Kurt Tucholsky (Infos zum Autor)

Zum Autor Kurt Tucholsky sind auf abi-pur.de 136 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.