Der Weber und die Spinnerin von Achim von Arnim

Als ich Geselle noch war und webte geschäftig beim Meister,
Sprang ich für Augenblickslohn oft zu der Tochter hinein;
Immer fand ich die Braut beim schnurrenden spinnenden Rädchen,
Ungeduldig einmal schwieg ich tückisch in mir;
Doch sie fragte mich nicht, da brach ich das Schweigen erglühend:
»Wahrlich, die Göttin that recht, als sie Arachnen bestraft;
Denn nur Eitelkeit ist's, zu lieben und Andres zu schaffen,
Als das zierliche Werk, dessen Rädchen das Herz.«
Ungeschickter, sie sagt, ganz ruhig beschaut sie den Faden,
10 
Stören die Hände Dich je, die beschäftigt im Werk?
11 
Höre den ruhigen Takt, das Ungeordnete gleichend,
12 
Und das Auge es weiß, was Dir erlaubt sei dabei!
13 
Wohl ich nützte auch gleich die zart mir gegebene Erlaubniß,
14 
Und ich gab ihr den Kuß, doch nur den Backen er traf.
15 
»Ach«, so seufzte ich dann, »kein duldendes Weibchen ich wollte,
16 
Sondern das harrend gelauscht, mich im Kommen umschließt!«
17 
Bläulich blühet der Flachs, entgegnet sie, Hoffnung der Liebe,
18 
Daß ein bräutliches Bett wachse in Blumen darauf;
19 
Doch die Blume, sie täuschet, es fallen die bläulichen Blätter,
20 
Und der Faden erwächst unter der Blume versteckt,
21 
Tief gebücket wir ziehen ihn aus zum Brechen und Spinnen,
22 
Ehe die Blumen so hell stehen im Laken gewebt.
23 
Nun verzweifelst Du schon, noch ehe die Arbeit geworden,
24 
Und schon mürrisch Du bist, eh noch gesponnen der Flachs.
25 
Und es brach ihr der Faden, da bat sie flehend um Gnade,
26 
Spann nun selber da an, wo ihr gebrochen das Herz;
27 
Grob ward der Faden, ich glaub es, doch hält er länger und länger,
28 
Und sie zeigte mir ihn, streifig im Laken verwebt,
29 
Als ich zum eigenen Heerd mir holte mein liebliches Bräutlein,
30 
Und das Bette so weiß stand in dem Zimmer bereit.
31 
Seit nun die webende Zeit uns einte, priesterlich segnend,
32 
Was die liebende Brust früher gesegnet in sich.
33 
Da vergaß ich so oft den Faden, vergaß auch die Lehre,
34 
Denn das Eigenste ist, was sich am leichtsten vergißt.
35 
Heute vergaß ich ihn ganz, als zürnend ich aufsprang vom Bette,
36 
Und im flatternden Hemd schimpfte die rastlose Frau,
37 
Die den Mund nur verschließt beim ersten Krähen der Hähne,
38 
Um zu sagen die Stund, die mich zum Webstuhl verbannt.
39 
»War es schimpflich dem Gott«, so rief ich, »zu spinnen beim Weibe,
40 
Ich ertrüg es so gern, denn ich säh Dich dabei.
41 
Doch so muß ich zum Webstuhl, zu schauen die seidenen Faden
42 
Und Du selber, Du spinnst mich wie den Seidenwurm ein,
43 
Förderst dies flüchtige Rädchen vom Morgen bis wieder zum Abend,
44 
Wäre dies Rädchen entzwei, würde die Liebe mir neu;
45 
Kurzweil wird Dir zu lang, die lustgen Gesellen mir werden
46 
Alle jetzunder so fremd, fremd wird der kühlende Wein;
47 
Früh muß ich weben und spät noch, was Du gesponnen geschäftig,
48 
Müßig ins Aug Dir zu schaun, wär mir ein süßer Geschäft.
49 
Wozu hilft mir das Geld, Du sammelst sorgsam den Kindern,
50 
Ich bin ein dienender Greif, der die Schätze bewacht.«
51 
Wüthend ergriff ich das Spinnrad und wollte durchs Fenster es schmettern,
52 
Doch der Faden wie Gold glänzte im Morgenlicht hell,
53 
Und die Kinder sie beteten laut im Bettchen zusammen,
54 
Was der Ältste gesagt, spricht ihm der Jüngere nach.
55 
Und ich horchte, er sprach: »Du Kleiner falte die Hände,
56 
Mutter, das tägliche Brot, Vater, gieb es auch heut!«
57 
Und sie reichte den Beiden ein Brötchen mit Butter bestrichen,
58 
Das sie am Abend sich selbst hatte vom Munde gespart.
59 
»O Du goldene Frau!« so rief ich, »daurend in Elend,
60 
Ja Du spinnest in Gold Fäden zum Leben mir fest;
61 
Zeit, die vergangen mir sonst in die Launen, die läßt mir Gewebe,
62 
Und zur Zukunft ich werf ruhig mein webendes Schiff.
63 
Jegliches mehrt sich bei Dir, als ruhte ein göttlicher Segen,
64 
Wo Du helfend mir nahst, wo Du tröstend mir hilfst.
65 
Unsere Enkel dereinst, sie sollen erstaunen des Werkes,
66 
Das in gemeinsamem Fleiß wir zusammen vollbracht.«

Details zum Gedicht „Der Weber und die Spinnerin“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
66
Anzahl Wörter
636
Entstehungsjahr
1781 - 1831
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht heißt „Der Weber und die Spinnerin“ und wurde von Achim von Arnim (1781-1831) geschrieben, einem wichtigen Vertreter der Hochromantik in Deutschland. Es lässt sich damit ins 19. Jahrhundert einordnen.

Ein erster Eindruck des Gedichts zeigt, dass es in einer Erzählform geschrieben ist und die Geschichte einer Ehe zwischen einem Weber und einer Spinnerin erzählt, die mit den Herausforderungen der Alltagserfahrungen und der Arbeit konfrontiert sind.

Das lyrische Ich, welches der Weber darstellt, erzählt zunächst, wie er die Spinnerin damals im Atelier des Meisters kennengelernt hat. Er vergleicht das Drehen des Spinnrades mit der Lebendigkeit des Herzens und betont die Schönheit dieser Arbeit. Es entsteht jedoch unterschiedliche Verständnisse zur Arbeit und Liebe zwischen den beiden. Was als romantische Liebe zwischen den beiden begann, wird im Alltag auf die Probe gestellt, da der Weber sich von der ununterbrochenen Arbeit und Verantwortung belastet fühlt. Mit der Geburt von Kindern spielt dann die Sorge um das tägliche Brot eine entscheidende Rolle. Erst mit der Zeit erkennt das lyrische Ich, wie wertvoll und mit welcher Selbstaufopferung die Spinnerin ihre Arbeit und den Haushalt bewältigt – aus der einstigen jugendlichen Liebe ist eine tiefe, bewusste Zuneigung und Anerkennung gewachsen.

Das lange Gedicht besteht aus Hexametern, einer Versform, die traditionell für epische und erzählende Dichtung verwendet wird. Die Sprache des Gedichts ist klar und verständlich, wobei die dichte Atmosphäre des Alltags und der Emotionen eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht wird.

Insgesamt handelt das Gedicht von der harten Realität der Arbeit, aber auch von der Liebe und dem Zusammenhalt innerhalb einer Familie und Gemeinschaft – Themen, die immer noch relevant sind. Arnim gelingt eine meisterhafte Balance zwischen dem Bildhaften und dem Konkreten, zwischen der Freude an der Arbeit und den Herausforderungen des Alltags.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Weber und die Spinnerin“ des Autors Achim von Arnim. Arnim wurde im Jahr 1781 in Berlin geboren. Zwischen den Jahren 1797 und 1831 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Romantik zuordnen. Arnim ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kulturgeschichte, zeitlich anzusiedeln vom späten 18. Jahrhundert bis tief in das 19. Jahrhundert hinein. Auf die Literatur bezogen: von 1795 bis 1848. Sie hatte Auswirkungen auf Literatur, Musik, Philosophie und Kunst jener Zeit. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Industrialisierung und technologischer Fortschritt sind prägend für diese Zeit. In der Romantik gilt das Mittelalter als das Ideal und wird verherrlicht. Die Kunst und Architektur der Zeit des Mittelalters werden geschätzt, gepflegt und gesammelt. Missstände dieser Zeit bleiben unberücksichtigt und scheinen bei den Schriftstellern in Vergessenheit geraten zu sein. So ist die Verklärung des Mittelalters ein zentrales Merkmal der Romantik. Außerdem sind die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur und die romantische Ironie weitere zentrale Merkmale dieser Epoche. Die grundsätzlichen Themen waren Seele, Gefühle, Individualität und Leidenschaft. In der Literatur wurden diese Themen unter anderem durch Motive der Sehnsucht, Todessehnsucht, Fernweh oder Einsamkeit in der Fremde materialisiert. Die Stilepoche kennzeichnet sich vor allem durch offene Formen in Texten und Gedichten. Phantasie ist für Romantiker das Maß aller Dinge. Die Trennung zwischen Wissenschaft und Poesie, zwischen Wirklichkeit und Traum soll durchbrochen werden. Die Schriftsteller der Romantik streben eine Verschmelzung von Kunst und Literatur an. Ihr Ziel ist es, alle Lebensbereiche zu poetisieren.

Das 636 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 66 Versen mit nur einer Strophe. Weitere bekannte Gedichte des Autors Achim von Arnim sind „Zum Abschiede“, „Bibliothek“ und „Zur Weihnachtszeit“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Weber und die Spinnerin“ weitere 173 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Achim von Arnim

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Achim von Arnim und seinem Gedicht „Der Weber und die Spinnerin“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Achim von Arnim (Infos zum Autor)

Zum Autor Achim von Arnim sind auf abi-pur.de 173 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.