Der Stralauer Fischzug, im Jahre 1806 von Achim von Arnim

Hoch will ich den König preisen,
Der bei seines Volkes Rufen
Steigt herab des Thrones Stufen,
Frohen freundlich sich will zeigen,
Wie die Sonn' aus Wolken bricht,
Jedem strahlt und wärmt ihr Licht.
 
Ja der König ist der unsre,
Den wir in der Freude denken,
Der im Schrecken uns will lenken,
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Wenn wir beten »Vater unser.«
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Heut noch sagt, es geht in Ruh,
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Morgen schließt die Thore zu.
 
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Blaue Gondeln, rothe Wimpel
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Blinken, zittern in der Spree,
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Kinder wie gejagte Reh'
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Springen drauf in dem Gewimmel,
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Vater, Mutter müssen nach,
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Treten unter's blaue Dach.
 
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Wein und Kuchen füllt den Himmel
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Heut die Kinder es vergessen,
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Nehmen's Ruder ganz vermessen,
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Niederdrücken's mit Getümmel,
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Und die Eltern schelten, lachen:
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Kinder, so müßt ihr's nicht machen.
 
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Laßt das Schwanken in dem Kahne,
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Macht uns nichts als Angst und Schrecken!
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Sagt die Mutter, und die Kinder
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Thun ganz ernstlich, und gelinder:
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Wie ihr schmutzig, muß mich schämen,
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Niemals wieder euch mitnehmen.
 
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Nun die wohlgeübten Schiffer
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Schlagen schnell und gleich die Ruder,
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Jagen wettend vor dem Bruder,
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Und die Kähne segeln schiefer,
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Mutter drückt sich an so dicht,
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Fische springen silberlicht.
 
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Eine Schlüsselbüchse brennet
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Heimlich los der ältste Knabe,
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Alle sich erzürnet haben,
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Weil sie das Verbot wohl kennen.
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Doch der eine Knabe meint,
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Das sei Übung, käm' der Feind.
 
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König ward ich in dem Schießen,
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Sagt der Vater, nach dem Feinde
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Schieße ich und meine Freunde.
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Durch die Mauer bis sie grüßen.
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Mutter sagt: Wenn still er hält,
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Schießt du wie ein großer Held.
 
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»Doch viel Unglück ist geschehen,
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Kinder, ihr könnt ruhig sitzen.«
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Nun mit den Hollunderspritzen
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Lassen sich dir Kinder sehen,
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Angeln auch und fangen nichts
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An dem Regenwurm gebrichts.
 
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Bunte Häuschen, grün umzogen
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Und bedeckt mit Sonnenschirmen
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Sich im Kranz am See aufthürmen,
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Wo der Fluß hindurchgezogen,
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Deckel klappen in den Krug,
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Jubel überall genug.
 
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Fern im See der Kirchthurm ruhet
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Wie ein Leuchtthurm der Gedanken,
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Rings der Menschen Ströme wanken,
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Und der Strom des Wassers ruhet,
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Netzes Bogen schwimmt darauf,
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Ohne Farben doch Glück' auf!
 
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Fischer in zwei bunten Nachen
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Ziehn das Netz, die Menge gaffet;
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Doch das Fischen gar nichts schaffet,
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Was sie auch für Lärmen machen.
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Alle Fische springen fort,
72 
Die bespricht kein fluchend Wort.
 
73 
Seht, ein Nachen kommt in Eile,
74 
Über dem ein Adler schwebet,
75 
Neben dem ein Schwan sich hebet;
76 
Rauschend sich die Wellen theilen,
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Und ein Singen hell und klar
78 
Steiget aus den Tiefen gar.
 
79 
Schaut, der Adler setzt die Krone
80 
Spielend auf des Schwanes Scheitel,
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Und der Schwan ist himmlisch eitel,
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Brüstet sich so schön zum Lohn,
83 
Jede Feder schwillt in Lust
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An der hochgeschwungnen Brust.
 
85 
Schaut wie sich die Netze füllen,
86 
Daß die Fischer kaum sie ziehen,
87 
Fisch vergessen zu entfliehen,
88 
Und die Menge will sich stillen,
89 
Ja ein Wunder stets geschieht,
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Wo ein Volk in Liebe glüht.
 
91 
Jeder athmet stolzer wieder,
92 
Wenn er hört vom fremden Munde,
93 
Auf dem ganzen Erdenrunde
94 
Ist kein König also bieder,
95 
Selbst aus diesem Wellenschaum
96 
Steigt die Kön'gin wie ein Traum.
 
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Schöner Traum, der zu uns wallet,
98 
Zu des armen Volkes Feste
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Kommt die Schönste und die Beste,
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Ihr ein Lebehoch erschallet.
101 
Bleibt in unsrer Mitte Beid,
102 
Kühne Jugend zieh zum Streit.
 
103 
Schönheit ist's, die uns bezwungen,
104 
Muth, der uns befreiet wieder.
105 
König sieh, wir fallen nieder,
106 
Huld'gen dir von Treu durchdrungen,
107 
Dieser Schwur macht frisch und jung,
108 
Da er aus der Seele drung.
 
109 
Wie sich jetzt die Stadt uns zeiget,
110 
Lieb ist uns der sichre Boden,
111 
In dem ruhen unsre Todten,
112 
Flamme steiget, Sonn' sich neiget,
113 
Unsre Liebe brennt so hell,
114 
Holt den Teufel aus der Höll'.
 
115 
Hört den Antichrist erschallen,
116 
Dessen Pfeife viele tanzen,
117 
Die Gerechten stehn im Ganzen,
118 
Wollen siegen oder fallen,
119 
Wie die Schlange giftig beißt,
120 
Treue Liebe sie zerreißt.
 
121 
König, bleibt bei uns so sicher,
122 
Vor dir her ziehn wir so tüchtig,
123 
Werden wir den Feind ansichtig,
124 
Denken wir an Stralau's Fischer,
125 
Unser Netz das füllt sich gleich,
126 
Lebe hoch, du deutsches Reich!
 
127 
Hell aus den azurnen Wellen
128 
Heben sich die Stern' im Bunde,
129 
So die Fürsten in der Runde
130 
Werden sich zu dir gesellen,
131 
Dunkel scheinet Thurm und Haus,
132 
Dennoch sind wir ohne Graus.
 
133 
Kinderspiel ist nicht im Kriege,
134 
Kinder setzet euch nun alle,
135 
Wasser hat doch keine Balken,
136 
Daß euch keine Nix' ankriege,
137 
Seht, da winkte eine klar,
138 
Perlen kämmt sie aus dem Haar.
 
139 
Kinder, ja nicht zu ihr dränget,
140 
Perlen deuten ja auf Thränen
141 
Ja die Hand nicht aus dem Kahne
142 
In dem kühlen Wasser hänget,
143 
Lieblich schläfert sie euch ein,
144 
Reißt euch in den Fluß hinein.
 
145 
Mutter, laß doch solche Lügen!
146 
Sagt der Vater mit Verstande,
147 
Nicht zum Guten, nur zur Schande
148 
Können wir uns hier betrügen,
149 
Unart, lästger Übermuth,
150 
Laßt ihr, oder's thut nicht gut.
 
151 
Wenn ich müßig, mag ich hören
152 
Am Kamin dergleichen Wunder
153 
Heller wird mir's da und munter,
154 
Nur mit Küssen möcht' ich stören,
155 
Auf dem Wasser ist Gefahr,
156 
Also sag' es offenbar.
 
157 
In dem Handeln sei die Klarheit,
158 
In der Ruhe Ahndungsbilder.
159 
So nur wird das Leben milder,
160 
Und uns führet reine Wahrheit,
161 
Jetzt ist alles voller Schein,
162 
Was ist schlecht und was ist rein?
 
163 
Scheinbar der Soldaten Taschen,
164 
Scheinbar die verschnittnen Kleider,
165 
Die Gewehre schießen leider
166 
Gar sehr schlecht wenn gleich sehr raschen!
167 
Kriegslust giebt es wohl beim Trunk,
168 
Guter Wille macht nicht jung.
 
169 
Soll uns Unglück überkommen,
170 
Laß es, Gott, uns wohlbestehen,
171 
Fest wie Sterne droben stehen,
172 
Wie wir sanft nach Haus geschwommen,
173 
Also thut im Unglück recht,
174 
Unglück macht oft Menschen schlecht.

Details zum Gedicht „Der Stralauer Fischzug, im Jahre 1806“

Anzahl Strophen
29
Anzahl Verse
174
Anzahl Wörter
902
Entstehungsjahr
1781 - 1831
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Stralauer Fischzug, im Jahre 1806“, wurde von Ludwig Joachim „Achim“ von Arnim verfasst, einem der bekanntesten Autoren der deutschen Romantik. Er lebte von 1781 bis 1831, womit sich das Gedicht zeitlich der Epoche der Romantik zuordnen lässt.

Der erste Eindruck des Gedichts kann einen Leser durch seine Länge und verschiedene thematische Ebenen überwältigen. Es enthält 29 Strophen mit jeweils sechs Versen, die in der klassischen Form von Reimen strukturiert sind.

Inhaltlich findet sich zu Anfang des Gedichts ein Lobgesang auf den König, welcher als gerechter und volksnaher Herrscher dargestellt wird. Das lyrische Ich drückt tiefe Verbundenheit und Anerkennung für seine Weisheit und Fürsorge aus. Der Fokus wechselt danach zu einer anschaulich beschriebenen Szenerie: dem Volksfest am Ufer eines Flusses. Es werden Szenen des Zusammenkommens, des Feierns, des Spielens und des Fischfangs beschrieben. In dieser idyllischen Darstellung kommt das romantische Ideal des harmonischen Zusammenlebens zwischen Mensch und Natur zum Ausdruck.

Formal ist das Gedicht im traditionellen Versmaß gehalten. Es verwendet eine klare, direkte Sprache, durchsetzt mit metaphorischen Bildern, wie dem König, der als die Sonne dargestellt wird, oder dem Volk, das wie Fische im Netz gefangen ist. Die Szenen sind malerisch und detailliert beschrieben, was zur Schaffung einer lebhaften Atmosphäre beiträgt.

Im weiteren Verlauf des Gedichts mischt sich jedoch Besorgnis unter die zunächst fröhliche Stimmung, als der Krieg und seine möglichen Auswirkungen thematisiert werden. Das lyrische Ich äußert seine Ängste und Hoffnungen und appelliert an die Pflichten und Verantwortlichkeiten des Königs gegenüber seinem Volk.

Das Gedicht endet mit einer eher düsteren Note und einer Mahnung an das lyrische Ich selber, sich der ethischen und moralischen Herausforderungen beim Umgang mit Unglück bewusst zu sein.

Insgesamt zeigt „Der Stralauer Fischzug, im Jahre 1806“ eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Herrscher und Volk, Krieg und Frieden, Angst und Hoffnung. Durch die gekonnte Verbindung von formaler Strenge, bildhafter Sprache und tiefgründiger Thematik gelingt es von Arnim, ein komplexes und fesselndes Werk der deutschen Romantik zu schaffen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Stralauer Fischzug, im Jahre 1806“ des Autors Achim von Arnim. Geboren wurde Arnim im Jahr 1781 in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1797 und 1831. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Arnim ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Literaturepoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. Im gesamten Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichzeitig bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Industrialisierung und technologischer Fortschritt sind prägend für diese Zeit. Die zentralen Motive der Romantik sind das Schaurige, Unterbewusste, Fantastische, Leidenschaftliche, Individuelle, Gefühlvolle und Abenteuerliche, welche die Grenzen des Verstandes sprengen und erweitern sollen und sich gegen das bloße Nützlichkeitsdenken sowie die Industrialisierung richten. Die romantischen Dichter sehnen sich nach der Einheit von Natur und Geist. Ein Hinwenden zum Mittelalter ist erkennbar. So werden Kunst und Architektur dieser vergangenen Zeit geschätzt. Die Missstände dieser Zeit bleiben jedoch unerwähnt. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und gedanklicher Klarheit, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unendlich. Dabei baut sie zwar auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das 902 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 174 Versen mit insgesamt 29 Strophen. Die Gedichte „Ehe“, „Zum Abschiede“ und „Der Weber und die Spinnerin“ sind weitere Werke des Autors Achim von Arnim. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Stralauer Fischzug, im Jahre 1806“ weitere 173 Gedichte vor.

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