Der todte Hof von Achim von Arnim

»Die stehenden Gewässer
Sind immer doch viel besser,
Als jener Bergstrom wild
Der grausend überschwillt.«
 
»Der ist recht gut zum Mahlen,
Wir aber müssen zahlen,
Daß es über'n Haufen fällt,
Zu theuer ist ein Held.«
 
»Viel Unglück wär' vermieden,
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Wenn wir zu Hause blieben,
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Wenn alles, wie es war,
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Noch bliebe auf'n Haar.«
 
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So dacht' der Hof und schließet
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Das Thor, daß keiner grüßet,
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Die große Gotteswelt
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Wird gänzlich abbestellt.
 
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Was lebt, soll leben bleiben,
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Doch gar nichts Neues treiben,
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Die Neigung wird verbannt,
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Und alles wirkt Verstand.
 
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Verstand kommt vom Verstehen,
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Wer lahm, der kann nicht gehen,
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Doch kommt es hier nur an,
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Daß jeder scheinen kann.
 
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Allmächtig ist Gewöhnen
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Mit allem zu versöhnen,
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Und schrecklich ist Gewalt,
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Sie zeiget, wer schon alt.
 
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Der alte Hahn soll wachen!
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Wer kann ihn sehend machen?
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Er geht auf einer Krück',
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Hat einen kurzen Blick.
 
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Die Enten müssen wackeln,
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Die Hühner immer kackeln,
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Doch sieht man nahe bei,
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So ist es doch kein Ei.
 
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Die Katze will nicht mausen,
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Der Hund soll sie zerzausen,
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Doch hat er keinen Zahn,
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Er bellt nur oft im Wahn.
 
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»Daß Ordnung soll bestehen
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Muß ich darauf wohl sehen!«
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So spricht des Hofes Herr:
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Was macht ihr solch Geplerr!
 
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»Die Mäus laßt exercieren
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Auf allen ihren Vieren,
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Armirt sie nur recht schwer,
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So laufen sie nicht mehr.«
 
49 
»Ihr andern sollt euch setzen
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Zum Spieltisch zum Ergötzen,
51 
Weil jedermann betrügt,
52 
So wird es nicht gerügt.«
 
53 
»Die Gems kann sich da brüsten,
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Der Kurr zum Radschlag rüsten,
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Doch ruhig will ich sein,
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In der Regierungs-Pein.«
 
57 
Nun wird es still am Hofe,
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Podagrisch wird die Zofe,
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Die Feldern fallen aus
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Aus Langeweil dem Straus.
 
61 
Man sieht so kahle Platten
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Wie Mondschein auf den Matten,
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Sie wollen fetter sein,
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In Reifröck ziehn sie ein.
 
65 
Weil keiner nichts vernommen,
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An Hof auch keiner kommen,
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So will das Volk doch sehn,
68 
Ob Todschlag da geschehn.
 
69 
Es meinen schon die Erben,
70 
Der Hof sei im Ersterben,
71 
Das Volk ist oft ein Thor,
72 
Jetzt bricht es auf das Thor.
 
73 
Da findet es mit Lachen
74 
Die wunderbaren Sachen,
75 
Der Kurr wird recht erbost,
76 
Und sie zurücke stoßt.
 
77 
Mit einem Marschallstabe,
78 
Schlägt er wie mit dem Rade,
79 
Das Volk verwundert sich,
80 
Daß er so roth in sich.
 
81 
Die Mäuse mit Gewehren
82 
Für etwas Geld umkehren,
83 
Das Schreiber Fuchs dann spricht,
84 
Und giebt der Sache Licht.
 
85 
»Der Hof behindert keinen,
86 
Das Volk will gar nicht scheinen,
87 
Im wuchernden Verkehr
88 
Bedarf es keiner Wehr.«
 
89 
»Das ist des Schöpfers Wonne,
90 
Wenn er die helle Sonne
91 
In gleichem Gleise sieht,
92 
Kein Vorspann sie da zieht.«
 
93 
»Sie scheinet euch zu gehen,
94 
Doch soll sie stille stehen,
95 
Im rechten Stillestehn,
96 
Da ist das rechte Gehn.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Der todte Hof“

Anzahl Strophen
24
Anzahl Verse
96
Anzahl Wörter
442
Entstehungsjahr
1781 - 1831
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der todte Hof“ wurde von dem deutschen Dichter Achim von Arnim verfasst und stammt aus der Epoche der Romantik, genauer gesagt aus den Jahren um 1800 bis 1830. Im ersten Eindruck deutet das Gedicht auf eine tiefgründige Reflexion von Stagnation und resistenter Veränderung hin.

In diesem umfangreichen Gedicht geht es im Kern um einen Hof, der sich gegen Veränderungen sperrt, um seine gewohnte Ordnung und Ruhe zu behalten. Symbole für Tiere und Menschen veranschaulichen scheinbare Ordnungsprinzipien und Frauen, die alt sind und keine Kinder mehr zur Welt bringen (Vers 33-36, 37-40), einen narrenhaften Wächter mit beschränkter Sicht (Vers 29-32) und arme Kreaturen, die von ihrer Pflicht überwältigt werden (Vers 45-48). All diese Darstellungen wirken absurd und kontraproduktiv, was die Kritik des lyrischen Ichs an einer zu starren und unnatürlich kontrollierten Ordnung hervorhebt.

Die auffälligste formale Eigenschaft dieses Gedichts ist die einheitliche Struktur, bestehend aus 24 vierzeiligen Strophen. Der durchgängige Vierheber erzeugt einen ruhigen und gleichmäßigen Rhythmus, der hervorragend zum Stillstand, der im Gedicht kritisiert wird, passt. Die traditionelle altdeutsche Sprache erreicht eine gewisse Distanz und formalisiert die Kritik, während die Tier- und Hofmetapher die Kritik verdeckt und ironisiert. Es wird eine Diskrepanz zwischen Form und Inhalt geschaffen: In der streng geregelten Form des Gedichts spiegelt sich die dargestellte rigide Ordnung des Hofes wider, während der Inhalt diese Regelhaftigkeit ad absurdum führt.

Das Gedicht benutzt Bildsprache, um die Abgeschlossenheit, Unbeweglichkeit und den Widerstand des Hofes gegen Veränderungen auf eine ironische und humorvolle Weise darzustellen. Trotz der sehr negativen Darstellung schließt von Arnim mit einem Vers, der die natürliche Ordnung des Universums befürwortet und indirekt kritisiert, wie der Hof dieser natürlichen Ordnung widerspricht.

Zusammengefasst ist „Der todte Hof“ ein Meisterwerk der romantischen Dichtung, das eine tiefgründige philosophische Reflexion über Ordnung, Veränderung und Natur auf innovative und ironische Weise präsentiert. In einer scheinbar einfachen Bauernhofszene verbergen sich komplexe Bedeutungen und ein kraftvoller Appell an eine natürlichere und fließendere Ordnung der Welt.

Weitere Informationen

Achim von Arnim ist der Autor des Gedichtes „Der todte Hof“. Im Jahr 1781 wurde Arnim in Berlin geboren. Im Zeitraum zwischen 1797 und 1831 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Arnim handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Literaturepoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. Im gesamten Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichzeitig bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Technologischer Fortschritt und Industrialisierung sind prägend für diese Zeit. Bedeutende Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Andere Motive sind das Fernweh, das Nachtmotiv oder die Todessehnsucht. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Geheimnisvolle, Mysteriöse und galt als Quelle der Liebe. Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Kunst und Architektur des Mittelalters wurden von den Romantikern wieder geschätzt. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und gedanklicher Klarheit, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unbegrenzt. Dabei baut sie zwar auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das 442 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 96 Versen mit insgesamt 24 Strophen. Der Dichter Achim von Arnim ist auch der Autor für Gedichte wie „Des ersten Bergmanns ewige Jugend“, „Der Falke“ und „Ehe“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der todte Hof“ weitere 173 Gedichte vor.

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