Gesicht des Reisenden von Ferdinand Freiligrath

Mitten in der Wüste war es, wo wir nachts am Boden ruhten;
Meine Beduinen schliefen bei den abgezäumten Stuten.
In der Ferne lag das Mondlicht auf der Nilgebirge Jochen;
Rings im Flugsand umgekommner Dromedare weiße Knochen!
 
Schlaflos lag ich; statt des Pfühles diente mir mein leichter Sattel,
Dem ich unterschob den Beutel mit der dürren Frucht der Dattel;
Meinen Kaftan ausgebreitet hatt' ich über Brust und Füße;
Neben mir mein bloßer Säbel, mein Gewehr und meine Spieße.
 
Tiefe Stille, nur zuweilen knistert das gesunkne Feuer;
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Nur zuweilen kreischt verspätet ein vom Horst verirrter Geier;
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Nur zuweilen stampft im Schlafe eins der angebundnen Rosse;
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Nur zuweilen fährt ein Reiter träumend nach dem Wurfgeschosse.
 
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Da auf einmal bebt die Erde; auf den Mondschein folgen trüber
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Dämmrung Schatten: Wüstentiere jagen aufgeschreckt vorüber.
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Schnaubend bäumen sich die Pferde; unser Führer greift zur Fahne;
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Sie entsinkt ihm, und er murmelt: Herr, die Geisterkarawane! -
 
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Ja, sie kommt! Vor den Kamelen schweben die gespenst'schen Treiber,
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Üppig in den hohen Sätteln lehnen schleierlose Weiber;
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Neben ihnen wandeln Mädchen, Krüge tragend wie Rebekka
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Einst am Brunnen; Reiter folgen - sausend sprengen sie nach Mekka.
 
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Mehr noch! - Nimmt der Zug kein Ende? - Immer mehr! Wer kann sie zählen?
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Weh, auch die zerstreuten Knochen werden wieder zu Kamelen,
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Und der braune Sand, der wirbelnd sich erhebt in dunkeln Massen,
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Wandelt sich zu braunen Männern, die der Tiere Zügel fassen.
 
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Denn dies ist die Nacht, wo alle, die das Sandmeer schon verschlungen,
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Deren sturmverwehte Asche heut' vielleicht an unsern Zungen
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Klebte, deren mürbe Schädel unsrer Rosse Huf zertreten,
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Sich erheben und sich scharen, in der heil'gen Stadt zu beten.
 
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Immer mehr! - Noch sind die letzten nicht an uns vorbeigezogen,
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Und schon kommen dort die ersten schlaffen Zaums zurückgeflogen;
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Von dem grünen Vorgebirge nach der Babelmandeb-Enge
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Sausten sie, eh' noch mein Reitpferd lösen konnte seine Stränge.
 
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Haltet aus, die Rosse schlagen! Jeder Mann zu seinem Pferde!
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Zittert nicht, wie vor dem Löwen die verirrte Widderherde!
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Laßt sie immer euch berühren mit den wallenden Talaren!
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Rufet: Allah! - und vorüber ziehn sie mit den Dromedaren.
 
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Harret bis im Morgenwinde eure Turbanfedern flattern!
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Morgenwind und Morgenröte werden ihnen zu Bestattern.
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Mit dem Tage wieder Asche werden diese nächt'gen Zieher!
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Seht, er dämmert schon! Ermut'gend grüßt ihn meines Tiers Gewieher.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.8 KB)

Details zum Gedicht „Gesicht des Reisenden“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
378
Entstehungsjahr
1810 - 1876
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Ferdinand Freiligrath ist der Autor des Gedichtes „Gesicht des Reisenden“. Im Jahr 1810 wurde Freiligrath in Detmold geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1826 und 1876. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Freiligrath handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 378 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Der Dichter Ferdinand Freiligrath ist auch der Autor für Gedichte wie „Springer“, „Von unten auf“ und „Vor der Fahrt“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Gesicht des Reisenden“ weitere 65 Gedichte vor.

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