Von unten auf von Ferdinand Freiligrath

Ein Dämpfer kam von Biberich: – stolz war die Furche, die er zog;
Er qualmt’ und räderte zu Thal, daß rechts und links die Brandung flog!
Von Wimpeln und von Flaggen voll, schoß er hinab keck und erfreut:
Den König, der in Preußen herrscht, nach seiner Rheinburg trug er heut’.
 
Die Sonne schien wie lauter Gold! Auftauchte schimmernd Stadt um Stadt!
Der Rhein war wie ein Spiegel schier und das Verdeck war blank und glatt!
Die Dielen blitzten frisch gebohnt, und auf den schmalen her und hin
Vergnügten Auges wandelten der König und die Königin!
 
Nach allen Seiten schaut’ umher und winkte das erhab’ne Paar;
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Des Rheingaus Reben grüßten sie und auch dein Nußlaub, Sankt Goar!
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Sie sahn zu Rhein, sie sahn zu Berg: – wie war das Schifflein doch so nett!
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Es ging sich auf den Dielen fast, als wie auf Sanssouci’s Parket!
 
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Doch unter all der Nettigkeit und unter all der schwimmenden Pracht,
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Da frißt und flammt das Element‚ das sie von dannen schießen macht;
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Da schafft in Ruß und Feuersgluth, der dieses Glanzes Seele ist;
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Da steht und schürt und ordnet er – der Proletarier-Maschinist!
 
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Da draußen lacht und grünt die Welt, da draußen blitzt und rauscht der Rhein –
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Er stiert den lieben langen Tag in seine Flammen nur hinein!
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Im wollnen Hemde, halbernackt, vor seiner Esse muß er steh’n,
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Derweil ein König über ihm einschlürft der Berge freies Weh’n!
 
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Jetzt ist der Ofen zugekeilt, und Alles geht und Alles paßt;
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So gönnt er auf Minuten denn sich eine kurze Sklavenrast.
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Mit halbem Leibe taucht er auf aus seinem lodernden Versteck;
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In seiner Fallthür steht er da, und überschaut sich das Verdeck.
 
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Das glüh’nde Eisen in der Hand, Antlitz und Arme roth erhitzt,
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Mit der gewölbten haar’gen Brust auf das Geländer breit gestützt –
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So läßt er schweifen seinen Blick, so murrt er leis dem Fürsten zu:
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„Wie mahnt dies Boot mich an den Staat! Licht auf den Höhen wandelst Du!
 
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Tief unten aber in der Nacht und in der Arbeit dunkelm Schooß,
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Tief unten, von der Noth gespornt, da schür’ und schmied’ ich mir mein Loos!
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Nicht meines nur, auch Deines, Herr! Wer hält die Räder Dir im Takt,
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Wenn nicht mit schwielenharter Faust der Heizer seine Eisen packt?
 
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„Du bist viel weniger ein Zeus, als ich, O König, ein Titan!
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Beherrsch’ ich nicht, auf dem Du gehst, den allzeit kochenden Vulkan?
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Es liegt an mir: – Ein Ruck von mir, Ein Schlag von mir zu dieser Frist,
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Und siehe, das Gebäude stürzt, von welchem Du die Spitze bist!
 
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„Der Boden birst, aufschlägt die Gluth und sprengt Dich krachend in die Luft!
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Wir aber steigen feuerfest aufwärts an’s Licht aus unsrer Gruft!
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Wir sind die Kraft! Wir hämmern jung das alte morsche Ding den Staat,
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Die wir von Gottes Zorne sind bis jetzt das Proletariat!
 
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„Dann schreit’ ich jauchzend durch die Welt! Auf meinen Schultern, stark und breit,
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Ein neuer Sankt Christophorus, trag’ ich den Christ der neuen Zeit!
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Ich bin der Riese, der nicht wankt! Ich bin’s, durch den zum Siegesfest
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Ueber den tosenden Strom der Zeit der Heiland Geist sich tragen läßt!“
 
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So hat in seinen krausen Bart der grollende Cyklop gemurrt;
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Dann geht er wieder an sein Werk, nimmt sein Geschirr, und stocht und purrt.
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Die Hebel knirschen auf und ab, die Flamme strahlt ihm in’s Gesicht,
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Der Dampf rumort; – er aber sagt: „Heut, zornig Element noch nicht!“
 
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Der bunte Dämpfer unterdeß legt vor Kapellen zischend an;
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Sechsspännig fährt die Majestät den jungen Stolzenfels hinan.
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Der Heizer auch blickt auf zur Burg; von seinen Flammen nur behorcht,
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Lacht er: „Ei, wie man immer doch für künftige Ruinen sorgt!“

Details zum Gedicht „Von unten auf“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
609
Entstehungsjahr
nach 1826
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht wurde von Ferdinand Freiligrath verfasst, einem deutschen Dichter der Jahre 1810-1876. Dies ordnet das Gedicht in das 19. Jahrhundert ein, genauer gesagt in die Epoche des Vormärz, in welcher die Industrialisierung voranschritt und zudem politische Konflikte auf dem Höhepunkt waren.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht sehr lebendig und dynamisch und verbindet Elemente der Natur, Technologie und Gesellschaft in einer Weise, die ein zusammenhängendes, aber vielschichtiges Bild ergibt.

Die Erzählung des Gedichts ist in gewisser Weise eine Art Geschichte, die vom lyrischen Ich – einem maschinenbedienenden Proletarier oder Heizer auf einem Dampfschiff – erzählt wird. Während er arbeitet, reflektiert er über seinen eigenen Status und den des Königs, der über ihm auf dem Schiff wandelt. Der Heizer sieht sich als notwendig für den Fortschritt und die Bewegung des Schiffs und damit als eine unverzichtbare Kraft für den Staat. Obwohl er den König für seine privilegierte Stellung beneidet, bezeichnet er sich selbst als mächtig und sogar als potenziell zerstörerisch für das bestehende System.

Das Gedicht besteht aus 13 Vierzeiler-Strophen, eine recht klare und strukturierte Form, die aber dennoch genug Raum für Variation und Abweichung lässt. Sprachlich ist das Gedicht bildreich und ausschmückend, mit einer reichen Verwendung von Metaphern und Vergleichen, um seine Botschaft zu vermitteln. Die klare Natur- und Schiffsmetaphorik dient dabei zugleich als Verbindung zwischen den unterschiedlichen Stationen des Gedichts.

Insgesamt kann das Gedicht als politisches Statement interpretiert werden und reflektiert die gesellschaftlichen Spannungen des 19. Jahrhunderts. Der Dichter stellt die Vielschichtigkeit der sozialen Hierarchien und Dynamiken dar, insbesondere in Bezug auf den Kontrast zwischen Arbeitern und Oberschicht. Er präsentiert die Protagonisten als untrennbaren Teil des Systems und betont somit die zentrale Rolle der Arbeiterklasse für den Fortgang und Fortschritt der Gesellschaft. Dabei wird eine Art revolutionärer Atmosphäre geschaffen, die das Potential einer gesellschaftlichen Umwälzung durch die Arbeiterklasse suggeriert.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Von unten auf“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Ferdinand Freiligrath. Freiligrath wurde im Jahr 1810 in Detmold geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1826 und 1876. Der Erscheinungsort ist Zürich. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Freiligrath handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 609 Worte. Der Dichter Ferdinand Freiligrath ist auch der Autor für Gedichte wie „Lieder“, „Die Trompete von Vionville“ und „Ehre der Arbeit“. Zum Autor des Gedichtes „Von unten auf“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 65 Gedichte vor.

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