Der wandernde Gesell von Achim von Arnim

Wo mir kein Haus gebauet,
Wo ich als wandernder Gesell,
Mich lustig umgeschauet;
Wenn in der leichten Abendtracht,
Die Mädchen in den Thüren,
Weil sie vom hellen Mond bewacht,
So manchen Muthwill spüren.
 
»Hilf Gott,« so spricht mich eine an,
»Das nenne ich noch gähnen,
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Bist du nicht auch ein Leiermann,
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Sing mir von Lust und Thränen!
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Sing langsam, daß ichs von dir lern,
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Ich wills dem Liebsten singen,
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Das Wetter leuchtet still von fern,
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Die Grillen Ständchen bringen.«
 
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Ich sing von einem Ort im Rhein,
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Da liegen große Glocken,
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Und wird im Jahr ein edler Wein,
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Da stehen sie ganz trocken,
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Und schlagen drauf die Schiffer an,
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Da rufen sie nach Weine;
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Ich bin ein durst'ger Leiermann,
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Und habe müde Beine.
 
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»Hier hast du eine Flasche Wein,
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Und hier die Bank von Steinen,
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Und denk, du säßest hier am Rhein,
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Und tränkst von edlen Weinen;
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Und greif mir nicht nach meinem Arm,
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Ich wärm ihn in der Schürze,
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Und singe nur, es ist nicht warm,
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Und mir die Zeit verkürze.«
 
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Am Rheine war ein geiz'ger Abt,
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Der gönnt es nicht den Leuten,
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Daß sie an Trauben sich erlabt,
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Wenn sie zur Lese schreiten;
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Darum erfand der listge Mann,
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Sie mußten immer singen:
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Dieweil dann keiner essen kann,
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Und die in Butten springen.
 
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So soll ich singen vor der Thür,
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Und möcht dich lieber küssen,
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O Mädchen nimm mich doch zu dir,
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Und morgen will ich grüßen,
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Mit allem süßen Zaubersang,
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Geschöpft aus deinem Munde,
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Jetzt schweigt mein Mund in Liebesdrang,
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Der Wächter ruft die Stunde.
 
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»Der Wächter singt sein Verslein gut,
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So gut magst du nicht singen;
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Er hat so einen tapfern Muth,
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Und kann Gespenster zwingen.
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Er hat ein gar gewaltig Horn,
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Und bläßt recht mir zum Spaße,
54 
Sein Lieb zu mir hat grimmen Zorn,
55 
Darum zieh deine Straße.«
 
56 
Als ich die Warnung kaum vernehm',
57 
Hör ich die Hunde heulen,
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Da ist's auch mir so unbequem,
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Daß ich davon muß eilen:
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Ich seh den Wächter an der Thür,
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Er thut mein Mädchen küssen,
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Doch hat sie drauf, das glaubet mir,
 
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Die Thür ihm zugeschmissen.
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Und wie er nun in seinem Grimm
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Und ich in meinem Lachen,
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Da ruft er mir mit starker Stimm:
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Was hast du Nachts zu machen?
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Die Lieb ist leer, die Flasch ist aus,
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Auf dir sei sie zerschmissen!
70 
Das that ich und sie lacht im Haus;
71 
Dann bin ich ausgerissen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.4 KB)

Details zum Gedicht „Der wandernde Gesell“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
71
Anzahl Wörter
396
Entstehungsjahr
1781 - 1831
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der wandernde Gesell“ wurde von Achim von Arnim verfasst, einem deutschsprachigen Schriftsteller, der von 1781 bis 1831 lebte. Dies platziert ihn in die Zeit der Romantik, eine literarische Ära, die sich von etwa 1800 bis 1850 erstreckt.

Auf den ersten Blick erzählt das Gedicht die Geschichte eines wandernden Gesellen, einer Art mittelalterlichem Vagabunden oder Handwerker auf Wanderschaft. Es ist in der Ich-Perspektive geschrieben und spricht direkt den Leser an.

Inhaltlich geht es um einen wandernden Handwerker, der keine feste Behausung hat und von Ort zu Ort zieht. Er hält sich abends auf der Straße auf, wo er von jungen Frauen angesprochen wird. Die Frauen bitten ihn zu singen und seine Geschichten zu erzählen. Er berichtet von einem Ort am Rhein und trinkt dabei Wein. Trotz sichtbarem Interesse und gegenseitiger Anziehung zwischen dem wandernden Gesellen und den Frauen endet die Begegnung jedoch ohne weitergehende Intimität. Die Frauen ermutigen ihn, weiterzuziehen und seine Reise fortzusetzen. Am Ende steht der wandernde Geselle wieder allein auf der Straße.

Das lyrische Ich scheint einen Zustand der Heimatlosigkeit und Freiheit zu genießen, ist aber gleichzeitig auf der Suche nach menschlicher Nähe und könnte auch eine Sehnsucht nach Sesshaftigkeit verspüren. Gleichzeitig wird eine Art von Misstrauen und Ablehnung von Seiten der Frauen gegenüber dem Wanderer und seiner Lebensweise ausgedrückt.

Das Gedicht ist in Reimpaaren geschrieben und folgt keinem festen Metrum. Jedes Paar besteht aus einem Vers, der mit dem folgenden reimt. Der Stil ist lebendig und volksliedartig, was zu dem alltäglichen und volksnahen Charakter der Geschichte und der Figuren passt. Die Sprache ist einfach und unkompliziert, was den erzählerischen Charakter des Gedichts unterstreicht. Es ist erfüllt von lebendigen Bildern und Metaphern, was der romantischen Tradition entspricht, der Arnim angehörte. Der Gebrauch von direkter Rede macht die Szene lebendig und ermöglicht es dem Leser, sich in die Situation der Charaktere hineinzuversetzen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der wandernde Gesell“ ist Achim von Arnim. Geboren wurde Arnim im Jahr 1781 in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1797 und 1831. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Bei Arnim handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis spät in das 19. Jahrhundert hineinreichte. Insbesondere in den Bereichen der Literatur, Musik oder der bildenden Kunst hatte diese Epoche umfangreiche Auswirkungen. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Die Welt, die sich durch die beginnende Verstädterung und Industrialisierung mehr und mehr veränderte, verunsicherte die Menschen. Die Französische Revolution in den Jahren 1789 bis 1799 hatte ebenfalls bedeutende Auswirkungen auf die Romantik. Weltflucht, Hinwendung zur Natur, Verklärung des Mittelalters (damalige Kunst und Architektur wurde nun wieder geschätzt), Rückzug in Fantasie- und Traumwelten, Betonung des Individuums und romantische Ironie sind typische Merkmale der Romantik. Die Themen der Romantik zeigen sich in verschiedenen Motiven und Symbolen. Beispielsweise gilt die Blaue Blume als das zentrale Motiv der Romantik. Sie symbolisiert Liebe und Sehnsucht und verbindet Natur, Mensch und Geist. Die Nacht hat ebenfalls eine besondere Bedeutung in der Romantik. Sie ist der Schauplatz für viele weitere Motive dieser Epoche: Vergänglichkeit, Tod und nicht alltägliche, obskure Phänomene. Im ebenfalls in dieser Epoche zu findenden Spiegelmotiv zeigt sich die Hinwendung der Romantik zum Unheimlichen. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über den Inhalt als auch über die Form des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die festen Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken ist zu beobachten.

Das Gedicht besteht aus 71 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 396 Worte. Die Gedichte „Bibliothek“, „Zur Weihnachtszeit“ und „Schwingeliedchen nach der Sicilischen Melodie“ sind weitere Werke des Autors Achim von Arnim. Zum Autor des Gedichtes „Der wandernde Gesell“ haben wir auf abi-pur.de weitere 173 Gedichte veröffentlicht.

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