Prolog von Achim von Arnim

Das erste Wort wird einem tiefen Schmerze
So schwer zu denken, - schwerer noch zu sagen,
Unendlich scheint der Schmerz, kein Wort genügt;
Doch haben Blicke sich erst still besprochen,
Da dringt der Strom, der in dem Busen dränget,
Zum trüben Licht der Welt, die uns verleidet,
Und reißt sie mit in seinen öden Lauf;
Vergebens sucht der Stärkste sich zu halten,
Umsonst schämt sich der ernste Mann der Thränen,
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Die Trauer hat ihr Recht so wie die Liebe,
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Der Schmerz macht menschlich schwach und göttlich stark,
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Was alle trifft, schlägt keinen ganz darnieder.
 
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Mitleid'ger Wiederhall der öden Klagen,
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Aus jedem Mund, aus jedem Sinn erschollen,
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Du lehrest uns, daß unser Schmerz verstanden;
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Wir blicken alle zur Vergangenheit,
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Und staunen, daß sie neu in uns belebt,
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Die Trauer hat sie uns zurück gebracht,
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Wir leben neu in der vergangen Lust,
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Als hohe Schönheit uns noch froh beherrschte:
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Wir theilen gern, was so zum Trost gewonnen,
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Und gleichen Trost giebt jeder uns zurück,
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So wird um uns, noch ehe wir es wissen,
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In jeder Trauer eine Trauerfeier,
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Wo sich das Herz mit jedem Wort erleichtert.
 
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Doch das genügt noch nicht den treuen Seelen!
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Wir suchen schon von Lebenden ein Bild,
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Das sie bewahrt in ihres Lebens Blüte,
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Doch wie viel mehr ist uns ein Bild der Todten,
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Die in des Lebens Blüte uns entrissen!
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Das todte Bild giebt mehr als alle Worte,
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Es wird zum Denkmal, heilig ist's dem Schmerz,
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Es lebet uns, es scheinet uns zu trösten,
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Und nichts ist Schein, was unser Herz gefühlt.
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O seid gesegnet Bilder der Verehrten,
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Wir möchten opfernd alle Pracht euch weihen,
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Zu eurer Ehre alle Kunst erschöpfen;
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Doch was an Sie uns mahnt, das wird verklärt,
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Manch einfach Wort, das aus der Seele dringet
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Verherrlicht sich zu einer Todtenfeier,
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Ihr liebreich Bild, woran der Blick gewöhnt,
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Ist herrlicher als aller Künste Pracht.
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Nach diesem Wort, das unsern Sinn gedeutet,
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Sei euch enthüllt das Bild der hohen Todten1,
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Zu deren Feier wir allhier versammelt,
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Es giebt dies Bild uns Zeichen ihrer Nähe,
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Sie scheint noch unter uns wie sonst zu wohnen;
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Weh uns, daß wir der Hohen Tod hier feiern,
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Die noch vor wenig Monden hier in Trauer
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Den Tod des Welterlösers hat gefeiert2,
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Der auch für Sie den frühen Tod gestorben:
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Er hörte das Gebet der Frühverstorbnen
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In ihrer Krankheit letztem Schmerzensruf,
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Womit Sie ihn um Beistand angeflehet,
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Er gab Ihr die Geduld und auch den Glauben,
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Entführte Sie im sanften Schlaf dem Leiden.
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Zum Angedenken ihres schönen Todes,
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Steht ihr Geduld und Glauben fest zur Seite,
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Des Glaubens Kreuz und das geduld'ge Lamm,
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Und über Ihr da glänzt der Sternenkranz:
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Der ew'ge Lohn aus unsichtbarer Hand.
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Rings zeigt der dunklen Thränenweide Laub,
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Zur Erde wallend wie die Trauerfahne,
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Wie unser Blick gesenkt in tiefer Trauer,
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Doch zu dem Himmel flammt das Todtenopfer!
 
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So schaut das kleine Denkmal, das wir schufen,
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Ihr Bild ist jedes Denkmals schönste Zierde,
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Es mildert aller Trauer scharfe Härte.
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Wie ich bei ihrem Anblick mich vertiefe,
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So mindern sich die Schrecken dieser Zeit,
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So schweben mir im Geist die Trauertage
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Wie schwarze Genien, doch zornlos über;
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Es bleibt vor allen einer in der Seele,
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Der ernste Tag, als diese große Stadt
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Der hohen Leiche schwarz entgegen wallte.
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Es schien die Stadt erstorben überall
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Und alles Leben zu der Leiche hingebannt,
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Die, von den Würdigsten so ernst begleitet,
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Geheimnißvoll verhüllt vorüberzog.
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Der Zug ging langsam unter stillen Thränen,
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Und leise hob sich dann des Volkes Rede,
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Und jeder rühmte Sie, der Sie gekannt,
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Und jeder Arme rühmte ihre Milde.
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Es ward die Nacht der Todten schönste Feier.
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Ihr Lob hat unser Herz mit Sang erfüllt,
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Mit Wiederhall der allgemeinen Stimme;
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So sei die Feier dieser Nacht zur Feier
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Der hohen Todten von uns angestimmt:
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Zu aller Armen Trost schallt unser Lied,
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Daß Sie auch nach dem Tode Segen spende,
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Es giebt ihr Geist uns dazu Kraft und Muth.

Details zum Gedicht „Prolog“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
91
Anzahl Wörter
649
Entstehungsjahr
1781 - 1831
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Zunächst lässt sich sagen, dass das Gedicht „Prolog“ von Achim von Arnim stammt, einem deutschen Dichter, Schriftsteller und Herausgeber, der als bedeutender Vertreter der Heidelberger Romantik gilt. Arnim wurde am 26. Januar 1781 geboren und starb am 21. Januar 1831, was das Konzept und die Stimmung seiner Werke innerhalb der romantischen Epoche ansetzt.

Das Gedicht hinterlässt beim ersten Lesen einen eindrucksvollen, fast erhabenen Eindruck. Es behandelt zentrale Themen der menschlichen Existenz wie Trauer, Schmerz, Erinnerung, Trost und Tod.

Inhaltlich dreht sich das Gedicht um das lyrische Ich, das sich mit intensivem Schmerz und tiefer Trauer konfrontiert sieht. Es reflektiert, wie schwer es ist, dieses unerträgliche Gefühl in Worte zu fassen. Der Schmerz scheint grenzenlos, bis er sich schließlich in Tränen ausdrückt und dabei sowohl als Zeichen menschlicher Schwäche als auch als Zeichen göttlicher Stärke gesehen wird. Interessanterweise drückt das lyrische Ich aber nicht nur seine eigenen Gefühle aus, sondern reflektiert auch, wie wir als Gesellschaft unsere Trauer teilen und verarbeiten, beispielsweise durch den Austausch von Worten, durch das Halten von Gedenkfeiern oder durch die Aufstellung von Denkmälern für die Verstorbenen.

Die Form des Gedichts ist bemerkenswert komplex, mit einer Gesamtanzahl von 91 Versen, die in vier unterschiedlich langen Strophen organisiert sind. Die Auswahl und Anordnung der Worte erzeugen einen Rhythmus, der den emotionalen Gehalt des Gedichts spiegelt.

Die Sprache des Gedichts ist reichhaltig, bildhaft und emotional aufgeladen. Sie ist geprägt von Wörtern und Ausdrücken, die starke Gefühle der Trauer und des Schmerzes evozieren, aber auch Trost und Hoffnung ausdrücken.

Insgesamt scheint das lyrische Ich in Arnims „Prolog“ von einem starken, tief empfundenen Bedürfnis angetrieben zu sein, den Schmerz zu teilen und in Worte zu fassen, als eine Art therapeutischer Akt der Bewältigung, des Gedenkens und der Ehrung der Toten. Das Gedicht erinnert uns daran, wie sehr das Teilen und Ausdrücken unserer Gefühle, vor allem in Zeiten tiefer Trauer, ein zentraler Bestandteil des Menschseins ist. Es zeigt uns auch die Möglichkeit der Stärke und des Mitgefühls - auch in Zeiten großer Trauer und Verzweiflung.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Prolog“ ist Achim von Arnim. Der Autor Achim von Arnim wurde 1781 in Berlin geboren. In der Zeit von 1797 bis 1831 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Romantik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Arnim handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Romantik kann in drei Phasen unterteilt werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (1789 - 1799) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Technik und Wissenschaft, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. Weltflucht, Hinwendung zur Natur, Verklärung des Mittelalters (damalige Kunst und Architektur wurde nun wieder geschätzt), Rückzug in Fantasie- und Traumwelten, Betonung des Individuums und romantische Ironie sind typische Merkmale der Romantik. Die Themen der Romantik zeigen sich in verschiedenen Motiven und Symbolen. So gilt beispielsweise die Blaue Blume als das zentrale Motiv der romantischen Literatur. Sie symbolisiert Liebe und Sehnsucht und verbindet Natur, Mensch und Geist. Die Nacht hat ebenfalls eine besondere Bedeutung in der Romantik. Sie ist der Schauplatz für viele weitere Motive dieser Epoche: Vergänglichkeit, Tod und nicht alltägliche, obskure Phänomene. Im ebenfalls in dieser Epoche zu findenden Spiegelmotiv zeigt sich die Hinwendung der Romantik zum Unheimlichen. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits direkt nach Erscheinen wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 91 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 649 Worte. Die Gedichte „Schweizerlied“, „Flammenruh nach Weisheit streben“ und „Beichte“ sind weitere Werke des Autors Achim von Arnim. Zum Autor des Gedichtes „Prolog“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 173 Gedichte vor.

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