Die Elfenburg von Heinrich Christian Boie

Als König Arthur Engellands
Uralten Heldenruhm belebte,
Zur Zeit da oft ein Elfentanz
Den Quell im Mondenlicht umschwebte,
Erschien am Hof ein edler Knecht,
Der Ritter Edwin schlicht und recht,
Nicht unerfahren in den Waffen,
Doch zum erschrecken missgeschaffen.
 
Den ganzen Rücken überzwerch
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Umwuchs, sich bis ans Haupt verlängend,
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Ein ungeheurer Knochenberg
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Und drückte vorn die Brust verengend.
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Allein ob fast ihm selber graut,
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So oft er in den Spiegel schaut,
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Ein Herz im Busen fühlt er schlagen
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Und darf um eins zu werden wagen.
 
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Der blonden Edith hätt er gern
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Sich angetragen zum Gemahle;
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Doch keine Schöne sucht den Kern,
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Behagt ihr nicht zuvor die Schale.
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Den Junker Topas schmuck und schier
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Fand er im Lustwald einst mit ihr
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Gar herzensminniglich vereinet,
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Und starrt am Boden wie versteinet.
 
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Zum wilden Forst schwärmt er allein
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Voll melancholischer Gedanken,
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Wo schauerlich im Mondenschein
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Um ihn der Bäume Schatten wanken.
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Jezt aus dem Traume schrecket ihn
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Der alten Hünenburg Ruin,
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Wo sich versammeln nachts um zwölfe
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Kobold und Nix und Fei und Elfe.
 
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Es sinkt der Mond, der Sturm erwacht,
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Hohl seufzt der Wald und Wölfe heulen;
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Die Stadt ist fern und schwarz die Nacht.
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Was soll er? fortgehn oder weilen?
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Ermattung bringt ihn zum Entschluß,
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Mit Faßung sezt er seinen Fuß
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Ins Thor der Burg und streckt die Glieder
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Im morschen Rittersale nieder.
 
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Auf durch die Hallen reißt ein Stoß
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Die Riegelpforten wie zersplitternd,
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Und krampfhaft zuckt der Erde Schoß,
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Den weiten Felsenbau durchschütternd.
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Er schaudert auf, er atmet schwer
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Und sieht an Wänden rings umher
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Und Kronenleuchtern wol zusammen
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Dreihundert Kerzen sich entflammen.
 
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Ein jugendliches Fraungekreisch
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Hat kaum sein lauschend Ohr vernommen,
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So hört er wandelndes Geräusch
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Je näher ihm je lauter kommen:
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Und aus dem Winkel, wo geduckt
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Er unterm Mantel horcht und kuckt,
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Schaut er ein bunt Gewühl von Leuten,
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Die nach dem Anzug viel bedeuten.
 
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Nie sah ein Hof so dichte Zahl
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Prachtvoll geschmückter Herrn und Damen
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Im blendenden Redoutensaal,
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Als hier zum Gallafeste kamen.
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Duft gab das Land, Gestein das Meer,
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Der Himmel hell Gefieder her,
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Der Süden seidene Gewänder,
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Der kalte Norden Zobelränder.
 
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Ein königlich geschmückter ragt
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An Wuchs und Anstand über alle.
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Als hinzuschaun der Ritter wagt,
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Ruft er mit würdevollem Schalle:
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»Wer von des Staubes Söhnen hat
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Sich unserm stillen Kreis genaht,
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Daß er die reinen Götterdüfte
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Mit niederm Seufzerhauch vergifte?«
 
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Doch Edwin hoch an Mut und Sinn
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Und keinem Zauberschein erblassend,
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Tritt mannhaft vor den Herrscher hin,
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In seines Werts Gefühl sich faßend:
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»Gewaltiger im Geisterreich!«
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Beginnt er nun, »mich führt zu Euch
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Kein eitler Vorwitz, kein begehren
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Die Nachtversammlung hier zu stören.
 
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Des Herzens Gram, die Höllenpein
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Ein Mädchen ungeliebt zu lieben,
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Hat mich durch Nacht und Wüstenein
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Gedankenlos hierher getrieben.«
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»Wohlan!« versetzt der Geisterfürst,
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»Getrost, wofern du schuldlos irrst.
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Hier wird kein leidender gekränket,
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Sobald er redet, was er denket.
 
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Vertraue deinem Stern hinfort!
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Bevor wir von einander scheiden,
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Erhebt sich dir, du hast mein Wort!
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Aus dunklem Gram ein Stral von Freuden.
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Der Zufall, der dich hergebracht,
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Hat hohe Lust dir zugedacht.
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Weil ich mit Mab der Fürstin tanze,
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Nimm du die nächst' an Reiz und Glanze!«
 
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Er sprachs und geistiges Getön
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Wie sanft gerühreter Kristalle,
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Ertönt in leiser Lüfte Wehn
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Zu linder Aeolsharfen Halle.
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Hier tanzet Oberon und Mab,
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Dort Elf und Elfin auf und ab,
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Und Edwin schwinget sich im Reihen
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Mit Nuk, der lieblichsten der Feien.
 
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Als man zur Gnüge nun getanzt,
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Wird rasch von unsichtbaren Händen
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Die volle Tafel hingepflanzt
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Und drauf ein Nachtisch zum verblenden.
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Geordnet ohne Schenken steht
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Das wunderbare Trinkgerät,
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Und gleich der bunten Seifenblase
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Schwebt hin und her der Wein im Glase.
 
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Mit Minnelied und Rundgesang
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Wird zwischendurch der Wein gewürzet,
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Und drauf mit manchem derben Schwank
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Des Althertums die Zeit gekürzet,
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Wo bald als Merkatz hüpft ein Geist,
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Als Affe bald die Zähne weist,
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Als Hase quikt, als Geißbock mäkert
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Und gar als Kammerjunker schäkert.
 
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Ein Kobold der als Schalk bekannt
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Bei Nachtzeit faule Dirnen kneipet,
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Knecht Ruprecht insgemein genannt,
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Geht mit dem Aschsack um und stäupet.
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Schnell faßt er Edwin nun beim Schopf
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Und wirft ihn lachend über Kopf,
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Daß er im Flug zum Balken schwebet
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Und ach! der Höcker fest ihm klebet.
 
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Laut ruft er zappelnd: »Gnug gelacht!
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Nun löset mich, ihr Herren Geister!
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Der Kobold hat es gut gemacht,
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Er schlägt den Federball als Meister.«
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»Geduld! antwortet Oberon,
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Ein wenig noch Geduld, mein Sohn!
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Du bist nicht übel aufgehoben,
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Das Ende wird den Meister loben!«
 
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Aufschauernd stuzt der Elfen Schar,
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Sie wittern schon das frische wehen
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Der Morgenluft, sie hören gar
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Den Hahn im fernen Dorfe krähen.
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Des ersten Wirbelwinds Gesumm
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Durchsaust die Hallen wiederum,
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Die Thüren in den Angeln beben,
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Und Mab ermahnet fortzustreben.
 
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Im Nu entschwirrt mit hellem Geschrei
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Der Unterirdischen Gefunkel.
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Hin fährt des Sales Täuscherei
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Und aller Kerzen Glanz im Dunkel.
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Und Edwin, nun des Zaubers los,
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Fällt von der Deck' auf feuchtes Mos,
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Daß ihm die Zähn' im Munde klappen
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Und fängt im Dunkeln an zu tappen.
 
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Bald weniger geblendet flieht
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Er aus dem graulichen Gemäuer,
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Und durch bethaute Blätter glüht
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Die Morgenröt' im Rosenschleier.
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Er fühlt so leicht sich und gewandt,
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Er tastet rückwärts mit der Hand,
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Und Heil ihm, Heil! vermisst den plumpen
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So grässlich aufgeballten Klumpen.
 
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Heim fliegt er in behendem Schritt,
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An Herz und Rücken frei von Schwere.
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Das Hofgesinde freut sich mit
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Und staunet ob der Wundermäre.
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Auch staunet Edith, ihn so schlank
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Zu schaun, so edel und so frank.
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Was hinterm Berge sonst gestecket,
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Liegt sonnenklar und aufgedecket.
 
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Der Junker Topas fühlt Verdruß,
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Sich minder izt bemerkt zu sehen,
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Und faßt den männlichen Entschluß,
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Auch nach der Hünenburg zu gehen.
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Nun zeigt, ihr Elfen, eure Kunst!
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So denkt er. Schuf eure Gunst
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Ein Engelkind aus einem Affen,
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Was werdet ihr aus Topas schaffen!
 
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Er geht zum Forst; die Nacht ist hell,
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Er hört voll Angst Geheul von Wölfen,
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Miaun der Katz' und Fuchsgebell
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Und sieht mit graun die Burg der Elfen.
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In Gottes Namen kehrt er ein,
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Durchmustert lang im Mondenschein
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Die Ungemächlichkeit der Trümmer
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Und bettet sich im Tafelzimmer.
 
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Auf prallem Mose lauschet er,
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Ob bald das Ungethüm sich rege.
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Er wirft sich hin, er wirft sich her
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Und hört des Pulses laute Schläge.
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Da saust der Wind, die Burg erbebt,
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Da kömmt der Spuk hereingeschwebt,
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Da leuchtet Kerzenglanz dem Balle
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Bei sanfter Harmonien Schalle.
 
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Voll Angstschweiß hatte Topas schon
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Sich hinter den Kamin verkrochen.
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Umschnüffelnd fragte Oberon:
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»Ihr Geister, habt ihr nichts gerochen?
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Wer von des Staubes Söhnen hat
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Sich unserm stillen Kreis genaht,
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Daß er die reinen Götterdüfte
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Mit ängstlichem Gestöhn vergifte?«
 
201 
In Demut eingeschmieget tritt
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Zum Geisterkönige der Pinsel
203 
Und lallt, genaht im Stutzerschritt,
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Sein unterthäniges Gewinsel:
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»Verzeiht, durchlauchte Majestät,
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Daß Ihr mich armen Junker seht,
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Der matt zu Eures Hofes Thoren
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Nach langer Irre sich verloren!«
 
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»Elender! rufet ernst der Elf
210 
Mit abgewandtem Angesichte,
211 
Du wähnest auch vor Geistern helf
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Ein kleiner Kniff der Höflingswichte?
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Wolan, für seinen Lug und Trug
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Bestraft den feigen Gauch nach Fug!
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Ihr Poltergeister mögt ihn tummeln,
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Und wenn er müd ist, laßt ihn bummeln!«
 
217 
Stracks nahet Tückebold im Sprung,
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Der Hirten oft als Irrwisch narret,
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Und schleudert ihn im Bogenschwung,
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Wo Puck der Kobold seiner harret.
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Hoch dreht und dreht ihn Schub auf Schub,
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Und lachend ruft der Geistertrupp!
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»Risch tummle dich, mein guter Junker,
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Für dein hofjunkerlich Geflunker!«
 
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Gar bunt durchwirbelt er den Raum,
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Und bunter noch und immer bunter,
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Im Luftrad und im Purzelbaum,
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Kopfüber bald und bald kopfunter.
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Zum Balken jezt in einem Ruck,
230 
Wo Edwin klebte, schwenkt ihn Puck,
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Daß wie am Rücken angepflöcket
232 
Er alle vier herunter strecket.
 
233 
Die Unterirdischen erneun
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Nunmehr die Wendungen des Balles
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Nach schön gemeßnen Melodein
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Des anmutsvollen Zauberhalles.
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Dann sitzt man am beladnen Tisch
238 
Und lacht und schmaust und bechert frisch.
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Spass machen Affen hier und Böcke,
240 
Mehr Spass der Junker an der Decke.
 
241 
Das Morgenlüftchen atmet kühl,
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Fern kräht der Hahn. Nun saust die Halle.
243 
Entflohn ist alles Nachtgewühl
244 
Und ausgelöscht die Kerzen alle.
245 
Vom hohen Balken sinkt herab
246 
Auf pralles Mos der zarte Knapp,
247 
Denn keines Zaubers Täuschung dauert,
248 
Sobald der Morgen angeschauert.
 
249 
Der arme Topas! müd und matt
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Entschleicht er der verwünschten Trümmer
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Und schleppt sich wiederum zur Stadt
252 
Im angenehmen Morgenschimmer.
253 
Doch ach! der Rücken schattet krumm!
254 
Er kuckt und langt erschrocken um
255 
Und sieht, da er am Quell sich spiegelt,
256 
Sich Edwins Höker aufgehügelt.
 
257 
Dies Märchen las mir, das Ihrs glaubt,
258 
Aus einem alten Buch die Base,
259 
Sie streichelte mein junges Haupt
260 
Und nahm die Brille von der Nase.
261 
»Sohn, sprach sie, denk der Elfenburg!
262 
Wer gehen kann, der kommt wol durch,
263 
Wer ohne Wert nach Scheine trachtet,
264 
Wir ausgehöhnet und verachtet.«

Details zum Gedicht „Die Elfenburg“

Anzahl Strophen
33
Anzahl Verse
264
Anzahl Wörter
1432
Entstehungsjahr
1744 - 1806
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Die Elfenburg“ ist Heinrich Christian Boie. Geboren wurde Boie im Jahr 1744 in Meldorf. In der Zeit von 1760 bis 1806 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik oder Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 264 Versen mit insgesamt 33 Strophen und umfasst dabei 1432 Worte. Heinrich Christian Boie ist auch der Autor für Gedichte wie „An den Bach“, „Das Vergnügen“ und „Zu später Lohn“. Zum Autor des Gedichtes „Die Elfenburg“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 101 Gedichte vor.

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