Die Staatsbosheit von Achim von Arnim

»Schaut die goldne Wunderuhr,
Kinder, Greise sie umstehen,
Fremde kommen, sie zu sehen,
Denn sie kennt der Sterne Spur.«
 
»Tausend Räder, groß und klein,
Greifen klingend eins am andern,
Wer hinein da wollte wandern,
Würde gleich verloren sein.«
 
»Künstlicher als alle Welt
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Zeigt sie alle Welt im Kleinen,
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Sonn' und Mond hindurch da scheinen,
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Und der Meister steht als Held.«
 
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»Jede Stund' zeigt spielend an,
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Welche Arbeit muß geschehen,
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Jedes Handwerk kann sich sehen
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Und bedankt sich bei dem Mann.«
 
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»Wunderbare Menschenstärk,
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Nur der Meister kann's nicht sehen,
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Ihm ist Unglück da geschehen,
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Er erblindete beim Werk!«
 
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Wie sein Werk die Städter lenkt,
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Was sie treiben und vollführen,
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Muß ein Hund am Strick ihn führen,
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Mehr als ihr ist was ihr denkt.
 
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Der Gedanke ist das Licht,
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So regiert er alle Wesen,
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Weil sie nur in ihm gewesen,
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Er aus allen zu uns spricht.
 
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Mühsam von dem Hund geführt,
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Bittet er nun von dem Rathe
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Seinen Lohn, daß er verrathen,
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Was des Himmels Witt'rung führt.
 
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»Weil nun Schiffe sicher ziehn,
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Saat und Ernte kann beginnen,
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Werde ich den Lohn gewinnen,
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Jugend war mir schwer Bemühn.«
 
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»Viel zu viel verspracht ihr mir,
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Habt bis jetzt noch nichts gegeben,
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Und ich führ' ein elend Leben,
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Gebt die Hälfte gleich allhier.«
 
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»Du bist doch ein Fremdling nur,
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Und wir müßten uns ja schämen,
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Daß kein Bürger anzunehmen,
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Zu viel Geld für eine Uhr!«
 
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»Fremdling bin ich nimmermehr,
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Wo ich erst den Staat geschaffen:
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Wart ihr nicht der Väter Affen,
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Eh' ich Geist geweckt durch Lehr'?«
 
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Still geht er nach seinem Haus,
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Nur von seinem Hund geleitet,
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Seine Uhr zum Rathsschmaus läutet,
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Sie vergessen ihn beim Schmaus.
 
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Weißes Haar ihn schnell umwallt,
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Einmal kriecht er noch zum Rathe,
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Bat nur noch um eine Gnade:
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»Führt mich noch zur Uhr recht bald.«
 
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»Wirklich fühl' ich mich so schwach,
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Will von euch dann nichts mehr fordern!«
59 
Und der Rath läßt dies beordern,
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Weil die Schuld erlischt danach.
 
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Feierlich geht da der Zug,
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Wohlfeil sind des Volkes Feste,
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Müßigsein des Rathes Beste,
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Milde scheinen thut genug.
 
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Einer führet ihn am Arme,
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Kann das Lachen kaum verbeißen,
67 
Und zwei Andre Zoten reißen
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Mit der Mädchen leichtem Schwarm.
 
69 
Zu der Uhr steigt er hinauf,
70 
Er umfaßt die Schöpfung wieder,
71 
Bricht den Leitstern drin hernieder:
72 
»Ewig steht sie! Aus der Kauf!«
 
73 
Wie im jüngsten Strafgericht,
74 
Alles leere Treiben schwindet,
75 
Und in leerer Luft umwindet
76 
Sie der Hölle Flammenlicht.
 
77 
Also stocket jede Hand,
78 
Weil der Ordnung still Vertrauen,
79 
Dieser Knoten ist zerhauen,
80 
Der die Einzelnen verband.
 
81 
Wilder Sturm durchwühlt die Stadt,
82 
Wie ein Stier die heil'gen Grüfte,
83 
Stößt die Steine in die Lüfte
84 
Und den Künstler decken that.
 
85 
Wie ein Licht, das nun verschwand,
86 
Vor den Augen Wellen rennen,
87 
Wie ein Äthermeer im Brennen,
88 
So der Geist sich von euch wandt.
 
89 
Wunderbar die todte Uhr,
90 
Die Verfassung wird gezeiget,
91 
Doch von fremder Macht gebeuget
92 
Folgt die Stadt der fremden Spur.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.9 KB)

Details zum Gedicht „Die Staatsbosheit“

Anzahl Strophen
23
Anzahl Verse
92
Anzahl Wörter
479
Entstehungsjahr
1781 - 1831
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Staatsbosheit“ wurde von Achim von Arnim, einem Mitbegründer der Heidelberger Romantik und wichtigen literarischen Figur des frühen 19. Jahrhunderts, verfasst und kann der Romantikepoch (1795-1848) zugeordnet werden.

Schon beim ersten Lesen fällt eine Allegorie auf: eine goldene Uhr, die als Metapher für ein gesellschaftliches System oder einen Staat dient. Im ersten Teil des Gedichts wird die Uhr, ein Wunderwerk der Technik, von Menschen bestaunt, welche sie jedoch nicht vollständig verstehen.

Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass der Meister, der die Uhr geschaffen hat, inzwischen blind ist und auf die Hilfe eines Hundes angewiesen, um sich zurechtzufinden. Dies könnte symbolisieren, dass der „Schöpfer“ des Systems nicht mehr in der Lage ist, die Auswirkungen oder den Lauf seiner Schöpfung zu überblicken oder zu steuern.

Der Meister wird als nicht anerkannt und seiner verdienten Vergütung beraubt dargestellt, was möglicherweise als Kritik an einem Ungleichgewicht zwischen Schöpfern und Nutzern innerhalb des gesellschaftlichen Systems gedeutet werden kann. Darüber hinaus wird angedeutet, dass der Meister im Gegensatz zum Stadtrat keine Anerkennung für seine Arbeit erhält.

Im letzten Abschnitt des Gedichts zerstört der Meister seine Kreation, was zu Katastrophen und Verwirrung führt. Dies könnte als Warnung vor dem Missbrauch von Macht und dem Verlust von Kontrolle gedeutet werden, wenn das Gleichgewicht innerhalb eines Systems gestört wird.

In Bezug auf die formale Gestaltung folgt das Gedicht einem regelmäßigen Reimschema und besteht aus Vierzeilern. Die Sprache ist eher abstrakt und metaphorisch, was dazu beiträgt, die allegorische Natur des Inhalts zu unterstreichen. Obwohl das Gedicht in der damaligen Zeit verfasst wurde, lässt sich das zentrale Thema – die Verantwortung und die Macht von Schöpfern und Führungskräften sowie die Interaktion zwischen Menschen und von ihnen geschaffenen Systemen – auf aktuelle Diskussionen anwenden.

Weitere Informationen

Achim von Arnim ist der Autor des Gedichtes „Die Staatsbosheit“. Geboren wurde Arnim im Jahr 1781 in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1797 und 1831. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Bei Arnim handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Epoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. Im gesamten Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichzeitig bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Technologischer Fortschritt und Industrialisierung sind prägend für diese Zeit. Die zentralen Motive der Romantik sind das Schaurige, Unterbewusste, Fantastische, Leidenschaftliche, Individuelle, Gefühlvolle und Abenteuerliche, welche die Grenzen des Verstandes sprengen und erweitern sollen und sich gegen das bloße Nützlichkeitsdenken sowie die Industrialisierung richten. Die Romantiker sehnen sich nach der Einheit von Geist und Natur. Ein Hinwenden zum Mittelalter ist erkennbar. So werden Kunst und Architektur dieser vergangenen Zeit geschätzt. Die Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unerwähnt. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und gedanklicher Klarheit, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unbegrenzt. Zwar baut sie dabei auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das Gedicht besteht aus 92 Versen mit insgesamt 23 Strophen und umfasst dabei 479 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Achim von Arnim sind „Schwingeliedchen nach der Sicilischen Melodie“, „Schweizerlied“ und „Flammenruh nach Weisheit streben“. Zum Autor des Gedichtes „Die Staatsbosheit“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 173 Gedichte vor.

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