Das Lied vom verlornen Sohne von Achim von Arnim

Auf den Hügel geht alleine
Vollmond unser Schäferknabe,
Geht an einem Tannenstabe,
Seine Schäflein fern alleine,
Ihn treibt der Sternenblick
Hin und zurück.
 
Lichte Augen reiner Frauen,
Wollet euch doch nicht verschleiern,
Lasset euch mit Inbrunst feiern,
10 
Leuchtet ihm den Weg zu schauen,
11 
Des Reinen Liebesblick
12 
Deutet zum Glück.
 
13 
Schüchtern sind die jungen Kinder
14 
Lieber hinterm Wolkenschleier
15 
Schämen sie sich vor dem Freier
16 
Ihre Augen aus wie Sünder,
17 
Er sucht nach Liebesblick
18 
Hin und zurück.
 
19 
Von dem leeren Himmels-Hügel
20 
Sieht er zu dem Thale nieder,
21 
Sieht sich selbst im Strome wieder,
22 
In der Nixen Augen-Spiegel,
23 
Es ging ein Liebesblick
24 
Hin und zurück.
 
25 
Hell hernieder zu den Schönen
26 
Rief er: Süße Kühle, Lieben,
27 
Wie ist mir die Zeit vertrieben,
28 
Haar und Ohr durchzieht ein Tönen,
29 
Im Auge Liebesblick,
30 
Hin und zurück.
 
31 
Spieglend werfen ihn die Schönen
32 
Sich einander zu wie Bälle,
33 
Flüsternd, winkend wie die Welle,
34 
Well' auf Welle in dem Sehnen,
35 
Sie werfen Liebesblick
36 
Hin und zurück.
 
37 
Zarter Knabe, zarte Glieder,
38 
Zarte Mädchen, wild im Tanze,
39 
Alle Sterne vor dem Glanze
40 
Schlagen ihre Blicke nieder.
41 
Es schlägt ein wilder Blick.
42 
Liebe zurück.
 
43 
Hoch und tief die Nixen schwingen.
44 
Ewig tanzen, nichts erfassend,
45 
Ewig suchen, um sich lassend,
46 
Himmel kann nicht Erde zwingen.
47 
Es geht nur Liebesblick
48 
Hin und zurück.
 
49 
Ach der arme Knabe klaget:
50 
»Meine Schäflein sind verlaufen,
51 
Und wie weit hab ich zu laufen,
52 
Ach wie spät bin ich vertaget.
53 
Es weist kein Sternenblick
54 
Mich nun zurück.«
 
55 
Weine nur, du alter Knabe,
56 
Auch die Nixen sind verschwunden,
57 
Bist ja sichelkrumm gewunden,
58 
Wollen dich nicht länger haben,
59 
Ein bessrer Lebensblick,
60 
Sonnenglück.
 
61 
Ach das will sein Herz ihm brechen,
62 
Daß er sich so wild verschwendet,
63 
Daß sich alles von ihm wendet;
64 
Er will durch die Wolken brechen,
65 
Da hält der Sonne Blick
66 
Ihn scheu zurück.
 
67 
Sehet ihrer Strahlen Fülle,
68 
Faßt und fühlet alles Leben,
69 
Alle Stäubchen lusterbeben,
70 
Sie nur steht ein fester Wille,
71 
Sie strahlet Liebesblick
72 
Allen zurück.
 
73 
Darum steht er noch am Himmel
74 
Wie ein Geist, sein eigner Schatten,
75 
Dünn und weiß und im Ermatten
76 
Wie der Wolken hell Getümmel.
77 
Es strahlt sein letzter Blick
78 
Hin und zurück.
 
79 
Mutter Sonne ruft zum Armen,
80 
Seht die Schuld, sie ist doch meine,
81 
Daß ich dich so ganz alleine
82 
Austrieb ohne viel Erbarmen.
83 
Ein treuer Mutterblick
84 
Schützte dein Glück.
 
85 
So mit seinem letzten Blicke
86 
Sieht er ihre stillen Grüße,
87 
Fühlet ihre frommen Küsse,
88 
Fühlt ein schmerzliches Entzücken.
89 
So kehrt ein Liebesblick
90 
Doch noch zurück.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.4 KB)

Details zum Gedicht „Das Lied vom verlornen Sohne“

Anzahl Strophen
15
Anzahl Verse
90
Anzahl Wörter
401
Entstehungsjahr
1781 - 1831
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Lied vom verlornen Sohne“ wurde von Achim von Arnim (1781-1831) verfasst, einem bedeutenden Vertreter der Romantik, wie sie sich in Deutschland gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte.

Das Gedicht hinterlässt einen ersten Eindruck voller Emotionen und poetischer Bilder. Es scheint, als ob es sich um eine metaphorische Geschichte handelt, die symbolisch und aufwendig dargestellt wird.

In einfachen Worten erzählt „Das Lied vom verlornen Sohne“ die Geschichte eines Schäferknaben, der von seinem Weg abkommt, angezogen von der Schönheit und dem Zauber entrückt wirkender Nixen und der Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung. Er wird von den Nixen und ihrer Unnahbarkeit gefesselt und vergisst dabei seine Schäfchen und seine Pflichten. Schließlich ist er einsam und leer, realisiert seine Vergeudung und wünscht sich, durch die Wolken (Probleme) zu brechen - doch die Sonne (eine mütterliche, beschützende Figur) hält ihn sanft zurück. Am Ende fühlt er den sanften Kuss der Mutter Sonne und die Erkenntnis, doch noch geliebt zu werden.

Die Form des Gedichtes besteht aus 15 gleich aufgebauten Strophen, jede mit sechs Versen. Dies gibt dem Gedicht eine klare und stabile Struktur. Der vorherrschende Reim ist der Paarreim. Der häufige Einsatz der Wiederholungsfigur „Hin und zurück“ unterstreicht die Schwankungen und inneren Kämpfe des Protagonisten und symbolisiert auch seine unstete Wanderschaft, die er durchlebt.

Die Sprache des Gedichts ist klassisch romantisch, voller metaphorischer Bilder und Emotionen. Von Arnim verwendet zahlreiche Naturmetaphern (Sonne, Mond, Sterne, Hügel, Thal, Strom, Wolken) und nimmt die Figur der Nixen aus der germanischen Mythologie auf, um das Unnahbare und Verstörende, aber auch Begehrenswerte darzustellen. Der Schäferknabe selbst ist ein Symbol für Unschuld, Jugend, aber auch Naivität und unerfahrene Begehrlichkeit. Die Mutter Sonne repräsentiert Liebe, Vergebung und Hoffnung.

Insgesamt ist „Das Lied vom verlornen Sohne“ eine allegorische Erzählung über die Sehnsucht, das Begehren, die Verlockungen und Gefahren des Unbekannten und die erlösende Macht der Liebe und Vergebung. Es ist ein poetisches Zeugnis der Romantik mit ihrer typischen Betonung von Gefühlen, ihrer Rückwendung zur Natur und ihrer Hinwendung zur Mystik und Symbolik.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Das Lied vom verlornen Sohne“ ist Achim von Arnim. 1781 wurde Arnim in Berlin geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1797 bis 1831 entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Bei Arnim handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Als Romantik wird die Epoche der Kunstgeschichte bezeichnet, deren Ausprägungen sich sowohl in der Literatur, Kunst und Musik als auch in der Philosophie niederschlugen. Die Epoche der Romantik lässt sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert verorten. Die literarische Romantik kann darauf aufbauend etwa auf die Jahre 1795 bis 1848 zeitlich eingeordnet werden. Die Literaturepoche wird in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) unterschieden. Zu großen gesellschaftlichen Umbrüchen führte die Industrialisierung. Die neue Maschinenwelt förderte Verstädterung und Landflucht. Die zuvor empfundene Geborgenheit war für die Romantiker in Auflösung begriffen. Als Merkmale der Literatur der Romantik sind die Verklärung des Mittelalters, die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur, die Betonung subjektiver Gefühle und des Individuums, der Rückzug in Fantasie- und Traumwelten oder die Faszination des Unheimlichen aufzuführen. Wichtige Symbole der Romantik sind die Blaue Blume oder das Spiegel- und Nachtmotiv. Die äußere Form von romantischer Literatur ist völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 90 Versen mit insgesamt 15 Strophen und umfasst dabei 401 Worte. Die Gedichte „Fastnacht“, „Des ersten Bergmanns ewige Jugend“ und „Der Falke“ sind weitere Werke des Autors Achim von Arnim. Zum Autor des Gedichtes „Das Lied vom verlornen Sohne“ haben wir auf abi-pur.de weitere 173 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Achim von Arnim

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Achim von Arnim und seinem Gedicht „Das Lied vom verlornen Sohne“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Achim von Arnim (Infos zum Autor)

Zum Autor Achim von Arnim sind auf abi-pur.de 173 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.