Die Einsegnung von Achim von Arnim

Leise tret ich in die heil'gen Hallen,
Kleine Kinder stehen vor der Thür,
Wähnen, daß ihr Beten nicht gefalle,
Wissen noch kein richtig Wort dafür.
 
Lasset doch die Kindlein zu mir kommen,
Wehret ihnen nicht! geschrieben steht
Auf der Pforte ihnen zum Willkommen,
Wer nicht lesen kann, es nicht versteht.
 
Wahrlich, wahrlich, das sei euch gesaget,
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Wer nicht ist wie ihr, der tret' nicht ein,
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Wo bewundrungsvoll so kühl es taget
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Durch der Fenster bilderreichen Schein.
 
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Wie die Kränze mit dem goldnen Schimmer,
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Wo die Gitterstühle für so manch Geschlecht,
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Gräber zahllos, ordnungslos wie Trümmer,
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Und die Orgel wandelnd rein und recht.
 
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Nur in diesen ernsten, sanften Tönen
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Wandelt noch von Gott ein Ebenbild,
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Nur dein Lispeln kann, was lebt, versöhnen,
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Und dein Ernst ist dieser Gräber Schild.
 
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Alles, was hier dauret, ist vergangen,
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Die da draußen standen jugendfromm,
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Gehen nicht mehr ein mit dem Verlangen,
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Weil der Flamme Funken hier entglomm.
 
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Seht sie heilig an, ihr frommen Bilder,
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Sie verstehn nicht eurer Sehnsucht Blick,
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Und sie reißen euch in Stücken wilder,
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Denn ihr steht im Wege ihrem Glück.
 
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Schlägt ein Würgeengel die Gebornen,
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Rieselt auf den Saaten rothes Blut,
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Dann so zeigen sich auch die Erkornen,
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Und ich hab sie zu erwarten Muth.
 
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Milde hat die Orgel euch gemahnet,
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Und ich finde doch die Kirche leer,
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Wenn ein hoher Traum darin geahndet,
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Wenn ein Geist darin gebannet wär.
 
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Nein, wie sollt' ich das alleine hören,
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Sollt' ich sein alleine so entzückt,
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Der die Falschen alle kann bekehren
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Und die Wahren allesammt beglückt.
 
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Nein, gelobt der Herr, die Frommen kommen,
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Mädchenschaaren paarweis, schüchtern, bleich,
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Wollen sein zur Kirche aufgenommen,
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Sind am Lebensbaum die frischen Zweig.
 
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Wie der Engel überm Taufstein bebet,
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Wie er freudig seine Hand bewegt,
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Und die heil'ge, lichte Taube schwebet,
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Über diese Schaar im Kreis sich trägt.
 
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Und von allen diesen glatten Stirnen,
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Ist nur eine, wo ein Flämmlein brennt,
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Schön Gestade, laß die Winde stürmen,
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Der erfahrne Schiffer dich erkennt.
 
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Hülflos war sie einst wie andre Kinder,
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Eh' das heil'ge Wasser sie getauft,
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Doch das Feuer taufet den geschwinder,
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Der's mit seiner ganzen Seele kauft.
 
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Ernst spricht jetzt der Pred'ger in der Mitte,
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Ältern, Diener, Freunde weinen fern,
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Beten, daß der Herr erhör' die Bitte,
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Säh' in ihrer Prüfungsstund' sie gern.
 
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Alle sagen an die Glaubensworte,
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Geben nach der Vorschrift hin die Hand,
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Ach wo bleibt die Eine und ich warte,
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Ach ich seh im öden Meere Land.
 
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Eine, jene, könnt' ich sie nur nennen,
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Ist es jener reine Orgelgeist,
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Nicht in Schönheit will die Heil'ge brennen,
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Ihre Locken sind verstecket meist.
 
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Eine Trauerahndung in den Augen,
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Um die Lippen sanfter Duldersinn,
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Doch zum Sprechen nicht die Lippen taugen,
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Sie erröthet schwebend bis zum Kinn.
 
73 
Beide Hände legt sie vor die Stirne,
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Sinket vor dem Pred'ger sprachlos hin,
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Mitleid lächelt manche kluge Dirne,
76 
Doch die Taube schwebet in dein Sinn.
 
77 
Über ihr mit gleichen Flügeln schwebet,
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Hebt die Nacht von ihrem Auge weg,
79 
Daß sie auch für alle heilig lebet,
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Nimmt sie Schwindel von dem Himmelssteg.
 
81 
Denn sie sah erhoben sich zum Blauen
82 
Und den Pred'ger sah sie unter sich,
83 
Beide Hände reicht sie mit Vertrauen,
84 
Eine ihm, die andre fasse ich.
 
85 
Laß du heil'ger Geist sie nimmer sinken,
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O so bleibt die Hand auch immer mein,
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Hohes Kind, du lallest, kannst nur winken,
88 
Mache uns von allen Sünden rein.
 
89 
Wie, du hörst nicht in den kühlen Fluthen,
90 
Aus der heißen Welt hinaufgeweht,
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Über dir die ew'gen Morgengluthen
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Thaues Perlen auf dem Busen seht.
 
93 
Hör' ich doch den Geist noch wieder tönen,
94 
In der Orgel ernstem Trauerspiel,
95 
Was die Welt im Leichtsinn kann versöhnen,
96 
Ist ein Tod in seligem Gefühl.
 
97 
Nein, du lebst noch, aber diese Schrecken
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Haben ausgetilgt die irdsche Lieb',
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Keine Rosen können Sehnsucht wecken,
100 
Gegen Himmelsrosen sind sie trüb'.
 
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O so sei dein Leben ein Verkünden,
102 
Und mein Leben meine Demuth sei,
103 
Liebe kann uns nimmermehr verbinden,
104 
Höh're Liebe läßt dich nimmer frei.
 
105 
Sei gegrüßt wie jene Gnadenbilder,
106 
Aus der Vorzeit ihr verlassen steht,
107 
Täglich seht ihr gnadenreich und milder,
108 
Wenn auch keiner hier euch mehr versteht.
 
109 
Sieh, Maria, wer den Blick empfindet,
110 
Den du nieder auf die Welt gesandt,
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Als der Engel sich dir hat verkündet,
112 
Hat dich auch in seiner Höh' erkannt.
 
113 
Nicht um Dienste, nicht um Wallfahrtgaben,
114 
Nein, dem Treuen zeigtest du den Sinn,
115 
Während auf dem Haupt dir nisten Raben,
116 
Überm Herzen hängt ihr Netz die Spinn.
 
117 
Alle Stern' des heiligen Gewandes
118 
Sind erloschen vor dem höhern Sohn,
119 
Dessen Bild noch heut das Glück des Landes,
120 
Sieht sie ihn am Kreuz im höchsten Thron.
 
121 
Ja auf Erden, was aus Liebe kommen,
122 
Wird in Leiden sich allein bewußt,
123 
Wie ich in der Kirche aufgenommen,
124 
Fühlt ich nichts von all der hohen Lust.
 
125 
Trostlos Klügeln war in aller Herzen,
126 
Und ein Streiten, was es doch bedeut,
127 
Was dreieinig, was das Blut der Schmerzen,
128 
Was das Brod des Lebens uns bereit.
 
129 
Alle Stimmen sinken, wenn sie lange,
130 
Sangen so alleine in der Ruh;
131 
Doch die Orgel hält sie fest im Klange,
132 
Und die Noth läßt kein Versinken zu.
 
133 
Harte Zeit nur kann die Kirche füllen,
134 
Die verödet stand nach leerem Streit,
135 
Und ich ahnd' es gläubig hier im Stillen,
136 
Dich und mich trennt heil'gend diese Zeit.

Details zum Gedicht „Die Einsegnung“

Anzahl Strophen
34
Anzahl Verse
136
Anzahl Wörter
864
Entstehungsjahr
1781 - 1831
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Einsegnung“ wurde von Achim von Arnim verfasst. Arnim ist ein deutscher Dichter der Romantik, der von 1781 bis 1831 lebte. Dieses Gedicht kann daher in die Epoche der Romantik (zwischen 1795 und 1848) eingeordnet werden.

Beim ersten Lesen fallen die Länge und der religiöse Kontext des Gedichts auf. Über die 34 Strophen hinweg führt uns das lyrische Ich in eine Kirche, schildert verschiedene Beobachtungen und Gedanken und bringt seine tiefe Verehrung und Zuneigung zu einer bestimmten Person zum Ausdruck.

Inhaltlich geht es im Gedicht vor allem um den einzigartigen Moment der Taufe und Einsegnung in der Kirche, Kindern wird dabei eine besondere Rolle zugeschrieben. Außerdem geht es um die Beobachtungen und Gedanken des lyrischen Ichs zu seiner Umgebung und zu den Besonderheiten des Sakraments der Taufe. Hinzu kommt eine tiefe Zuneigung zu einer speziellen Person, welche als besonders heilig und rein dargestellt wird. Daneben werden Themen wie Glaube, Hoffnung, Sinnfindung und spirituelle Erfahrung thematisiert.

Die Form des Gedichts ist sehr ausgeprägt und stringent. Jede der 34 Strophen besteht genau aus vier Versen. Diese strenge Form könnte die Ordnung und Regelmäßigkeit des sakralen Rahmens widerspiegeln.

Die Sprache des Gedichts ist eher altmodisch, was durch die Verwendung von altertümlichen Wörtern und Ausdrücken deutlich wird. Es finden sich viele Metaphern und symbolträchtige Begriffe, die die spirituelle und emotionale Bedeutung des Themas unterstreichen. Dabei kommen sowohl einfache als auch eher komplexere Satzstrukturen zum Einsatz, was eine Art von Einfachheit und Komplexität in den Inhalten des Gedichts widerspiegeln könnte.

Insgesamt ist „Die Einsegnung“ von Achim von Arnim ein tiefgründiges und komplexes Gedicht, das auf vielfache Art und Weise den Rahmen, die Handlungen und die Bedeutung von christlicher Spiritualität, Glaube und Hingabe schildert und dabei auch emotionale und individuelle Erfahrungen des lyrischen Ichs einbezieht.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Einsegnung“ ist Achim von Arnim. Der Autor Achim von Arnim wurde 1781 in Berlin geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1797 bis 1831 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Arnim ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte. Aber auch die Gebiete Geschichte, Theologie und Philosophie sowie Medizin und Naturwissenschaften waren von ihren Auswirkungen betroffen. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (1789 - 1799) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Wissenschaft und Technik, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. Die zentralen Motive der Literatur der Romantik sind das Schaurige, Unterbewusste, Fantastische, Leidenschaftliche, Individuelle, Gefühlvolle und Abenteuerliche, welche die Grenzen des Verstandes sprengen und erweitern sollen und sich gegen das bloße Nützlichkeitsdenken sowie die Industrialisierung richten. Die Schriftsteller der Romantik sehnen sich nach der Einheit von Natur und Geist. Ein Hinwenden zum Mittelalter ist erkennbar. So werden Kunst und Architektur dieser vergangenen Zeit geschätzt. Die Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unerwähnt. Die äußere Form von romantischer Literatur ist völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits direkt nach Erscheinen wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 136 Versen mit insgesamt 34 Strophen und umfasst dabei 864 Worte. Weitere Werke des Dichters Achim von Arnim sind „Schwingeliedchen nach der Sicilischen Melodie“, „Schweizerlied“ und „Flammenruh nach Weisheit streben“. Zum Autor des Gedichtes „Die Einsegnung“ haben wir auf abi-pur.de weitere 173 Gedichte veröffentlicht.

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