Der schlimmste Feind von Kurt Tucholsky
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Der schlimmste Feind, den der Arbeiter hat, |
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das sind nicht die Soldaten; |
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es ist auch nicht der Rat der Stadt, |
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nicht Bergherrn, nicht Prälaten. |
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Sein schlimmster Feind steht schlau und klein |
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in seinen eignen Reihn. |
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Wer etwas diskutieren kann, |
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wer einmal Marx gelesen, |
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der hält sich schon für einen Mann |
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und für ein höheres Wesen. |
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Der ragt um einen Daumen klein |
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aus seinen eignen Reihn. |
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Der weiß nichts mehr von Klassenkampf |
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und nichts von Revolutionen; |
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der hat vor Streiken allen Dampf |
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und Furcht vor blauen Bohnen. |
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Der will nur in den Reichstag hinein |
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aus seinen eignen Reihn. |
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Klopft dem noch ein Regierungsrat |
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auf die Schulter: „Na, mein Lieber …“, |
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dann vergißt er das ganze Proletariat – |
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das ist das schlimmste Kaliber. |
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Kein Gutsbesitzer ist so gemein |
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wie der aus den eignen Reihn. |
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Paßt Obacht! |
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Da steht euer Feind, |
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der euch hundertmal verraten! |
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Den Bonzen loben gern vereint |
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Nationale und Demokraten. |
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Freiheit? Erlösung? Gute Nacht. |
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Ihr seid um die Frucht eures Leidens gebracht. |
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Das macht: Ihr konntet euch nicht befrein |
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von dem Feind aus den eignen Reihn. |
Details zum Gedicht „Der schlimmste Feind“
Kurt Tucholsky
5
33
174
1929
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur
Gedicht-Analyse
Das besprochene Gedicht ist „Der schlimmste Feind“ von Kurt Tucholsky, einem deutschen Schriftsteller, Journalisten und Satiriker der Weimarer Republik. Tucholsky wurde in der Zeit zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Anfang des 20. Jahrhunderts geboren und hat in einer sehr turbulenten Epoche Deutschlands gelebt und geschrieben.
Erster Eindruck: Das Gedicht wirkt scharf kritisch und politisch, was für Tucholskys Schreibstil typisch ist. Auch das Versmaß und die Reime sind einprägsam.
Inhaltlich geht es darin um den Arbeiter und seine sozialen Kämpfe. Tucholsky vertritt die Meinung, dass der schlimmste Feind des Arbeiters nicht eine externe Kraft ist, sondern jemand aus 'seinen eigenen Reihen'. Er beschreibt eine Figur, die, nachdem sie ein wenig Bildung erworben hat, sich als höheres Wesen ansieht und sich von den Idealen des Klassenkampfs und der Revolution löst. Diese Figur strebt stattdessen nach Macht und Akzeptanz bei den Regierenden, und vergisst dabei seine Wurzeln und die Interessen der Arbeiterklasse.
Form und Sprache des Gedichts sind direkte und leicht verständlich. Tucholsky verwendet eine schlichte Sprache, die sich an alle richtet und nicht nur an eine gebildete Elite. Die Form des Gedichts ist klassisch, es besteht aus mehreren Strophen, die je sechs Verse enthalten, bis auf die letzte Strophe, die neun Verse hat. Die Bedeutung wird dadurch verstärkt, dass sich die Zeilen jeweils reimen.
Der Duktus des Gedichts impliziert eine starke Kritik an den opportunistischen und egoistischen Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung. Tucholsky warnt davor, sich von diesen Kräften täuschen zu lassen, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen und nicht die der gesamten Arbeiterklasse. Es vermittelt eine Ansage, dass wahre Freiheit und Erlösung nur erreicht werden können, wenn solche Elemente aus 'den eigenen Reihen' überwunden werden. Dabei liefert das Gedicht einen Appell für Solidarität und Zusammenhalt innerhalb der sozialen Klassen.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Der schlimmste Feind“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1929. Erschienen ist der Text in Berlin. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Inhaltlich wurden in der Literatur der Weimarer Republik häufig die Ereignisse des Ersten Weltkriegs verarbeitet. Die geschichtlichen Einflüsse des Ersten Weltkrieges und der späteren Weimarer Republik sind die prägenden Faktoren dieser Epoche. Das wohl bedeutendste Merkmal der Literatur in der Weimarer Republik ist die Neue Sachlichkeit, die so heißt, da sie schlicht, klar, sachlich und hoch politisch ist. Die Literatur dieser Zeit war nüchtern und realistisch. Ebenso stellt sie die moderne Gesellschaft kühl distanziert, beobachtend, dokumentarisch und exakt dar. Die Schriftsteller der Literaturepoche wollten so viele Menschen wie möglich mit ihren Texten erreichen, deshalb wurde eine einfache und nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung von Walter Rathenau das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.
Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Schriftsteller, die ins Exil fliehen, also ihre Heimat verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur bildet eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den thematischen Schwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus erkennen. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.
Das 174 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 33 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „Also wat nu – ja oder ja?“, „An Lukianos“ und „An Peter Panter“. Zum Autor des Gedichtes „Der schlimmste Feind“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.
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